Germanias Vermächtnis. Swen Ennullat
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Er wurde unsanft aus seinen Gedanken gerissen. Levitt und Mosche kehrten zurück und stiegen ins Auto ein. Das Zuschlagen der Türen sorgte dafür, dass Julia ihre Augen wieder öffnete und sich aufrecht hinsetzte.
Levitt wandte sich ihnen zu: „Sehen Sie das dunkelgrüne Eisentor, auf der rechten Seite?“ Torben und Julia nickten. „Es ist der einzige Eingang zum Friedhof. Es wurde gerade aufgeschlossen. Der Friedhof hat jetzt bis 19 Uhr geöffnet. Also stellen Sie sich schon mal auf eine längere Wartezeit ein, und machen Sie es sich bequem. Hoffen wir, dass die Priesterinnen sentimentaler sind, als man ihnen auf den ersten Blick zutrauen würde. – Und Torben, Sie sind der Einzige von uns, der Margot kennt. Das heißt …“
„Ich weiß, was das heißt!“
Mit Torbens ruppiger Bemerkung endete auch das Gespräch. Offensichtlich war keinem von ihnen nach weiterem Reden zumute. Es war 8.03 Uhr morgens.
Während Torben sich gerade ausmalte, wie er Margot stellen und was er ihr sagen würde, vertrat sich Julia wenig später mit Mosche die Beine. Als Torben sie mit einigen Croissants sowie gefüllten Kaffeebechern zurückkehren sah und bemerkte, wie ungezwungen sich der junge Mossad-Agent mit ihr unterhielt, ja fast schon flirtete, und es sogar schaffte, sie zum Lachen zu bringen, spürte er erst, welch langer Weg noch vor ihnen lag. Julia und er waren weit davon entfernt, wieder unbefangen miteinander umzugehen.
Die Sonne kletterte langsam aber stetig immer höher und sorgte dafür, dass sich der Innenraum der Limousine zunehmend aufheizte, sodass sie bald alle Fenster öffneten, um zumindest etwas kühlenden Luftzug zu haben. Etwa ab 9 Uhr besuchten die ersten Menschen den Friedhof. Meist waren es ältere und vom Leben gebeugte Männer und Frauen, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad kamen. Torben stellte sich jeden einzelnen von ihnen vor, wie sie anschließend an den Gräbern ihrer Lieben standen und im Stillen zu ihnen sprachen.
Gerade als seine Gedanken zu seiner Mutter abschweifen wollten, stieß ihn Julia leicht von der Seite an und zeigte auf einen ankommenden dunkelblauen Audi A6, der dreißig Meter von ihnen entfernt einparkte. Levitt und Mosche bemerkten ihn auch und Letzterer begann unruhig auf seinem Sitz hin und her zu rutschen.
Der Fahrer verließ kurz darauf den Wagen, öffnete eine der hinteren Türen und half einer Frau in einem dunkelgrauen Kostüm beim Aussteigen. Noch bevor sie ihr Gesicht sehen konnten, wusste Torben, dass es tatsächlich Margot war. Er sagte: „Ihr hattet Recht! Das ist sie!“
„Sind Sie sich vollkommen sicher, Torben? Vielleicht sollten wir sie näher herankommen lassen!“, zweifelte Levitt.
„Ich bin mir zu einhundert Prozent sicher! Das ist Meisterin Margot!“, antwortete er mit einem grimmigen Ton in seiner Stimme. „Und sie wird uns jetzt zum Orden führen!“
„Nicht so schnell! Sehen Sie, der Chauffeur begleitet sie auf den Friedhof!“, gab Mosche rasch zu bedenken.
Torbens Hand lag jedoch bereits auf dem Türöffner der Wagentür und er erwiderte: „Das ist mir egal! Ich spreche sie einfach an! Was will sie schon machen, mich am helllichten Tage erschießen und wegrennen? Sie wird mit mir reden müssen!“
„Dann sollten Sie wenigstens eine Schutzweste tragen! Wir haben welche im Kofferraum!“, forderte ihn Levitt auf.
Torbens Antwort bestand nur aus zwei Worten: „Zu spät!“ Noch während er diese aussprach, entriegelte er die Tür, trat auf die Straße und ließ Julia mit zwei derb fluchenden Mossad-Agenten hinter sich zurück.
