Dr. Norden Staffel 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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»Spießig? Offenbar ist noch nicht zu dir vorgedrungen, dass Tanzen gut für die Konzentration ist, alle Muskelpartien trainiert und durch die verschiedenen Musikstile auch noch die Allgemeinbildung gefördert wird«, echauffierte sie sich erbost.
Gerade wollte sie zu weiteren Argumenten ausholen, als Lenni ins Wohnzimmer polterte. Die Haushälterin der Familie Norden hatte in der Küche das Abendessen vorbereitet, als sie den geschwisterlichen Streit hörte. Zuerst hatte sie beschlossen, die beiden das Problem allein lösen zu lassen. Durch die Angst um ihre Mutter waren die beiden aber alles andere als vernünftig, und Lenni sah schnell ein, dass an eine einvernehmliche Einigung nicht zu denken war.
»Ach, Kinder, habt ihr was dagegen, wenn ich ein bisschen fernsehe? Ihr schaut doch sowieso nicht. Dann kann ich doch sicher meine geliebte Sprechstunde anschauen?«, nutzte sie die Gunst der Stunde.
Ohne eine Antwort abzuwarten, griff sie nach der Fernbedienung und ließ sich in den gemütlichen Fernsehsessel fallen, der neben der Couch in einer Ecke stand.
Weder Janni noch Dési wagten es, ihrer geliebten Lenni diesen Wunsch abzuschlagen. Während sich die Haushälterin zurücklehnte, schickte Dési ihrem Zwillingsbruder einen funkelnden Blick. Darin lag ein gewisser Triumph.
»Gute Idee. Die Sprechstunde schaue ich mir eigentlich auch ganz gern an. Da werden manchmal ziemlich spannende Fälle behandelt«, erklärte sie mit so demonstrativ freundlicher Stimme, dass Janni ihr hinter Lennis Rücken die Zunge heraus streckte.
»Finde ich auch«, beschloss er dann, sich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen, und plumpste auf die Couch neben Dési. Er griff in die Schale mit den Nüssen und nahm eine große Handvoll heraus. Nebenbei leerte er das Glas Apfelschorle in einem Zug. Ehe seine Schwester aber protestieren konnte, wurde sie von Lennis überraschtem Ruf abgelenkt.
»Seht euch das an! Der Mann sieht genauso aus wie eure Mutter«, erklärte die Haushälterin aufgeregt und drückte hektisch auf der Fernbedienung herum, um den Ton lauter zu stellen.
Schlagartig fuhren die Köpfe der Zwillinge herum. Einen Moment lang herrschte Schweigen im Zimmer, und nur die Kommentare des Sprechers waren zu hören.
»Also ich finde, dass Mami schon noch ein bisschen hübscher ist«, bemerkte Janni dann ironisch, und wohl oder übel musste Dési grinsen.
»Natürlich sieht sie ihm nicht ähnlich«, korrigierte sich Lenni schnell und rutschte aufgeregt in ihrem Sessel hin und her. »Aber da, seht doch! Er hat auch diese dicken Lippen. Seid mal still, damit ich hören kann, welche Krankheit er hat.«
»… leidet am seltenen Stevens-Johnson-Syndrom. Die extrem seltene Erkrankung beginnt mit schweren Störungen des Allgemeinbefindens, Fieber und Grippesymptomen«, berichtete der Arzt auf dem Bildschirm über die Erkrankung des Mannes. »Die Schleimhäute sind massiv beteiligt und es bilden sich schmerzhafte Blasen im Mund- und Rachenraum …«
»Genau wie bei eurer Mutter«, erklärte Lenni aufgeregt.
»Pssst!«, ließ die Ermahnung nicht lange auf sich warten. Diesmal kam sie von den Zwillingen, die wie gebannt auf den Bildschirm starrten und die Worte des Arztes verschlangen.
»Da die Patienten zudem unter massiven Hautausschlägen leiden, ist eine Diagnose meist nicht schwierig«, schloss der Arzt seine Ausführungen, ehe er sich direkt an den Patienten wandte und ihm eine Frage stellte. Doch Jan und Dési hatten genug gehört.
»Mami hat keine Ausschläge«, winkte Janni ab und sah Dési verwundert nach.
