Blutdorf. Rolf Eversheim
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Die Schritte kamen näher und langsam nahm der dunkle Schatten menschliche Gestalt an. Dem Pfarrer stockte der Atem. Das konnte nicht sein! Das war unvorstellbar! Rasch zog er sich in den dunklen Beichtstuhl zurück, um den Schein der Anonymität zu wahren, die dem Besucher ein Gefühl der Sicherheit gab. Vielleicht geschahen ja doch noch Wunder und er wollte die Beichte bei ihm ablegen.
Als Lambrecht merkte, dass sein Mörder die Tat, die er hätte beichten können, wenige Augenblicke später beging, war es zu spät. Pfarrer Lambrecht würde niemandem mehr die Absolution erteilen.
7. Kapitel
Das Wochenendhausgebiet Im Strohdell, am oberen Ortsrand von Königsfeld gelegen, war wie geschaffen für ihre Unternehmungen. Was immer sich die Verantwortlichen seinerzeit dabei gedacht haben mochten: Strohdell war ein Eldorado für alles, was niemanden etwas anging – nicht einzusehen, versteckt, kein Publikumsverkehr, ausschließlich unbefestigte Wege, keine Spaziergänger und nur wenige Mitbewohner, die ebenfalls in der Regel darauf bedacht waren, möglichst wenig Kontakt zu den anderen zu haben. Nichts sehen und nicht gesehen werden lautete das inoffizielle Motto der Siedlung.
Dabei war es Zufall gewesen, dass er das Haus in der Siedlung erworben hatte, und dem glücklichen Umstand geschuldet, dass ein älterer alleinstehender Mann plötzlich ins Pflegeheim musste. Dessen Familie hatte sein Wochenendhaus, das ihm als Wohnsitz gedient hatte, gern gegen Bargeld verkauft – und Bargeld hatte er immer.
Fritz Meier war stolz auf seinen Coup. Sollten seine Brüder sich doch auf dem maroden Hof kaputtschuften, er war aus der Nummer raus. Nachdem der Alte gestorben war, hatte er noch eine Anstandsfrist von einem Jahr gewahrt, dann war er vom Meier-Hof weggezogen und hatte seitdem unter keiner Kuh mehr gelegen. Es war absolut sinnlos, immer mehr zu schaffen, damit durch noch mehr Selbstausbeutung die fallenden Erzeugerpreise für Milch und Fleisch ein Stück weit aufgefangen wurden. Sein ältester Bruder hatte Zeter und Mordio geschrien, doch der konnte ihm nichts mehr. Mit dem Tod des Alten hatten sich die Machtverhältnisse auf dem Meier-Hof neu sortiert.
Das kleine Wochenendhaus mit dem Flachdach war zwar in keinem besonders guten Zustand gewesen, als er es gekauft hatte, aber das war ihm egal. Dafür lag es am Kohlweg und nicht in einer der Sackgassen, wie die meisten der anderen Häuser. – Ein guter Fuchsbau hatte immer zwei Ausgänge. Als Erstes hatte er das Haus mit Alarmanlagen und Überwachungskameras gesichert, denn Fritz Meier hatte etwas gegen unangemeldeten Besuch. Also bei sich. Er hatte sich parallel eine bürgerliche Existenz aufgebaut, damit niemand auf dumme Gedanken kam. Da Beziehungen nur dem schaden, der keine hat, war es ihm gelungen, eine Anstellung beim Ordnungsamt der Stadt Bad Neuenahr zu bekommen. So war er nicht nur über jeden Verdacht erhaben, sondern bekam auch während seiner Dienstzeit ganz viele Informationen darüber, wie und wo er sich nach Dienstschluss noch einmal umsehen sollte.
Seine Geschäfte, wie er es nannte, liefen richtig gut; viel besser und vor allen Dingen viel leichter als erwartet. Er hatte lange überlegt, welchen Geschäftspartnern er trauen konnte, und sich dann für einen Antiquitätenhändler aus Belgien und eine handfeste Schönheit aus Polen entschieden, die ganz offiziell in Bad Neuenahr ein kleines Massageinstitut mit dem vielversprechenden Namen Karma-Massage betrieb – Happyending inbegriffen. Helena hatte ein goldenes Händchen, präziser gesagt: ein goldenes Füßchen. Ihre Kunden liebten sie. Ob nackt, in Nylons, Socken oder in High Heels: Helena war vielseitig begabt. So manche Senioren, die der Tristesse ihrer Auffanglager für ein paar Augen- und Lichtblicke entflohen, schätzten es. Jedenfalls brachte es mehr Entspannung als der Besuch im Spielcasino, dessen gute Zeiten genauso lange zurücklagen wie die der Alten. Alle drei hätten sie ein genügsames bürgerliches Leben mit ihren Berufen führen können, doch das wollte keiner von ihnen. Sie hatten Lust auf Reichtum und auf ein Leben abseits von Kleinbürgern und Spießigkeit. Obwohl … Eine Ausnahme gab es.
