Der lange Weg nach Hause. Kurt von Schuschnigg

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Der lange Weg nach Hause - Kurt von Schuschnigg

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Laut.«

      Ich schloß die Tür, zählte wie befohlen bis zehn und öffnete sie wieder. Der Kasten war leer. Ratlos stand ich da, stieg hinein, griff in die Luft und betastete die Innenwände, bis mir auf die Schulter geklopft wurde. Ich drehte mich um. Da stand sie, breit grinsend. Sie nahm meine Hand und legte sie auf etwas, das sich wie Metall anfühlte, einen Hebel, der aus der hinteren Ecke des Kastens hervorschaute und den ich in der Eile übersehen hatte. Ich drückte ihn hinunter, eine Wand sprang auf und dahinter lag der Garten. Jetzt war auch ich von Fräulein Alices Fröhlichkeit angesteckt, als sie mich zum angrenzenden Biedermeiersalon zog. Sofas und Sessel mit grün-weiß gestreiften Seidenüberzügen waren im Zimmer verteilt, dazwischen Kredenzen und Kommoden in satten Brauntönen. »Die Sachen deiner Mutter schauen doch wunderschön aus in diesem Zimmer. Hier kannst du soviel Zeit verbringen, wie du möchtest.« Sie fuhr mir durchs Haar und ergänzte: »Hier ist ja auch wenig Zerbrechliches, und das ist schon an dich gewöhnt.«

      Als nächstes kamen wir ins Eßzimmer. Ein kurzer Griff zu einem Schalter und ein riesiger Luster mit hunderten Kristallprismen erwachte zum Leben. Direkt darunter stand ein runder, glänzend polierter Eßtisch. Weniger gut schienen mir die beleuchteten Glasvitrinen an beiden Enden des Zimmers dazuzupassen. Sie waren voll alten Porzellans, dem eine Reinigung gut getan hätte. Aber Fräulein Alice meinte, altes Porzellan solle so ausschauen. Es war wirklich unglaublich, wie sie meine Gedanken las.

      In Vaters Arbeitszimmer bemerkte ich als erstes den in einem Feld reifen Getreides seine Sense schwingenden Bauern von Egger-Lienz. Das Bild war mir vertraut, dank seiner fühlte ich mich weniger als Eindringling in einem fremden Haus. Ich setzte mich an Vaters Schreibtisch. Vor mir standen die in Silber gerahmten Fotos von Mutter und mir und das von meinen Großeltern. Das waren also die ersten Dinge, die Vater sah, wenn er sich hinsetzte. Wir waren immer alle da, alle zusammen. Ich warf noch einen Blick in das angrenzende Schlafzimmer und Bad. Die Bürsten, Kämme und anderen Dinge, die Vater benützte, beruhigten mich, sie versprachen seine tägliche Anwesenheit.

      Auch mein Zimmer war riesig. Es schien mir doppelt so groß wie jenes, das ich erst am Morgen verlassen hatte, und das war großzügig dimensioniert. »Fräulein Alice, ich glaub es nicht. Da ist meine ganze Modelleisenbahnanlage, mit Schienen, Tunnels, Bäumen und dem Rangierbahnhof, und das alles füllt nicht einmal diese eine Ecke aus. Hier kann ich sogar Radfahren oder Rollschuhlaufen.« Mit einem unterdrückten Lächeln runzelte sie die Stirn. »Damit eines klar ist, junger Mann, in diesem Zimmer wird weder Rad gefahren noch Rollschuh gelaufen.« Ich öffnete die Türen der Kleiderkästen und schaute aus jedem Fenster in die Gärten. Das würde alles gut klappen.

      Großvaters Zimmer und Bad war gleich nebenan. So würde er leicht zu meiner Eisenbahn kommen, die er genauso mochte wie ich. Am anderen Ende des Hauses lag Oberstleutnant Bartls Quartier.

      »Fräulein Alice, das muß schon ein besonderer Gärtner gewesen sein, wenn der so gelebt hat.« Das brachte sie zum Lachen. »Zur Zeit des Gärtners des Prinzen Eugen, der diese großartige Palastanlage erbauen ließ, hat das nicht so ausgeschaut, Kurti. Seither wurde in den zweihundert Jahren hier wohl einige Male umgebaut, und zuletzt haben viele Leute hart gearbeitet, damit daraus ein so schönes Zuhause für deinen Vater und dich wird. Die Räume im Kriegsministerium waren doch nur eine Übergangslösung. Das hier ist viel besser geeignet.«

      »Trotzdem. Ich möchte wetten, daß der Gärtner weinen würde, wenn er sein altes Haus jetzt sehen könnte«, sagte ich und war glücklicher denn je, seit wir uns zum ersten Mal in Richtung Wolfgangsee aufgemacht hatten.

      »Kurti, komm her! Es geht noch weiter.«

      Wir nahmen den Weg durch das Musikzimmer. Draußen erwartete uns eine wahre Farbenpracht. Die riesigen Blumenbeete standen in voller Blüte. Rote Geranien, so groß wie kleine Bäume, Rosensträucher in verschiedenen Farben, lila Gladiolen, rosa Begonien. Der hintere Teil des Gartens wurde von einer dichten, hohen Buchsbaumhecke umrahmt. »Wer wohnt hier hinten?«, fragte ich. Sie winkte mich weiter.

