Seerausch. Marlies Grötzinger

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Seerausch - Marlies Grötzinger

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Sie richtete sich auf, schaute ihrem Kollegen in die Augen und fragte: »Du hast schon vor dem Unglück alles gewusst von Carl und mir, nicht wahr?«

      Markus strich ihr über Schultern und Rücken und sagte noch einmal: »Du bist wieder hier, Isabel. Das allein zählt. Es ist nicht deine Schuld, wie alles gekommen ist. CaWe allein ist verantwortlich für das, was er tut.«

      Obwohl Isabel nie ein Wort darüber verloren hatte, hatte Markus geahnt, dass der Chef sich Isabel genommen hatte wie so viele andere vor ihr. Er hatte es bereits befürchtet, als er Isabel zum ersten Mal gesehen hatte. Ihre natürliche Schönheit, die Make-up nicht nötig hatte, ihr herzliches und offenes Wesen, ihre Unschuld beeindruckten auch ihn. Er arbeitete gern und gut mit Isabel zusammen. Immer mal wieder hatte er versucht, sie durch die Blume vor den Absichten des Chefs zu warnen. Aber er wusste, dass Gefühle und Triebe stärker sein können als der Verstand. Das hatte er nicht nur in der theoretischen Ausbildung gelernt, die polizeiliche Praxis konfrontierte ihn beinahe täglich mit den Abgründen menschlichen Handelns.

      Isabel löste sich aus seiner Umarmung und betonte: »Es war nicht nur sein Fehler, ich hätte es wissen müssen.« Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und fügte hinzu: »Hoffentlich wacht Carl bald auf.«

      Isabel wusste, auf Markus konnte sie sich verlassen, er war eine ehrliche Haut. Doch mit welchen Augen würden die anderen Kollegen sie betrachten, jetzt, nachdem sie sich zu einer weiteren Kerbe im Bett des Chefs hatte machen lassen? Angstvoll fragte sie sich: Werden sie lästern und tuscheln hinter meinem Rücken? Werden sie mich auch künftig als verlässliche Polizistin und pflichtbewusste Stellvertreterin des Schichtleiters akzeptieren? Wie wird sich Frieder verhalten, mein väterlicher Ratgeber und »Bärenführer«, der mir die Abläufe bei der Wasserschutzpolizei erklärt hat? Er hatte sie wie eine Tochter behandelt. »Mädle, du bist ja geradezu süchtig nach Recht und Gerechtigkeit. Das ist die beste Voraussetzung für eine gute Polizistin«, hatte er sie einmal gelobt. Mit Sicherheit war er nun enttäuscht. Würde er sie verurteilen, ablehnen? Aus der kurzen Begegnung vorhin am Empfang war sie nicht schlau geworden. Dann machte sich Isabel noch einmal klar: Die Kollegen hatten sich auf dem Boot verhalten wie pubertierende Flegel. Das Unglück wäre nicht passiert ohne deren blödsinnige Neugierde und kindische Stichelei.

      Isabel holte die Worte in ihr Bewusstsein, die Lena ihr nach einem freundschaftlichen therapeutischen Gespräch mit auf den Weg gegeben hatte: »Was passiert ist, ist passiert, und du willst stark sein. Also musst du lernen, dir solche Sachen nicht so zu Herzen zu nehmen, vieles an dir abprallen zu lassen. Leg dir eine Echsenhaut zu. Das Denken der anderen kannst du ohnehin nicht beeinflussen.« Damit drückte sie den Einschaltknopf ihres Computers. Würde sie da schon ein Shitstorm erwarten?

      Auch Markus hatte sich wieder seinen Unterlagen zugewandt und sagte nun: »Selbst wenn CaWe aus dem Koma wieder aufwacht, weiß niemand, was danach sein wird.«

      Daran wagte Isabel gar nicht zu denken, vorerst zumindest nicht. Sie überlegte, ob sie Markus von ihrem Besuch am Vortag in der Klinik erzählen sollte, entschied sich dann, es zunächst für sich zu behalten, und begann, ihre elektronische Post zu sichten. Sie war fest entschlossen, sich nun mit aller Kraft in die Arbeit zu stürzen, um wenigstens das wiedergutzumachen, und fragte: »Viel liegen geblieben die letzten Tage, Markus?«

      »Das auch. Ich konnte aber einiges abarbeiten«, antwortete Markus. »Meine Frau und meine Jungs haben sich schon beschwert, weil ich deswegen unsere gemeinsame Radtour gecancelt habe.«

      »Oh, tut mir leid.«

      Markus schmunzelte: »Das muss es nicht. Meine Familie ist ohne mich nach Konstanz rüber. Die haben es sich gutgehen lassen, sind mal wieder ins SEA LIFE und haben gebummelt. Und ich konnte wenigstens abends noch eine Runde mit meinem Bike drehen.« Er schwenkte einen Packen Papiere und wechselte den Tonfall: »Die Kollegen der Kripo, der Schorsch und der Mehmet, waren übrigens auch schon da und haben uns zum Hergang des Unglücks befragt. Die haben uns ganz schön auf Trab gehalten.«

