Die Messermacher. Petra Mehnert
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Erleichtert stellte sie daher fest, dass dieser junge Polizist
die natürliche Todesursache wohl nicht infrage stellte, denn Herr Kiss entließ sie mit den Worten, nun den jüngsten Spross der Familie sprechen zu wollen. Zu seiner Überraschung kam jedoch auch Nora mit den Worten herein:
„Mein Bruder ist erst sechzehn, den dürfen Sie nur gemeinsam mit einem erwachsenen Familienmitglied befragen und so bin ich gleich mitgekommen. Das ist doch in Ordnung, oder?“, fragte sie selbstbewusst und ließ sich in einen freien Sessel fallen. Die Beamten waren derart überrumpelt, dass sie nur nicken konnten. Doch Joska hatte sich gleich wieder gefasst und sagte:
„Sie kennen sich ja gut aus in unseren Gesetzen, muss ich feststellen.“
„Ich lese sehr viele Krimis und schaue solche Serien im Fernsehen an. Da lernt man eine Menge“, erklärte Nora nur und beugte sich interessiert vor.
„Was wollen Sie noch wissen?“
„Wer hat die Leiche entdeckt?“, fragte Herr Clemens, doch Joska winkte sofort ab.
„Das wissen wir doch schon. Der alte Angerer hat sie entdeckt.“
„Davon gehen wir aus, aber wissen tun wir das nicht. Ich wollte eigentlich wissen, wer von den hier Anwesenden heute früh die Leiche zuerst gesehen hat“, berichtigte sich Herr Clemens und schaute die beiden Jugendlichen fragend an.
„Das war ich“, sagte Felix leise und sah im gleichen Augenblick wieder die starren Augen seiner toten Großmutter vor sich.
„Hat sie da schon so dagelegen, wie ich sie vorhin vorgefunden habe?“, wollte Joska wissen.
„Nein … äh … das heißt ja“, fing Felix stotternd an, doch seine Schwester kam ihm zu Hilfe:
„Dagelegen hat sie genauso, wie sie bis vorhin gelegen hat, bevor die Bestattungsfirma sie mitgenommen hat. Als wir sie gefunden haben, hatte sie aber die Augen noch offen. Mein Vater hat sie dann zu gemacht“, antwortete Nora nun sachlich, doch ihrem Bruder lief dabei ein kalter Schauer über den Rücken. Nora bemerkte es und legte fürsorglich einen Arm um ihren zitternden Bruder.
„Sie hat so gestarrt“, murmelte Felix mehr zu sich selbst und die Kommissare wollten nun nicht noch mehr in den Jungen eindringen. Nach dem Verhältnis ihrer Großeltern untereinander gefragt, antworteten beide, dass es ganz normal gewesen wäre. Jeder hatte seine Aufgabe und seine Stellung in der Familie und niemand hätte daran etwas ändern wollen.
„Hat eure Oma Unterschiede zwischen euch gemacht?
Hatte sie einen von euch mehr lieb als den anderen?“, fragte Herr Clemens und Joska sah ihn ob dieser Frage entsetzt an. Was sollte das nun schon wieder?
Bevor Felix allerdings den Mund aufmachen konnte, kam Nora ihm zuvor:
„Nein. Unsere Oma hatte uns beide gleich lieb und wir sind sehr traurig, dass sie nun nicht mehr bei uns ist. Nicht wahr, Felix?“, fragte die junge Dame und drückte ihren Bruder fest an sich. Der schaute mit einem eigenartigen Blick zu seiner Schwester auf, nickte dann aber bestätigend.
„Also alles in allem eine rundum glückliche und harmonische Familie, nicht wahr?“, stellte Herr Clemens fest, aber es klang ironisch, obwohl es eher eine Feststellung als eine Frage war. Doch Nora fühlte sich sofort angegriffen und sagte mit Nachdruck:
„Ob Sie`s nun glauben oder nicht! Wir sind eine glückliche Familie! Meine Oma war krank und ist eben gestorben und mein Opa meldet sich bestimmt nach dem ersten Schock wieder bei uns, da können Sie sicher sein!“ Sie brachte das mit so viel Überzeugung vor, dass es den beiden Polizisten zunächst die Sprache verschlug. Darauf wussten sie einfach nichts zu erwidern – es klang alles so logisch und perfekt.
