Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
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»Das will ich nicht sagen«, hatte sie erwidert.
»Was gefällt dir daran nicht, Tante Annemarie?«
»Dein Daddy hat andere Pläne, Rubinchen, und es ist besser, wenn du dich nicht in Träumen verlierst.«
»Immer möchte ich nicht in Sophienlust bleiben«, hatte Rubinchen gesagt. »Es kann ja sehr schön sein. Nick hat mir viel erzählt. Pünktchen ist auch schon viele Jahre dort, aber sie hat schließlich keinen Daddy. Schlimm wäre es schon, wenn Daddy eine Frau hätte, die ich nicht mag, und wenn man einen Daddy hat, will man ihn doch auch sehen. Nick hat auch gesagt, dass manche Leute Kinder adoptieren. Würdet ihr mich vielleicht adoptieren?«
»Wir wollen uns darüber jetzt nicht den Kopf zerbrechen, Rubinchen. Jetzt wird erst geschlafen.«
Das war ein recht billiger Rückzug nach Annemarie von Willbrechts Meinung. Sie hatte kein besonders gutes Gewissen dabei.
Sie fand in dieser Nacht auch keine Ruhe. Sie hörte die Schoeneckers kommen, aber sie waren allein. Dann ging sie in die Küche und machte sich ein Glas Orangensaft zurecht. Warum sie das tat, wusste sie nicht, denn Durst verspürte sie eigentlich nicht. Sie saß in der Küche auf der Eckbank, sinnierte und nach einer Weile vernahm sie wieder, dass die Haustür aufgeschlossen wurde.
Pipp erhob sich von seinem Schlafplatz, aber er schlich gleich wieder auf seine Decke zurück.
Das alles kam ihr recht merkwürdig vor. Sie öffnete leise die Küchentür. Im Treppenhaus war es dunkel, aber sie sah, dass Nannis Tür im Obergeschoss geöffnet wurde, und sie vernahm flüsternde Stimmen. Dann wurde die Tür wieder geschlossen. Nur die eine.
Annemarie von Willbrecht lehnte an der Wand, und ihr Herz klopfte wie ein Hammer. Mein Gott, dachte sie, lass das Kind nicht unglücklich werden.
Sie lag noch lange mit offenen Augen in ihrem Bett, die Hände gefaltet. Was konnte sie schon anderes tun, als für das Glück ihres Kindes beten. Nanni war erwachsen. Sie musste ihren Weg gehen, so oder so.
*
Rubinchen war der Meinung, während der letzten Tage viel zu viel geschlafen zu haben. Gewohnt, schon ganz früh am Morgen aufstehen zu müssen, erschien es ihr widersinnig, auch im Bett zu bleiben, wenn ihr nicht danach zumute war.
Sie hatte herrlich geträumt und fühlte sich pudelwohl. Der Kopf schmerzte nicht mehr, und das Bein tat auch nicht mehr weh. Sie stand leise auf und schlich zum Fenster.
Heute war Sonntag. Dr. Belling hatte gestern gesagt, dass er heute wohl nicht kommen müsse. Dafür war Daddy gekommen, und er schlief nur ein paar Zimmer von ihr entfernt. Tante Annemarie hatte es ihr gesagt.
Gestern war ihr Daddy mit den Schoeneckers noch aus gewesen, aber auch mit Nanni. Sie wollte doch zu gern hören, wie es gewesen war und was Daddy über Nanni sagte.
Auf Zehenspitzen ging sie zur Tür. Schon stand sie draußen auf dem Gang. Sie überlegte. Das war Nicks und Henriks Zimmer und daneben war das von Herrn und Frau von Schoenecker. Dann musste das nächste das ihres Daddys
sein.
Sie stand ein paar Sekunden vor der Tür und lauschte, dann drückte sie leise die Klinke nieder.
