Blutdorf. Rolf Eversheim
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»Behalte es bitte für dich. Ich habe ein kleines Häuschen bei Königsfeld, im Strohdell. Ganz ruhig und versteckt.«
»Wem sollte ich es erzählen? Nur eine Frage noch, bitte: Wovon lebst du eigentlich?«
Mingan lachte verschmitzt und strich sich sein weißes Haar aus dem Gesicht. »In der Bibel steht doch, wir sollen es machen wie die Vögel des Himmels: Sie säen nicht und ernten trotzdem. Aber du bist nicht hergekommen, um meine Geschichte zu hören, Julia. Du bist wegen des Wolfs hier.«
»Natürlich weißt du es!« Julia war gerade dabei, sich das Wundern abzugewöhnen.
»Das war nicht schwer. Der Wolf ist zurück. Ich habe seine Losung gefunden.« Er griff neben sich und legte Julia vorsichtig einen Klumpen angetrockneten Kot in die Hand.
Sie zuckte bei dem Gedanken zusammen, etwas vom Wolf, und sei es auch nur seine Ausscheidungen, in der Hand zu halten. »Bist du ganz sicher, dass es vom Wolf ist?«
»Frische Wolfslosung hat einen ganz typischen Geruch, der sie von Hundekot unterscheidet.« Mingan tat so, als habe er Julias Zurückschrecken nicht bemerkt. »Schau! Sie ist fast drei Zentimeter dick und das ganze Stück war mehr als zwanzig Zentimeter lang. Wenn du genau hinschaust, wirst du Haare seiner Beutetiere, in diesem Fall ein Reh, große Knochenstücke, Klauen und Zähne finden.«
Julia konnte Haare vom Reh erkennen. Schafswolle war zum Glück keine zu sehen. »Was hast du gemacht, als dir klar wurde, dass hier ein Wolf seine Fährte zieht? Es kann ja auch ein durchziehender Wolf auf Wanderschaft gewesen sein oder einer, der aus irgendeinem Wildpark oder so ausgebrochen ist.«
»Der Wolf ist zurück.« Mehr hatte Mingan nicht mehr dazu zu sagen.
Julia atmete tief durch. »Vor wenigen Tagen hat der Wolf eines meiner Schafe gerissen.«
»Wo?«, wollte Mingan sofort wissen, »wo genau war das?«
»Kurz hinter Königsfeld. Zwischen der L82 und dem angrenzenden Waldstück. Fast am Strohdell. Ich bin da gelegentlich mit der Herde.«
»Also gerade mal fünf Kilometer weg von hier. Wirklich keine Entfernung für einen Wolf.«
»Ich weiß nicht, was ich tun soll, Mingan. Ich habe so eine Wut auf den Wolf in mir. Er hat mir Großvater genommen. Seinen Hund. Und jetzt ein Schaf von mir. Dabei wird es nicht bleiben. Am liebsten würde ich ihn töten. Auf der anderen Seite lebe ich tagein, tagaus in und mit der Natur, einer Natur, in der der Wolf auch seinen Platz haben sollte. Aber geht das überhaupt noch in unserer Kulturlandschaft, die von Menschen geschaffen wurde? Zersiedelt, von Verkehrsadern durchschnitten, mit intensiver Nutzung durch Land- und Forstwirtschaft und durch eine immer rücksichtsloser werdende Freizeitnutzung, in der Natur nur noch als Kulisse gesehen wird … Welcher Weg ist der richtige?«
Es wurde bereits dunkel. Das Feuer knackte und die Flammen züngelten sachte.
»Ich kenne das Gefühl nur zu gut, Julia. Es ist, als ob zwei Wölfe in deinem Herzen miteinander kämpfen würden. Einer der beiden ist rachsüchtig, aggressiv und grausam. Der andere hingegen ist liebevoll, sanft und mitfühlend.«
»Welcher der beiden wird den Kampf um mein Herz gewinnen?«, fragte Julia.
»Der Wolf, den du fütterst«, antwortete Mingan lächelnd. »Und nun geh wieder zu deiner Herde.«
6. Kapitel
Pfarrer Lambrecht hatte längst kapituliert, dabei schienen sich die Leute im Dorf entgegen des Zeitgeistes zu verhalten: neunzig Prozent katholisch, keine Kirchenaustritte, die Sonntagsmesse war stets gut besucht und für so gut wie jeden öffentlichen Akt wurde der Segen der Kirche angefordert. Nein, nicht erbeten: angefordert! Lambrecht war zum Büttel und zur Marionette der Leute geworden, die über das Dorf herrschten und nur an ihren eigenen Vorteil dachten, aber wöchentlich ihren Heiligenschein polierten – selbst wenn sie wenige Minuten vor dem Gottesdienst noch außerehelichen Geschlechtsverkehr hatten und mit ungewaschenen Händen zur Kommunionbank kamen. Lambrecht kam es so vor, als trieben sie es nur außerhalb der Ehe. Ihn ekelte. Und dann der Umgang mit der Natur: Jeder Quadratzentimeter Erde wurde ausgelutscht und mit Klärschlamm und Gülle aus Holland vollgepuddelt. Was eben ging, wurde als Bauland ausgewiesen. Glücklich, wenn man mit der Familie des Bürgermeisters verwandt war. Pech, wenn man sich erdreistete, ihm zu widersprechen.
