Das Wolfskind und der König. Bettina Szrama
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Das Wolfskind und der König - Bettina Szrama страница 11
Das Erste, was Grete sah, waren die bunten Uniformen der Offiziere in einem lang gestreckten Saal. In leicht gebeugter Haltung umstanden sie einen mit einem grünen Tuch bespannten Tisch und bewegten farbige Kugeln mittels eines langen Stockes. Aus den dunklen Nischen der zwei Seitenflügel erklang Frauenlachen. Wohlhabende Kolonisten und Kommandanten der Festungsmauer schlürften dampfenden Kaffee aus winzigen Porzellantassen. Einige prosteten sich mit Wein aus Kristallkaraffen zu. Sie rauchten fremdländischen Tabak in zierlichen Pfeifen und spielten mit ihren Damen an kleinen Tischen aus geschwungenen Zargenrahmen Karten. Barocke Fresken über dem Schanktisch zeigten einen stattlichen Osmanen neben Amor in Kindergestalt. Sie überreichten sich eine Schale Kaffee. Ein bildhaftes Symbol dafür, dass der Kaffee ein Kulturgeschenk des Morgen- an das Abendland sein sollte. Die riesigen, goldenen Kronleuchter in dem Saal brannten auf Sparflamme und warfen ihr trübes Licht von den goldfarbigen Tapeten zurück.
Grete glaubte sich in einem Palast zu befinden, obwohl es doch nur ein Kaffeehaus war, und blieb wie gelähmt an der Tür stehen. Beim Anblick solcher Herrlichkeit verstand sie, warum der Vater sich betrank und in ihrer bescheidenen Behausung mit einem zänkischen Weib und sieben Kindern nicht leben wollte. Etwas beklommen zupfte sie den Vater am Rockschoß. „Niemand wird uns hier bei unserer Suche helfen. Wir gehören nicht an diesen Ort.“
„Dumme Trine“, zischte Müller leise über die Schulter. „Lass mich nur machen und halte den Mund.“ Ohne sie weiter zu beachten, griff er nach dem Krug, den ihm der Wirt über den Tisch aus Marmor schob. Doch der hielt ihn einen Augenblick fest und sah Müller ernst an. Dann wies er mit einer Kopfbewegung auf Grete. „Ich kann dir doch vertrauen, dass sie nichts weitererzählt? Sie ist immerhin ein Weib und die sind bekanntlich schwatzhaft.“
„Keine Bange. Reich mir lieber gleich noch ein Maß von dem köstlichen Getränk rüber. Auf einem Bein kann man bekanntlich schlecht stehen. Sie wird nichts sagen, dafür werde ich schon sorgen“, beruhigte ihn Müller und wies auf die Peitsche in seinem Gürtel. „Das hier hat schon Wunder bewirkt.“ Er setzte den Krug an die Lippen, trank ihn in einem Zug leer und wischte sich mit dem Handrücken genüsslich über den Mund. „Ein feiner Tropfen ist das, Alexandre. Besser als das Gesöff, das du am Tag in den Vorderstuben ausschenkst. Kann schon verstehen, dass du Furcht vor dem Magistrat hast. Aber weshalb ich gekommen bin … Es geht um den Wilden. Hast du etwas davon gehört?“
„Natürlich. Die ganze Stadt spricht davon, dass der Wolf, den der Bürger Meyer gefunden haben soll, zu dir ins Spital gebracht wurde“, antwortete der Wirt und schob, geschmeichelt durch Müllers Lob, den dritten Humpen über den Tisch. Grete sah es mit Besorgnis.
