Physikalische Chemie. Peter W. Atkins
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Demgegenüber wurde noch nie beobachtet, dass ein Ball von selbst zu springen beginnt, indem er einem warmen Untergrund Wärmeenergie entzieht und sie in Arbeit umwandelt. Dazu müsste sich zunächst ein Teil der thermischen Bewegung der Teilchen des (unendlich ausgedehnten) Bodens in einem einzigen, kleinen Objekt – dem Ball – ansammeln. Dies würde eine spontane Lokalisierung der Energie aus den unzähligen Schwingungsbewegungen der Atome des Bodens auf die wenigen Atome des Balls (Abb. 3-3) erfordern. Außerdem erfolgt die thermische Bewegung der Teilchen ungeordnet; um den Ball nach oben zu heben, müssten sich alle Atome gleichzeitig in die gleiche Richtung bewegen. Dass aus zufälliger Bewegung von selbst geordnete Bewegung wird, ist so unwahrscheinlich, dass wir es als praktisch unmöglich ansehen können.1)
Damit scheinen wir ein Kriterium für die Freiwilligkeit eines Vorganges gefunden zu haben: Wir müssen die Richtung des Prozesses herausfinden, die zu einer gleichmäßigeren Verteilung der Gesamtenergie des abgeschlossenen Systems führt. Wir können es auf unser Beispiel mit dem Ball anwenden: Hier wird die kinetische Energie des Balls auf die thermische Bewegung der Teilchen des Untergrundes verteilt. In umgekehrter Richtung läuft der Prozess nicht spontan ab, da sich die ungeordnete Energieverteilung nicht von selbst in eine geordnete, gerichtete Bewegung verwandelt. Ein Gas zieht sich nicht freiwillig auf ein kleineres Volumen zusammen. Um das zu erreichen, müsste die ungeordnete Bewegung seiner Moleküle, die eine Verteilung der kinetischen Energie über den gesamten Behälter bewirkt, dazu führen, dass sich alle Teilchen plötzlich in einer Hälfte des Gefäßes befänden. Der umgekehrte Prozess, die Ausdehnung, ist eine natürliche Folge der gleichmäßigeren Energieverteilung bei der Zunahme des Volumens und läuft deshalb freiwillig ab. Ein kalter Gegenstand wird nicht spontan wärmer als seine Umgebung, weil es sehr unwahrscheinlich ist, dass die zufälligen Stöße der Atome der Umgebung zu einer Anhäufung von Wärmeenergie in dem Körper führen. Auch hier verläuft der umgekehrte Prozess freiwillig.
Wenn man dies alles überdenkt, erscheint es ziemlich unbegreiflich, dass im Zuge der unablässigen Ausbreitung von Energie und Stoffen, also der Verminderung des Ordnungszustands der Systeme, höchst geordnete Strukturen wie Kristalle oder Proteinmoleküle entstehen können. Wie wir jedoch bald sehen werden, ist das Streben zu größerer Unordnung, zur Verteilung von Energie und Materie, die treibende Kraft jeglicher Veränderung.
Abb. 3-3 Die mikroskopische Erklärung der Irreversibilität, die durch den Zweiten Hauptsatz ausgedrückt ist. (a) Ein Ball liegt auf einem wärmeren Untergrund; die thermische Bewegung der Atome (hier zum Beispiel zufällige Schwingungen) ist durch die Pfeile angedeutet. (b) Um den Ball spontan nach oben zu bewegen, müsste sich zufällige Schwingungsbewegung plötzlich in koordinierte, gerichtete Bewegung der Atome verwandeln; dieser Vorgang ist sehr unwahrscheinlich.
