Seerausch. Marlies Grötzinger
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Isabel hob die Augenbrauen und sagte erstaunt: »Hey, so spricht keine Therapeutin!«
»Nein, eine Therapeutin nicht, aber eine beste Freundin«, erwiderte Lena und zwinkerte ihr zu. »Und die wäre demnächst gekommen und hätte dir in den Hintern getreten, wärst du nicht freiwillig aus dem Bett gestiegen!«
Isabel lächelte und sagte mit gespielter Empörung: »Da habe ich ja noch mal Glück gehabt, du brutales Wesen, du!«
»Komm, wir gönnen uns jetzt einen schönen Eiskaffee«, sagte Lena, streifte ihr T-Shirt mit dem Emblem der Praxis ab und zog sich eine Bluse über.
»Oh ja, den hab ich verdient«, pflichtete Isabel bei, steckte den Zeitungsbericht ein und fügte an: »Ich war in Allensbach in der Klinik, bei Carl, auf der Intensivstation.«
Lena richtete gerade ihre Handtasche und blickte überrascht auf: »Wie? Du warst in Allensbach? Bist einfach in die Intensivstation rein? Ich habe mich schon gewundert, warum du hier so überraschend reinschneist.«
Isabel nickte, und die Worte sprudelten förmlich aus ihrem Mund: »Ja, ich war bei Carl. Er liegt im künstlichen Koma. Die Atmosphäre dort war echt schlimm. Auch ich bin mir richtig ausgeliefert vorgekommen. Nur Maschinen um mich herum, und überall piepst und blinkt es.« Noch immer lief ein Schauder über Isabels Rücken, wenn sie zurückdachte. Ihre Augen suchten Lenas, als sie fortfuhr: »Noch viel schlimmer ist: Mit dem Menschen, den du besuchen willst, kannst du gar nicht reden, der liegt da wie tot. Aus Verzweiflung suchst du Kontakt zu anderen Angehörigen, die in derselben Situation sind. Es war grausam.« Isabel schmiegte sich an Lena, die näher gekommen war und die Freundin an sich drückte.
»Das war bestimmt ein schwerer Gang«, sagte Lena und strich ihr über den Rücken.
Isabel hob den Kopf, blickte in Lenas Augen und sagte: »Unbeschreiblich schwer … und furchtbar … ich möchte da auch nie mehr hin.«
Lena legte eine Hand auf Isabels Arm und beteuerte: »Das kann ich gut verstehen. Das möchte niemand, der eine Wahl hat. Das war eine starke Leistung von dir, find ich ganz prima, dass du diesen Schritt gewagt hast.«
»Danke, dass du das sagst, Lena. Und danke, dass du für mich da bist.«
»Und jetzt lass uns gehen. Unser Eiskaffee wartet«, sagte Lena und nahm ihre Handtasche.
Isabel grinste: »Aber bitte mit Sahne!«
Auch Thomas staunte, als er kurz nach Isabel nach Hause kam und sie in der Küche fand, wo sie am Tisch saß und Gurke und Paprika für das Abendessen schnippelte.
»Hallo, Isabel, da bist du! Ich habe dich im Bett vermutet. Es geht dir also besser. Du bist auferstanden von den Toten!«, versuchte er zu scherzen und stellte eine Tüte mit Einkäufen auf den Tisch.
Isabel hob den Kopf und lächelte ihm zu: »Ja, lieber Thomas, nicht aufgefahren in den Himmel – noch nicht.«
Dann schnippelte sie weiter, als gäbe es nichts Wichtigeres zu tun. Thomas setzte sich ihr gegenüber und überlegte, wie er ein Gespräch beginnen sollte, damit sich Isabel ihm endlich öffnete. Seit dem Unglück mit ihren Kollegen hatte sie Tag und Nacht apathisch im Bett verbracht. Für ihn war es nicht neu, dass Isabel gelegentlich bei ihrer Freundin übernachtete. Ungewöhnlich war allerdings, dass Lena sie am nächsten Tag heimgebracht hatte, und das in einem Zustand, der ihn ahnen ließ, dass sie Schreckliches durchgemacht haben musste. Bisher war Isabel kaum ansprechbar gewesen. Mehr als das, was er den Medien entnehmen konnte, hatte Thomas aus ihr nicht herausbekommen. Nun schaute er ihren geübten Handgriffen zu und fragte: »Isabel, ich habe mir echt Sorgen gemacht um dich. Möchtest du mir nicht endlich sagen, was passiert ist?«
Isabel legte das Messer beiseite: »Bitte nicht jetzt, Thomas. Ich brauche Zeit. Es geht auch schon wieder.« Um seinem Blick nicht länger standhalten zu müssen, arbeitete sie nach einer kurzen Pause eifrig weiter und streifte das Gemüse in eine Schüssel.