      »Komm!«

      Die Hecke verdeckte eine Tür. Fräulein Alice schritt hindurch. Vor uns lag ein anderer Teil der Gärten des Palais Belvedere, nicht mehr streng angelegt, ein natürlich bewaldetes Areal. Im Vordergrund stand eine riesige Ulme, dahinter Eichen und Linden. Es gab Gruppen von blaßvioletten Rhododendren und Grasteppiche mit Fußwegen. An einem großen, runden Seerosenbecken vorbei gingen wir auf das eigentliche Belvedere zu. Fräulein Alices Freude an allem, was wir sahen, war entzückend kindlich. Sie platzte fast vor Aufregung.

      »Kannst du dir vorstellen, daß wir das alles nur mit den Nonnen vom Kloster nebenan teilen müssen?«

      »Da wohnen Nonnen nebenan?«

      »Es ist das Mutterhaus der ›Töchter der Göttlichen Liebe‹, der Eingang ist ganz da drüben, an der Ecke Jacquingasse.« Und leicht sarkastisch fügte sie hinzu: »Was hast du gedacht? Daß die jeden Tag zum Tee bei dir vorbeikommen? Ihr Tagesablauf dürfte schon lange ziemlich geregelt gewesen sein, ehe wir hierher gezogen sind, Kurti. Außerdem, wenn wir nicht zu ihren üblichen Stunden in den Park gehen, werden wir sie nicht viel sehen. Ich könnte mir denken, daß sie nicht einmal so begeistert sind, den Park jetzt mit uns teilen zu sollen. Hast du dir das einmal überlegt?«

      Hatte ich natürlich nicht. Auch machten mir Nonnen als Nachbarinnen nicht viel aus. Ich fragte mich nur, ob ihre Anwesenheit vielleicht hinderlich wäre.

      »Und dann gibt es da noch den Botanischen Garten, zu dem wir Zutritt haben, wenn er für die Allgemeinheit geschlossen ist. Ich würde sagen, daß zwischen den Nonnen und dem ganzen Platz, den wir hier haben, ein kleines Fleckchen Himmel ist. Hab ich nicht recht?«

      Ich dachte an Purzel und wie sehr es ihm hier gefallen würde. Ohne Zweifel hatten wir beide großes Glück.

      Die neue Umgebung und die Zeit, die Wunden heilt, wirkten positiv auf Vater und mich, abgesehen von meiner doppelseitigen Lungenentzündung mit Scharlach als Draufgabe. Purzel war nicht der einzige gewesen, der an den kühlen Frühlingsabenden nicht ins Haus zurück gewollt hatte. Aber Glück und die Zeit retteten auch diese Situation: In Wien wirkte einer der bekanntesten Lungenspezialisten, Professor Heinrich Neumann. 1938 sollte auch dieser hervorragende Arzt gezwungen werden, sich in Amerika ein neues Zuhause zu suchen. Dort kümmerte er sich um Präsident Franklin D. Roosevelts Lungen und wurde noch später Leibarzt von König Ibn Saud, dem Herrscher Saudi-Arabiens. Jetzt aber war ich es, dem er seine Aufmerksamkeit widmete.

      Die Aktivität in den Gängen des Belvederehauses nahm merklich zu. Kompressen, Wasserschüsseln, kalte und heiße Getränke wurden hin und her getragen. War es für mich deprimierend, zeigte sich doch endlich wieder Licht am Ende des Tunnels. Auch anderer Verkehr nahm zu: Lieferungen neuer Spielzeugsoldaten, neue Strecken für meine – und Großvaters – elektrische Eisenbahn, auch mancher Tunnel oder Landschaften aus Papiermaché. Nach drei Wochen im Bett war ich vollkommen überzeugt, das alles verdient zu haben. Als sich die Dinge normalisiert hatten, wurde ich auch wieder in den Salon gerufen, durfte dem Ruf aber erst nach genauer Musterung durch Fräulein Alice Folge leisten.

      Eines Nachmittags kam der österreichische Rüstungsmagnat Fritz Mandl mit seiner Frau zum Tee. Ich hatte vorher noch kein Ehepaar gekannt, bei dem Mann und Frau verschiedene Familiennamen trugen. Ein weiteres Mysterium war, daß Herrn Mandls Frau »Fräulein« genannt wurde. Fräulein Alice als Quelle allen praktischen Wissens erklärte mir, daß Hedwig Kiesler, Herrn Mandls Frau, ein Filmstar war und daß Filmstars immer »Fräulein« genannt wurden, auch wenn sie verheiratet waren. Aber letztlich war es mir egal, wie sie hieß. Wäre ich ein Hund gewesen, ich hätte mich zu ihren Füßen gelegt. Sie war die schönste Frau, die ich je gesehen hatte. Genaugenommen klebte ich an ihr wie eine Klette.

      Einmal zwickte sie mich spielerisch in die Nase und zog

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