3.1.2 Die Entropie
■ Das Wichtigste in Kürze: Die Entropie ist das entscheidende Kriterium für die Freiwilligkeit von Prozessen. (a) Eine Entropieänderung ist durch die auftretenden Wärmeübertragungen definiert (Definition nach Clausius). (b) Absolute Entropien sind über die Zahl der Realisierungsmöglichkeiten einer gegebenen Konfiguration definiert (Boltzmanngleichung). (c) Mithilfe des Carnot-Kreisprozesses kann man beweisen, dass die Entropie eine Zustandsfunktion ist. (d) Die Grundlage der Definition der thermodynamischen Temperaturskala und einer ihrer praktischen Realisierungen ist der Wirkungsgrad einer Wärmekraftmaschine. (e) Die clausiussche Ungleichung zeigt, dass die Entropie bei freiwilligen Prozessen zunimmt und damit auch, dass die clausiussche Definition im Einklang mit dem Zweiten Hauptsatz steht.
Als Folge des Ersten Hauptsatzes der Thermodynamik wurde die Innere Energie U eingeführt. Diese ist eine Zustandsfunktion, mit deren Hilfe wir beurteilen können, ob ein Prozess möglich ist: Nur Vorgänge, bei denen die Innere Energie eines abgeschlossenen Systems konstant bleibt, sind erlaubt. Auch der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik, der ein Kriterium für die Freiwilligkeit von Vorgängen liefert, führt uns zu einer Zustandsfunktion, der Entropie S. (Sie ist ein Maß für die Dissipation der Energie bei einem bestimmten Prozess; wir werden sie anschließend definieren.) Mit ihrer Hilfe ist es möglich zu beurteilen, ob ein Zustand von einem zweiten Zustand aus durch eine freiwillige Zustandsänderung erreichbar ist. Anhand des Ersten Hauptsatzes entscheiden wir, ob eine Zustandsänderung erlaubt ist (dies ist genau dann der Fall, wenn die Energie erhalten bleibt); anhand des Zweiten Hauptsatzes entscheiden wir, welche der erlaubten Zustandsänderungen freiwilligablaufen, wozu wir die Entropieformulierung heranziehen:
Bei einer freiwilligen Zustandsänderung nimmt die Entropie eines abgeschlossenen Systems zu, ΔSgesamt > 0.
Dabei ist Sgesamt die Gesamtentropie des abgeschlossenen Systems, welches das betrachtete Teilsystem enthält. Irreversible thermodynamische Prozesse (wie die Abkühlung eines Körpers auf die Umgebungstemperatur oder die freie Expansion von Gasen) laufen stets freiwillig ab; also muss die Gesamtentropie zunehmen.
Diethermodynamische Definition der Entropie
Die thermodynamische Definition der Entropie bezieht sich auf die Entropieänderung d S im Zuge einer physikalischen oder chemischen Umwandlung (allgemein eines Prozesses). Der Grundgedanke, der zu dieser Definition führt, ist folgender: Das Ausmaß der Energiedissipation während eines Prozesses kann aus der dabei ausgetauschten Wärmemenge hergeleitet werden. Wie wir schon erkannt haben, ist die Übertragung von Wärme immer mit einer zufälligen (thermischen) Bewegung der Teilchen der Umgebung verbunden. Die Übertragung von Energie in Form von Arbeit hingegen erfolgt durch geordnete Bewegung der Teilchen der Umgebung, deren Entropie sich folglich nicht ändert.
Hinweis
Aus Gl. (3-2) erkennen wir, dass die Entropie die Einheit Joule pro Kelvin (J K–1) besitzt, wenn wir die als Wärme übertragene Energie in Joule und die Temperatur in Kelvin angeben. Die Entropie ist eine extensive Eigenschaft. Die molare Entropie (die Entropie geteilt durch die Stoffmenge), eine intensive Eigenschaft, wird in J K–1 mol–1 angegeben. Die Entropie hat die gleiche Einheit wie die Gaskonstante R und die molaren Wärmekapazitäten.
Die thermodynamische Definition der Entropie beruht auf folgender Beziehung:
Für endliche (messbare) Zustandsänderungen integrieren wir diese Beziehung zwischen einem Anfangszustand Aund einem Endzustand E:
Um die Entropiedifferenz zwischen zwei gegebenen Zuständen eines Systems berechnen zu können, müssen wir deshalb einen reversiblen Weg vom Anfangs- zum Endzustand finden und die in jedem Schritt dieses Weges in Form von Wärme übertragene Energie summieren