Sie war von der Couch aufgesprungen und im Begriff, das Zimmer zu verlassen.
»Es gibt immer Ausnahmen! Vielleicht kommen die Flecken ja noch. Los, wir müssen Papi anrufen und ihm den Namen dieser Krankheit sagen. Wenn die Ärzte einen Anhaltspunkt haben, finden sie bestimmt schneller raus, was Mami fehlt.«
»Deine Schwester hat recht«, stellte Lenni fest. Sie schaltete den Fernseher aus und stand ebenfalls auf, um Dési zu folgen.
Auch Janni erhob sich und wollte schon das Wohnzimmer verlassen, als sein Blick auf die Fernbedienung fiel. Schnell steckte er sie in die Hosentasche.
»Vorsorglich«, murmelte er, ehe er schnell Désis aufgeregter Stimme folgte, die bereits mit Daniel telefonierte und ihm von der bemerkenswerten Entdeckung erzählte.
*
Als die Ärzte zu Sebastian Hühn ins Zimmer gekommen waren, hatte Ricarda die Gunst der Stunde genutzt und sich einen Kaffee in der Caféteria der Klinik gekauft. Essen konnte sie nichts. Aber das heiße Getränk weckte ihre Lebensgeister, sodass sie eine halbe Stunde später sichtlich gestärkt zu ihrem Freund zurückkehrte.
»Hey, da bin ich wieder«, begrüßte sie ihn munter und wollte wieder zu ihm ins Bett schlüpfen.
Zu ihrem großen Erstaunen starrte Sebastian demonstrativ aus dem Fenster. Er würdigte sie keines Blickes. Nicht das kleinste Lächeln spielte um seine schön geschwungenen Lippen, die so fantastisch küssen konnten.
»Nicht jetzt!«, wehrte er ab, als sie trotzdem Anstalten machte, sich zu ihm zu kuscheln.
Erschrocken zuckte Ricarda zurück.
»Was ist passiert?« Die Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben.
»Ich werde morgen früh operiert«, erklärte er mit Grabesstimme.
»Aber das wissen wir doch schon.« Erleichtert sank Ricarda auf die Bettkante und griff nach Sebastians Hand. »Hey, falls du Angst vor der Narkose haben solltest … das ist wirklich nicht schlimm. Ich weiß noch gut, wie es mir gegangen ist. Ich bin fast gestorben, als sie bei mir letztes Jahr eine Bauchspiegelung machen mussten. Dafür hab ich auch eine Narkose gebraucht. Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich gezittert hab. Aber dann war auf einmal alles ganz …«
In diesem Moment hielt Sebastian es nicht mehr aus.
»Kannst du bitte endlich mal still sein!«, fuhr er seine Freundin so schroff an, dass ihr augenblicklich das Wort im Hals stecken blieb.
Ricarda war so erschrocken, dass sie von der Bettkante rutschte und mit hängenden Armen vor Sebastians Bett stehen blieb. Wie sie so vor ihm stand, wie ein tieftrauriges kleines Mädchen, tat ihm seine heftige Reaktion schon wieder leid. Denn eigentlich war ihr munteres Plaudern, ihre offensichtliche Lebendigkeit ein Teil dessen, was ihn so sehr an ihr faszinierte. »Es tut mir leid, Ricky«, rang er sich zu einer Entschuldigung durch. Bevor sie sich aber freuen konnte, fuhr er schweren Herzens fort. »Ich habe keine Angst vor der Narkose. Ganz im Gegenteil. Ich habe Angst davor, wieder aufzuwachen und festzustellen, dass ich gelähmt bin.« Jetzt war die Wahrheit heraus, und am liebsten hätte er geweint. Er wagte es nicht, sie anzusehen. Statt dessen starrte er blicklos auf seine Hände, die auf der Bettdecke lagen.
Ricarda biss sich auf die Unterlippe.
»Du hast mir nicht alles gesagt, nicht wahr?«, fragte sie fast schüchtern.
Sebastian räusperte sich umständlich.
»Ich habe es vorhin erst erfahren. Frau Dr. Behnisch meint, dass ich vielleicht gelähmt bleibe.«
»Du hast nichts gespürt, keine Schmerzen … Da dachte ich gleich an so was.« Wie zur Bestätigung nickte die Krankenschwester. »Aber ich wollte