»Dein Rucksack steht im Flur. Du warst außer Haus?«, fragte Thomas weiter.
Isabel nickte.
»Warst du bei deiner Ärztin?«
Isabel schüttelte den Kopf.
Thomas fasste an seine Brille. Wie konnte er sie nur aus der Reserve locken? Er fragte: »Denkst du, du kannst bald wieder zur Arbeit gehen?«
Isabel zuckte mit den Schultern.
Thomas ließ nicht locker: »Isabel, bitte. Was ist los mit dir? Du willst es mir nicht sagen, habe ich recht?«, bohrte er weiter.
Isabel überlegte. Würde Thomas sie verstehen können, wenn sie ihm alles beichtete? Alles, auch die Affäre mit ihrem Chef? Wie würde er reagieren? Würde er ausflippen und toben? Wohl kaum. Schreien oder weinen? Schon eher. Nein, das könnte sie im Moment nicht ertragen. Sie entschloss sich, Thomas nun direkt anzusehen, und sagte: »Thomas, ich fühle mich noch nicht stark genug, um darüber zu reden. Und ich will dich auch nicht noch mehr belasten, nicht jetzt. Bitte versteh mich.«
Thomas hielt ihrem Blick stand. Er mochte ihre rehbraunen Augen, und das Flackern darin war ihm nicht entgangen. Erneut rückte er seine Brille zurecht und seufzte: »Ja nun, verstehen kann ich es zwar nicht, Isabel, aber ich muss es wohl akzeptieren.«
Damit stand er auf, nahm Brot, Käse, Roastbeef und die Sachen, die er sonst eingekauft hatte, aus der Tasche und stellte sie in den Kühlschrank. Dann drehte er sich wieder Isabel zu, die schweigend weitergeschnippelt hatte, und sagte: »Es ist schon ein großer Fortschritt, dass du wenigstens das Bett verlassen konntest. Wenn ich es geahnt hätte, hätte ich nicht schon in der Mensa gegessen.«
Da war sie wieder, diese Kühle in Thomas’ Benehmen und in seinen Worten, die Isabels Herz wie einen Eispanzer umschloss. Sie legte das Messer beiseite und sagte: »Du hättest ja auch mal etwas für mich kochen können – eine Kleinigkeit, einen Salat, eine Suppe oder so etwas. Auf die Idee kommst du wohl nicht?« Kaum waren die Worte über ihre Lippen gekommen, taten sie Isabel auch schon leid. Sie wusste, sie verhielt sich Thomas gegenüber ungerecht. Schließlich hatte er sie in den Tagen, als es ihr schlecht ging, liebevoll umsorgt. Er hatte ihr Getränke und kühlende Tücher ans Bett gebracht. Wonach sie sich am meisten gesehnt hatte, nämlich, dass er sie in den Arm genommen hätte, das hatte er nicht versucht. Nicht ein einziges Mal. Obwohl: Hätte sie seine Berührung überhaupt zulassen können? Hätte sie ihn von sich geschoben? Das fragte sich Isabel jetzt. Mit den Antworten war sie sich selbst nicht sicher. Warum war sie innerlich so zerrissen? Warum waren ihre Gefühle für ihn so widersprüchlich? Warum war alles so kompliziert geworden? Warum konnte sie sich einfach nicht mehr richtig wohlfühlen in seiner Gegenwart? Was hatte sie für Carl empfänglich gemacht?
Sie rückte ihren Stuhl zurück, stand auf und flüsterte: »Entschuldige bitte. Hab’s nicht so gemeint.« Sie hob ihre Hände und wollte Thomas umarmen. Doch er schob sie von sich und sah sie verständnislos an. Ihre Reaktion hatte ihn verletzt, und er zerbrach sich den Kopf, was er gerade falsch gemacht hatte. Schließlich seufzte er: »Ja nun, ich konnte nicht ahnen, dass es dir heute besser geht. Die letzten Tage wolltest du nichts und hast jegliche Nahrung verweigert.« Mit diesen Worten griff er nach einer Flasche Wasser, fügte hinzu: »Jedenfalls tut es gut, dich hier in der Küche sitzen zu sehen«, und zog sich in sein Zimmer zurück. Hier könnte er das Gespräch nochmals Revue passieren lassen und analysieren. Er fragte sich, ob er seine Mutter anrufen sollte. Vielleicht wusste Annerose Rat. Immerhin