Zufrieden öffnete Fritz ein Bitburger Stubbi. Dem Bier aus der Heimat blieb er treu, so wie die meisten Eifeler. Sollten die anderen doch das Gebräu von Oettinger in sich reinschütten. Das war vielleicht ein Premiumbier für die Schneckenfallen, für den menschlichen Verzehr aber war es höchstens in Ausnahmefällen geeignet. – Er konnte sich allerdings so einen Fall nicht vorstellen. Die Tagesschau fing gerade an, als er den ersten tiefen Schluck aus der kleinen bauchigen Flasche nahm.
Mitten in diesen Genuss hinein meldete sich sein Handy mit dem Klingelton Live is life, den er den Anrufen von Helena zugeordnet hatte. Mürrisch nahm er das Gespräch an: »Was is?«
»Was iss? Was iss?« Helenas Aussprache war polnisch geprägt und guttural-erotisch. Fritz fand dies besonders attraktiv, wenn Helena sauer war – so wie jetzt. »Ich werde dir sagen, was iss, verdammt noch mal. Die Geschäfte laufen aus dem Ruder und du fragst nur: Was iss?«
Schweigend hörte er Helena zu, ohne sie zu unterbrechen. Der Versuch wäre auch sinnlos gewesen, wie er wusste. Mit einem »Ich kümmere mich drum« beendete er das Gespräch.
Er öffnete ein weiteres Stubbi und holte aus dem Kühlschrank einen Eifel-Gin. Den hatte er auf seiner letzten Rückfahrt von Belgien in der Monschauer Senfmühle gekauft. Nach alter Hausrezeptur werden Wacholderbeeren unter Zusatz von handgesammelten Eifeler Kräutern mit unserem feinen Weizendestillat mazeriert, stand auf der Flasche. Er musste zugeben, dieses Zeug schmeckte tatsächlich. Und gesund musste es auch sein. Er hatte irgendwo gelesen, dass die britische Armee sich während der Besatzungszeit in Indien mit dem täglichen Genuss von Gin-Tonic vor Malaria geschützt hatte. Dass die im Tonic-Wasser enthaltene Chinarinde ein altbekanntes Heilmittel gegen Malaria ist, war ihm nie zur Kenntnis gekommen, das war auch weniger sexy als gesunder Alkohol.
Er drückte auf die Wahltaste eines Prepaid-Handys. Das war eine der Vorsichtsmaßnahmen, um ihre gegenseitigen Telefonate zu schützen. In jedem zweiten Fernsehkrimi wurden die Täter ja mittlerweile mit Telefonlisten der Provider überführt und eine Handysperre schien auch keiner der Schwerverbrecher eingerichtet zu haben, dabei machte das heute jedes Schulkind. Er fand die Krimi-Drehbücher in der Regel sehr wirklichkeitsfern. Den abgestumpften Leuten, die tagein, tagaus vor der Glotze hockten, um kein eigenes Leben führen zu müssen, schien das allerdings egal zu sein oder sie wussten es einfach nicht besser.
Marcel Leclerc ging sofort ran. Fritz wusste, dass er zuvor den Klingelton Im Wald da sind die Räuber zu hören bekommen hatte. Schwachkopf hatte Fritz ihn für diese Wahl genannt. »Hi, Fritz, möchtest du wissen, wie mein rechtschaffener Antiquitätenladen hier im liebreizenden Lüttich läuft? Bestens, sage ich dir, bestens, mein Lieber.« Leclerc gab sich ausgesprochen gut gelaunt.
»Nein, Marcel, ich möchte wissen, wieso auf der anderen Seite der Grenze hinter vorgehaltener Hand erzählt wird, dass bei dir in Lüttich nicht alles mit rechten Dingen zugeht.«
Leclercs gute Laune war schlagartig verschwunden. »Wer sagt das?«
»Es spielt keine Rolle, wer das sagt, sondern dass es gesagt wird. Raus mit der Sprache. Was ist los bei dir? Wie kommen diese Gerüchte in Umlauf?«
Wie immer, wenn Leclerc aufgeregt war, färbte sein wallonischer Akzent die Sätze noch deutlicher, als er es ohnehin schon tat: »Was soll schon sein, Fritz? Ich habe hier ein kleineres Problem zu lösen. Mach dir keine Sorgen.«
»Und ob ich mir Sorgen mache, Marcel, ganz große sogar. Also raus mit der Sprache!«
»Das Finanzamt ist seit zwei Tagen zu einer unangemeldeten außerordentlichen Betriebsprüfung hier im Antiquariat. Sage und schreibe drei Staatsdiener drehen jeden Stein um. Es ist zum Wahnsinnigwerden.«
Fritz Meier wurde schlagartig aschgrau im Gesicht. Mit vielem hatte er gerechnet, aber dass ausgerechnet