„Es ist kein Wolf, Alexandre, sondern ein verwildertes Kind, und es ist mir entlaufen. Ich dachte, ich erfahre etwas von dir, wo ich nach ihm suchen könnte.“
„Hier, in meinem Kaffeehaus …?“ Der Franzose sah Müller ungläubig an und überlegte einen Moment. Dabei streichelte er nachdenklich seinen bemerkenswerten Spitzbart, bevor er misstrauisch feststellte: „Ist es nicht vielleicht die Angst vor dem Magistrat, dem du das Geld zurückzahlen musst, wenn der Wilde weg ist? Gib es zu, du bist nur gekommen, um es in meinem Spielsalon zu versaufen.“
Müller nickte zustimmend und grinste über das ganze Gesicht. Er begann bereits zu lallen. „Was ich nicht mehr habe, kann ich nicht zurückgeben. Aber vielleicht weiß ja doch von einer von deinen Offizieren etwas über das Kind.“
Der Wirt zögerte und sah Müller merkwürdig an. So richtig schien er dem Freund nicht zu trauen. Doch dann gab er sich einen Ruck und rief laut in den Saal: „Meine Herren, das wölfische Kind ist in Hamelns Straßen auf der Flucht. Ist ihm vielleicht jemand auf dem Weg hierher begegnet?“
Langeweile und Überdruss standen auf den übernächtigten Gesichtern, als sie kurz von ihrer Beschäftigung aufblickten. Das Ergebnis war ein allgemeines Schulterzucken neben leisem, unverständlichem Murren und einem mitleidigen Lächeln. Ebenso rasch war ihr Interesse verflogen und sie vertieften sich wieder in ihr Spiel. Nur einer erwiderte grinsend: „Den Wilden haben sie sicher längst erschlagen.“
„Vater …“ Grete zupfte Müller erneut an den Rockschößen. Sie betrachtete die Reaktion im Saal mit Besorgnis. Noch mehr aber machte ihr der Vater Angst, der nun zur vierten Kanne griff und den eigentlichen Grund, weshalb sie hier waren, wohl längst vergessen hatte. Doch noch bevor sie dazu kam, ihn an Peter zu erinnern, trat ein Mann aus einer der Nischen auf sie zu. Er hatte die Szene gut getarnt hinter einem Pfeiler beobachtet und fühlte sich nun angesprochen einzugreifen.
Grete erschrak zunächst, als er sich höflich über ihre Hand beugte. Doch dann glitt ein Lächeln über ihr Gesicht und die Freude über sein unerwartetes Auftauchen trieb ihr die Röte in die Wangen. „Sie, Herr Kommissar Burchardy?“, entfuhr es ihr überrascht.
„So unverhofft trifft man sich wieder, mein schönes Kind“, hauchte er und fügte etwas leiser, nur für sie verständlich hinzu: „Wollen Sie mich nicht Aristide nennen?“, und führte ihre Hand wie die einer Dame an seine Lippen, wo er sie ein wenig zu lange küsste. Grete schmolz dahin und hörte kaum noch auf das, was er sagte. Fasziniert tauchte sie in die männlichen Züge ein, von denen sie sich in ihrer keuschen Vorstellung nicht nur Hilfe, sondern auch ein wenig die Erfüllung ihrer heimlichen Träume versprach.
„Ich befinde mich inkognito hier. Die Arbeit, Sie verstehen?“, log er, als er die Verwunderung in ihren blauen Augen sah. „Aber dass ich Sie hier im Spielsalon zu dieser Stunde treffen muss, an einem Ort, der so gar nicht zu einem jungen Mädchen passt … damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet.“
Da die Zeit drängte, machte sie sich keine Gedanken darüber, was den Kommissar zu so früher Stunde in das zweifelhafte Etablissement getrieben hatte. Stattdessen vergaß sie, was sie dem Vater versprochen hatte und erwiderte ohne Umschweife: „Welche glückliche Fügung. Sie sind mein Retter in der Not, Herr Burchardy. Der wilde Knabe ist aus seiner Kammer verschwunden. Bitte helfen Sie mir, ihn wiederzufinden!“
„Über diese Neuigkeit bin ich bereits informiert“, lächelte er. „Aber mit Ihrem Vater steht es wohl nicht mehr zum Besten. Er wird uns keine große Hilfe dabei sein.“
Müller hatte sich bei der Nennung seines Namens erhoben. Den Krug noch an den Lippen versuchte er einen Kratzfuß, ging jedoch schwankend in die Knie. Der Kommissar beugte sich über ihn und reichte ihm die Hand zum Aufstehen. Doch kaum stand er wieder auf den Füßen, als er erneut zusammenbrach.
„Es hat keinen Sinn“, stellte Aristide fest und schüttelte vor Grete verständnisvoll den Kopf. „Kommen Sie! Vielleicht können wir das Schlimmste noch verhindern. Die Stadttore sind um diese Zeit alle geschlossen. Der Knabe befindet sich sicher noch in der Stadt.“ Schnellen Schrittes begleitete er sie zur Tür hinaus.
Auf der Straße pfiff er nach der Kutsche und half Grete rasch hinein. Bevor das Gespann sich polternd in Bewegung setzte, befahl er dem Kutscher, jede Ecke und jeden Winkel mit den Augen abzusuchen. „Wir werden ihn finden, ich verspreche es, Jungfer“, beruhigte er Grete, die keinen Blick vom Fenster wandte.
Nach einer Weile ziellosen Suchens fragte er sie plötzlich leise: „Haben Sie nicht bei dem Knaben etwas gefunden, was auf seine Herkunft schließen könnte? Einen Fetzen Kleidung vielleicht? Ich dächte, er hätte so etwas um den Hals gehabt?“
Grete wandte ihm ohne Argwohn das Gesicht zu und wollte gerade