Rubinchen schob sich in das Zimmer und ließ ihren Blick herumschweifen. Sie hatte sich gleich an das Dämmerlicht gewöhnt. Lautlos tappte sie zum Bett und vernahm tiefe, ruhige Atemzüge. Sie kniete auf den Bettrand und beugte sich über das warme Gesicht, das ein bisschen stopplig war. Sie fühlte sich versucht zu lachen, weil sie das schon lange nicht mehr erlebt hatte, sich aber noch gut daran erinnern konnte, dass Daddy morgens immer solche Stoppeln gehabt hatte.
»Nanni«, flüsterte er, »Liebste!«
Rubinchen hielt den Atem an. Sie war ebenso erschrocken wie beglückt. Das klang so schrecklich lieb, und sie hätte es gern noch einmal gehört, dann aber fürchtete sie, dass es Daddy gar nicht recht sein würde, dass sie es gehört hatte.
Lautlos, wie sie gekommen war, schlich sie wieder zurück. Auf dem Gang blieb sie stehen, und ihr Herz klopfte ungestüm.
»Rubinchen«, sagte da eine Stimme – eine Stimme, die sie über alles liebte. Nanni erschien in ihrer Tür.
»Ich wollte nach Daddy gucken, aber er schläft noch«, flüsterte Rubinchen, und ihre Augen glänzten dabei wie Sterne.
»Du bist barfuß«, sagte Nanni besorgt.
»Tut mir leid, Nanni«, flüsterte Rubinchen. »Ich habe es gar nicht bemerkt. Du bist auch schon munter.«
»Komm, wärme dich bei mir auf«, sagte Nanni, hob sie empor und trug sie in ihr Zimmer, in ihr noch warmes Bett, in das Rubinchen sich wie ein Kätzchen hineinkuschelte.
»Meine Uhr war stehen geblieben. Ich wollte nur schauen, wie spät es ist«, sagte Nanni.
»Horch, die Uhr schlägt«, flüsterte Rubinchen.
Siebenmal schlug sie.
»Heute ist Sonntag«, sagte Nanni.
»Ein schöner Sonntag«, sagte Rubinchen. »Sonst musste ich auch sonntags immer früh aufstehen. War es gestern Abend schön, Nanni?«
»Sehr schön.«
»Hast du dich gut mit Daddy verstanden?«
»Wir waren nett beisammen«, erwiderte Nanni zögernd.
»Erzähle mir ein bisschen etwas. Was habt ihr denn so geredet?«
»Wir haben getanzt«, sagte Nanni träumerisch.
»Kann Daddy gut tanzen? Mit dir bestimmt. Da werden die Leute geschaut haben.«
Hoffentlich nicht, dachte Nanni beklommen. Da habe ich nun seine Tochter im Arm. Was soll denn jetzt nur noch werden? Welche verfänglichen Fragen würde Rubinchen wohl noch stellen?
Sie stellte aber keine mehr. Sie kuschelte sich in Nannis Arm und sagte: »Am allerliebsten würde ich immer bei dir bleiben, Nanni. Könnten wir nicht auch anderswohin gehen, wo keine Tante Lilo ist, die uns nachschnüffelt?«
Was hatte Jan gesagt, bevor er sie aus seinen Armen ließ?
»Wir werden irgendwohin gehen, wo niemand uns kennt, wo wir allein sind mit unserer Liebe, Nanni.«
Und mit Rubinchen, dachte Nanni. Abe würde das jemals Wirklichkeit werden? Würde Jan auch heute noch so denken?
*
Niemand dachte an Teresa Hagen an diesem Vormittag. Nanni nicht, Jan erst recht nicht, und selbst Annemarie von Willbrecht hatte über ihre familiären Probleme die alte Freundin vergessen.
Es war Dr. Belling, der sie daran erinnerte. Er hatte einige Krankenbesuche zu machen und wollte noch einmal rasch bei Rubinchen vorbeischauen. Aber sie spielte schon ganz vergnügt mit Nick und Henrik.
»Sie haben wirklich eine ganz erstaunliche Tochter, Herr Campen«, sagte er zu Jan. »Dann