      Isabel hob überrascht den Kopf, sah Markus an und fragte: »Schorsch und Mehmet, sagtest du? Also ermittelt die Kripo von nebenan?«

      Markus nickte und sagte: »Ja, Gott sei Dank sind unsere Kollegen an dem Fall dran und nicht gleich die von der nächsthöheren Dienststelle oder die Konstanzer. Da bin ich echt froh drüber. Unsere Nachbarn lassen wenigstens mit sich reden.«

      »Wie ist denn der aktuelle Sachstand?«, fragte Isabel vorsichtig und merkte, wie ihr der Schweiß aus allen Poren drang.

      Markus hatte sich wieder seiner Akte zugewandt und antwortete, ohne aufzusehen: »Die beiden haben alle, die auf dem Boot waren, befragt – als Zeugen.«

      »Als Zeugen? Nicht als Beschuldigte?«, wunderte sich Isabel. Ungeachtet ihrer Affäre war ursächlich für den Untergang des Schiffes immerhin die zu einseitige Gewichtsverteilung und das heftige Wippen der Kollegen. Mit einem Schreibblock fächerte sie sich Luft zu, um Hals und Nacken zu kühlen.

      »Nein, und als Zeugen waren wir zur Aussage verpflichtet«, sagte Markus, und seine Stimme klang ziemlich genervt. »Wir alle haben dieselben Angaben zum Sachverhalt gemacht, so wie wir es nach dem Unfall besprochen haben. Wenigstens das hat funktioniert.«

      Isabel überlegte, und ihr Herz schlug heftiger: »Dann kommen die bestimmt bald auch auf mich zu.«

      »Du hast es erfasst. Sie haben den Fragebogen für deine Stellungnahme hiergelassen. Da ist er«, sagte Markus und reichte ihr das Papier über den Schreibtisch. »Ausfüllen musst du ihn selbst.«

      Isabel erhob sich, griff nach dem Fragebogen, und schon während sie das Fenster öffnete, überflog sie die Fragen. »Ich halte mich natürlich ebenfalls an das, was ihr ausgesagt habt. Was habt ihr denn erzählt?«, fragte Isabel bang.

      »Wir haben angegeben, dass wir, alle Kollegen aus unserer Schicht, mit dem Chef einen Bootsausflug unternommen haben – nicht dienstlich, sondern rein privat, einfach so, aus Spaß an der Freude. Wir haben fröhlich gefeiert, und alle haben Alkohol getrunken, der Bootsführer selbstredend nicht.«

      Isabel runzelte die Stirn: »Der Bootsführer warst du, oder? Obwohl ich das Boot gechartert habe?« Sie erinnerte sich an den Tag, als sie mit Lena und Ben mit dem Vermieter in Konstanz verhandelt und den Deal festgemacht hatte.

      Markus nickte und fuhr fort: »Ja, ich war im kritischen Moment ja auch am Steuer. Es war sehr schwül und heiß an diesem Tag, und alle wollten ins Wasser und schwimmen gehen. Du bist in die Kabine runter, um dich umzuziehen. Der Polizeidirektor folgte dir nach unten. Wir, also die Kollegen, sind oben auf der Flybridge zusammengestanden, haben weiter getrunken und geschunkelt und Witze gerissen. Zu viele standen auf derselben Seite. Die haben sich leichtsinnigerweise über die Reling rausgehängt und gemerkt, dass sie so das Schiff zum Schaukeln bringen können. Ich habe Kreise gezogen und einfach im falschen Moment Gas gegeben. Durch das Gewell hat das Schiff Schlagseite bekommen. Der Kahn hat sich auf die Seite geneigt, und weil der Schwerpunkt zu weit oben war, konnte es sich schlichtweg nicht mehr aufrichten. Dann hat sich die Kajütentür geöffnet, und Wasser drang herein. Das Innere ist rasend schnell vollgelaufen und das Boot schließlich abgesoffen.«

      Isabel hatte gebannt zugehört, nickte nun nachdenklich und murmelte: »So war’s ja wohl.« Markus griff in seine Tüte Studentenfutter, schob sich ein paar Nüsse in den Mund und resümierte kauend: »Die Kollegen von der Kripo haben Verständnis gezeigt. Die kennen diese Art von Booten ja auch. Die wissen so gut wie wir, dass so formstabile Schiffe wie die »Amareno« eigentlich für Flüsse und Kanäle gebaut sind. Für Seen sind die Boote eher nicht geeignet und für den Bodensee schon gar nicht. Bei Sturm und Wellen haben die einen ungünstigen Schwerpunkt. Wenn man in Freizeit- und Feierstimmung ist, denkt man da nur nicht dran.«

      »Gibst

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