Das Dorf hatte so manchen Bürgermeister kommen und gehen sehen, doch der jetzige war der Unheimlichste. In allem vertrat er extreme Ansichten. Nie war er bereit, auch nur einen Millimeter von seiner Meinung abzuweichen. Wenn es nicht in sein Weltbild passte, ignorierte er Sachargumente vollständig. Seine Welt war das Dorf – und dessen Grenzen markierten die Grenzen seines eigenen Horizontes. Lambrecht konnte nicht einmal sagen, dass Heinrich Meier bewusst bösartig war. Mit seiner Art und immerwährenden Rastlosigkeit hatte er unbestritten auch einiges für das Dorf erreicht – und die Polarisierung dabei bewusst in Kauf genommen. Willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein schien sein Motto zu sein.
Heinrich Meier schien allerdings einer der wenigen im Dorf zu sein, der eheliche Treue übte. Vielleicht, weil er seine Frau liebte. Aber das taten andere, die unterm Zaun grasten, auch. Womöglich aus Prinzip. Sein Vater hatte den Ältesten bestimmt auch moralisch eingenordet. Vielleicht auch deshalb, weil er alles an sich zog, ihm die Aufgaben ständig immer mehr über den Kopf wuchsen und er deshalb weder Zeit noch Gelegenheit hatte, sich anderweitig umzuschauen. Jedenfalls würde er die drohenden Blicke am Sterbebett des alten Meier nie vergessen. Was musste die alte Meierin auch ihr Familiengeheimnis bei ihm beichten. Er hatte es gar nicht wissen wollen. Jetzt begleitete es ihn auf Schritt und Tritt.
Lambrecht hatte gelernt, vorsichtig zu sein. Sein Versetzungsgesuch war schon zweimal in Trier abgelehnt worden – und jedes Mal wusste das Dorf es vor ihm. Das hatte ihn viel Autorität gekostet. Er hatte gelernt, mit den Wölfen zu heulen, denn so lebte es sich leichter, als gegen den Strom zu schwimmen. – In diesem Dorf hatte niemand eine Chance, damit zur Quelle zu kommen. Doch am vergangenen Sonntag war ihm der Kragen geplatzt und er hatte sich auf der Kanzel in Rage geredet. Der Restalkohol, den er vom formidablen Besäufnis mit dem einzigen Menschen, dem er wirklich vertraute, noch in der Umlaufbahn hatte, dürfte dabei ausschlaggebend gewesen sein. Nun war sie raus, seine Schimpfkanonade auf die doppelte Moral und die Verlogenheit im Dorf: »Wenn ihr wollt, dass dieses verfluchte Land wieder heilige Erde wird, dann kehrt um und kommt zur Beichte!« Was hatte er nur für einen Stuss gepredigt. Worte waren wie Pfeile: Einmal abgeschossen kann man sie nicht mehr zurückholen. Ett es wie et es, dachte Lambrecht. und et hätt noch emmer joot jejangen. Eine Gänsehaut breitete sich über seinen ganzen Körper aus. Lambrecht versuchte, seine Angst zu verdrängen.
Vielleicht kam ja tatsächlich einmal jemand zur Beichte. Man sollte die Hoffnung nie aufgeben. Seit fast zwanzig Jahren saß er jeden Werktagabend von 19: 00 bis 20: 00 Uhr im Beichtstuhl – auch wenn seit Jahren niemand mehr kam, außer dem ein oder anderen Mütterchen, das eh nichts ausgefressen hatte. Zuletzt kamen selbst die nicht mehr, aber Lambrecht blieb seiner Gewohnheit treu, vor allem deshalb, weil er im Beichtstuhl wirklich seine Ruhe hatte. Er las im Brevier oder meditierte. Meistens nahm er sich allerdings einen Eifelkrimi mit. Dort störte ihn wenigstens niemand.
Doch was war das? Es war noch jemand in der Kirche. Die Kirchentür hatte zwar nicht geknarrt, aber Pfarrer Lambrecht spürte es sicher. Er schlug den Krimi leise zu, knipste die kleine Lampe im Beichtstuhl aus und lugte vorsichtig in das Dunkel hinaus. Schritte kamen näher. Da schien wirklich jemand zur Beichte zu kommen. Lambrecht konnte es nicht glauben. Gottes Mühlen mahlten langsam aber sicher. Doch wenn der da draußen nicht durch die Tür gekommen war,