Oder fast zu perfekt?
Ein leiser Zweifel nistete sich bei Joska Kiss ein, doch noch konnte er diesen Gedanken nicht weiterverfolgen und ihm fielen dazu auch keine passenden Fragen ein. Vorerst zumindest nicht – er wollte die Sache zunächst auf sich beruhen lassen. Vielleicht meldete sich der Reno Angerer ja wirklich in den nächsten Stunden oder Tagen – dann konnte er befragt werden und hoffentlich alles aufgeklärt werden. Oder es taten sich neue Fragen auf.
„Nun gut, liebes Fräulein Angerer“, meinte Joska und erhob sich aus seinem weichen Polster. „Lassen wir es für heute gut sein. Wir warten noch bis Mittwoch ab. Wenn sich Ihr Großvater bis dahin nicht gemeldet hat, werden wir die Vermisstenanzeige aufnehmen und eine Fahndung nach ihm einleiten. Melden Sie sich bitte umgehend, sollten Sie etwas von ihm hören – aber wirklich sofort! Haben Sie das verstanden?“
„Natürlich – das versteht sich doch von selbst, lieber Herr Kiss“, antwortete Nora etwas zickig. Was dachte der Kerl denn von ihr?
„Ich werde das den anderen Familienmitgliedern auch noch einschärfen, falls sich Herr Angerer senior aus irgendeinem Grund nur mit einem von Ihnen in Verbindung setzen sollte. Kann man ja nie wissen, stimmt`s Herr Clemens?“, fragte Herr Kiss seinen Kollegen und hoffte auf dessen Zustimmung. Doch der murrte nur:
„Wenn Sie meinen, Herr Kiss. Ich sehe zwar keinen Grund,
warum er das tun sollte, aber …“.
Weiter kam er nicht, denn Joska unterbrach ihn forsch:
„Man muss alle Möglichkeiten durchdenken, das haben Sie doch sicher schon bei uns gelernt. Aber lassen wir das jetzt. Wir gehen und … ach ja. Falls der Hund auftauchen sollte, wüssten wir das auch gerne umgehend!“, versetzte er streng und ging dann den klappernden Tischgeräuschen nach. Für seine Ansage brauchte er gar nicht nach allen anderen zu suchen, denn sie saßen einhellig beim Mittagessen beisammen, wozu sich nun auch die zuletzt befragten Jugendlichen setzten. Allerdings hatten diese keinen Hunger, sie stocherten nur traurig in ihrem Essen herum. Beim Anblick der schwäbischen Maultaschen lief Herrn Clemens nun doch das Wasser im Munde zusammen, während Herr Kiss angewidert das Gesicht verzog. Seine ungarischen Wurzeln machten sich breit und ließen es nicht zu, dieses urschwäbische Mahl als lecker zu befinden. Sofort drängte sich ihm das Bild eines dampfenden, scharfen Gulaschs auf und auch er bekam augenblicklich Hunger.
„Nun denn … wir sind fürs Erste mit unseren Fragen durch. Sie melden sich, wenn es irgendetwas Neues gibt – egal was es ist. Hier sind meine Karte und die meiner Chefin. Einen guten Appetit noch und ich hoffe für Sie alle, dass Herr Angerer Senior sich bald meldet und dass es ihm gut geht.“
Mit diesen Worten ging Herr Kiss hinaus, doch Herr Clemens nickte den Angerers nur zu und folgte seinem Kollegen nach draußen. Als die beiden Polizisten fort waren, atmeten die Angerers hörbar auf und Nora sagte:
„Der Herr Kiss ist