Margot hielt einen Strauß weißer Dahlien in der Hand und betrat mit ihrem Fahrer, einem circa einen Meter neunzig großen, athletisch wirkenden Mann mit dunklem Teint und nach hinten gegeltem Haar, den Friedhof. Torbens Abstand zu ihr betrug weniger als dreißig Meter und er folgte ihr zügig, um die Entfernung nicht noch größer werden zu lassen. Als er sah, wie sie einen kleinen Weg auf der rechten Seite einschlug, der unter einigen alten und schattenspendenden Platanen hindurchführte, beschleunigte er seine Schritte noch mehr. Links und rechts des Pfades reihten sich moderne Grabsteine genauso wie verwitterte Putten und brüchige Steinkreuze, aber nichts davon konnte jetzt sein Interesse wecken oder ablenken. Er wollte nur noch eines: Margot stellen und dazu zwingen, ihm seine Fragen zu beantworten. Und je näher er diesem Ziel kam, umso mehr Adrenalin strömte durch seine Adern.
Das Knirschen des Sandes unter seinen Füßen, das seinen schnellen Schritt verriet, erregte wenig später die Aufmerksamkeit von Margots Begleiter. Er drehte sich zu ihm um, aber Torben war bereits zu nah und drängte einfach an ihm vorbei. Bevor der Leibwächter reagieren oder etwas sagen konnte, umrundete er auch Margot und stellte sich der sichtlich überraschten Priesterin in den Weg und begrüßte sie mit einem: „So schnell sieht man sich wieder!“
Der Bodyguard wollte Margot sofort von Torben wegziehen, aber seine Schutzperson überwand sehr schnell ihren ersten Schock, erhob die Hand und sagte: „Schon gut, Tim! Ich kenne diesen Mann!“
Der so Angesprochene schien trotzdem unschlüssig, wie er sich verhalten sollte. Er musterte Torben offen feindselig und antwortete: „Madam, wollen Sie wirklich mit ihm reden? Ich könnte …“
„Nein, nein, es ist schon gut! Es ist ein alter Bekannter, den ich lange nicht gesehen habe. Ich war nur etwas überrascht, ihn hier anzutreffen. Wir werden ein Stück gemeinsam gehen, um uns ungestört zu unterhalten. Sie können uns ja mit etwas Abstand folgen.“ Widerwillig nickte Tim und zog sich einige Meter zurück. Aus den Augenwinkeln heraus sah Torben, wie er aus der Innentasche seines Jacketts ein Handy zog und eine Nummer wählte.
Margot ergriff Torbens Arm und zog ihn weg. Sie sagte mit einem Seufzen: „Zwar wüsste ich gerne, wie Sie mich gefunden haben, aber für die Beantwortung dieser Frage wird keine Zeit bleiben.“ Sie deutete mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung ihres Kopfes in Tims Richtung und sprach weiter: „Er wird die anderen informieren. Wir müssen uns also beeilen.“
Während des Gehens musterte sie von der Seite kurz sein Gesicht. „Das erinnert mich an unsere letzte Begegnung. Offenbar haben wir nie viel Zeit für unsere Gespräche.“ Sie lächelte. „Es ist schön, dass Sie noch am Leben sind!“
„Das habe ich nicht dem Orden zu verdanken!“, knurrte Torben wenig charmant zurück. Die fast schon liebenswürdige Reaktion seiner Kontrahentin irritierte ihn, sorgte jedoch dafür, dass sich seine Nerven etwas beruhigten und seine Anspannung von ihm abfiel. Zumindest war sie bereit, mit ihm zu sprechen.
Derweil nickte Margot und führte ihn weiter. „Ich kann Sie verstehen. Dann lassen Sie es mich so formulieren: Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns noch einmal begegnen würden, aber ich freue mich umso mehr, Sie zu sehen!“
Wie zur Bekräftigung ihrer Aussage spürte Torben, wie sich ihr Händedruck auf seinem Arm kurz verstärkte.
„Sie freuen sich? Tatsächlich? Das ist gut, denn Sie werden mir eine Menge Fragen beantworten müssen!“
„Sie wissen, dass ich das nicht kann!“
Torben blieb stehen und zwang Margot dadurch, das Gleiche zu tun. „Hören Sie endlich auf, an diesem Punkt waren wir doch bereits einmal! Seitdem habe ich eine Menge selbst herausbekommen! Ich weiß zum Beispiel von der Flucht der schwangeren Eva Braun aus dem eingeschlossenen Berlin! Mein Großvater hat dieses Entkommen erst möglich gemacht, nicht wahr? Ich habe eine Vermutung und möchte