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George ein eindrucksvolles Beispiel für diesen Umstand: „Zwischen Fußsohle und Boden sorgt das Szenische für eine Differenz, die der Teppich des Lebens ist.“ (Ebd., S. 100)

      Vignettenschreiber*innen sind sich in diesem Punkt einig. Stellvertretend lasse ich Evi Agostini zu Wort kommen: „Damit sind Vignetten das eindringliche Dokument eines Ringens mit der Sprache, einer manchmal widerborstigen und knotigen Sprache, immer auf der Suche nach einem reicheren und treffenderen Ausdruck, um Lernen in seiner Verwicklung mit der Welt und in seinen vielfältigen Erscheinungsformen zu beschreiben.“ (Agostini 2017, S. 27) Hier gleichsam reflexhaft den Verdacht des Subjektivismus vorzubringen, ist voreilig und bleibt in überlieferte Alternativen verstrickt, die im szenischen Verstehen gerade überwunden werden sollen. Mit der Beachtung des szenischen Charakters jeden Verstehens wird wie mit der Rückeroberung des Medialen, das weder nur aktiv noch nur passiv ist, der Versuch unternommen, die Tyrannei dualer Gewohnheiten zu durchbrechen. Es geht nicht um subjektiv oder objektiv, um aktiv oder passiv, um wahr oder falsch. Die Griechen der Klassik kannten in ihrer Grammatik das Medium. Wahrnehmen etwa, das Verb aisthanomai, ist ein Medium, d. h. es liegt zwischen dem bloß Aktiven und dem lediglich Passiven. Damit das Wahrnehmen ein Nehmen vollziehen kann, muss sich ihm etwas geben. Es bezeichnet damit einen Vorgang, bei dem das Subjekt etwas vollbringt, „was sich an ihm vollzieht“ (Benveniste 1974, S. 194). Erwachen ist ein solcher Vollzug, in den jemand involviert ist, ohne die Initiative zu ergreifen. Erwachen ist eine szenische Zuwendung zur Welt, die jeder ausdrücklichen Thematisierung vorausliegt. „Wir finden uns in eine unbestimmte Weltstellung hineingeboren, die dennoch andeutende Kraft hat.“ (Hogrebe 2009, S. 29) Andeutungen sind auf dem Wege zu Bedeutungen. Diese Weise der Weltzuwendung ist deshalb nicht frei von jedem Verstehen, sondern ein Ahnen, Mutmaßen und Fühlen, frei von Begriffen und doch nicht ohne Sinn. „Was immer Menschen sind, sie sind in ihren Kontexten so verankert, daß sie sich weitgehend aus eben diesen verstehen. Da diese Verankerung in geteilten Lebenswirklichkeiten zumindest partiell auch außen sichtbar ist, werden Menschen von ihresgleichen auch aus diesen Kontexten verstanden.“ (Ebd., S. 18) Damit ist ein wesentlicher Grundzug von Vignetten genannt. Nicht-Wissen bedeutet für sie keine Unkenntnis, „sondern die schwierige Leistung des Überwindens der Kenntnis“ (Bachelard 1994, S. 22). Was man zu kennen meint, will man nicht kennen lernen. Jacqueline Baum und Ruth Kurz, die in ihren Untersuchungen den kleinen Lou vom 13. bis zum 18. Monat beim Kritzeln auf einem Tafelfeld, das auf dem Boden liegt, begleiten und in Videoaufnahmen festhalten, markieren die zentrale Schwierigkeit der Transkription von konkreten Wahrnehmungssituationen: „Das verlangt eine Haltung, die nicht von vornherein verstehen will, sondern sich dem überlässt, was sichtbar wird.“ (Baum/Kunz 2007, S. 20) Diese Erfahrung können Vignettenschreiber*innen vermutlich teilen. Um sich vom anderen überraschen lassen zu können, muss man die eigenen Wahrnehmungsneigungen und -erwartungen unter Verdacht stellen, vor allem den Versuch unternehmen, darauf zu verzichten, von sich auf andere zu schließen. Wir neigen nämlich im Alltäglichen dazu, unsere Sicht der Dinge normativ zu verallgemeinern. Dadurch geraten wir in die Gefahr, blind zu werden für die Abweichungen. Diese zeigen sich in den Handlungskontexten, wenn man situationssensibel die kleinen Zeichen wahrnimmt: die Choreografie der Blicke, die unreflektierten Berührungen, das Spiel der Hände, den Umgang mit den Dingen, Kontaktaufnahmen und -verweigerungen, Tonlagen, Stimmungen. Vignettenforscher*innen setzen sich damit Bedingungen aus, die niemals vollständig auf den Begriff zu bringen sind. Sie stellen sich „einer mit Händen zu greifenden Wucht des Gegebenen“ (Gehring 2011, S. 31). Im Hinblick auf sinnliche Wahrnehmungen bedeutet das: Etwas wird in dem Sinne empfunden, zu dem das Bemerkte herausfordert. Etwas kann uns abstoßen, ansprechen, fesseln, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wir sind eingenommen, ohne unbedingt voreingenommen zu sein. Mit dieser Entmachtung eines bloß objektivierenden Zugriffs ist nicht ausgeschlossen, dass aufgrund von unerwarteten Widerfahrnissen das Ziel des Weges nicht erreicht wird. Damit ist eine Möglichkeit offengehalten, auch die pathische Struktur mitzuberücksichtigen, die vornehmlich darin besteht, etwas zu vollbringen, was man nicht selbst in Gang gesetzt hat. Im Pathos wird man von einem Widerfahrnis getroffen, das jedem spontanen Akt zuvorkommt. Hier meldet sich eine gewisse Auslieferung des Menschen an seine Welt, die auch ein Erleiden meint (vgl. Busch 2017, S. 52), das er nicht ohne Rest in Beherrschung umwandeln kann. Diese Auslieferung bedeutet nur im Grenzfall vollständige Ohnmacht oder Besessenheit. Denn während wir das, dem wir ausgesetzt sind, nicht erfinden können, bleibt unserer Antwort auf diesen Anspruch ein gewisser Spielraum. (Vgl. Waldenfels 2008, S. 81) Auch die vielgerühmte Rationalität des Menschen nährt sich aus Energien, die von ihr selbst nicht durchschaut werden. Szenisches Verstehen ist nicht ohne Widerfahrnisse möglich. Empfindungen haben dabei eine „situationsaufschließende“ (Hogrebe 2009, S. 30) Funktion. Vignetten können für diese Dimensionen des menschlichen Lernens sensibilisieren, die sich nicht operationalisieren lassen. In ihnen wird dem Umstand Rechnung getragen, dass mit jedem Lernen mitgelernt wird, wie gelehrt wurde. Wer beispielsweise insbesondere im behavioristischen Stil unterrichtet wird, lernt vor allem zu gehorchen.

      „Szenen sind das Primäre für unsere Weltwahrnehmung, nicht die Objekte der Welt oder ihr Mobiliar, […].“ (Ebd., S. 50) Als Szenen appellieren Vignetten auch an unsere soziale Empfindsamkeit. Schreiber*innen von Vignetten streben keine Tatsachenfeststellungen an. Sie wollen überhaupt nichts feststellen. Sie wollen erzählen und auch das in einem besonderen Sinn; denn sie referieren oder berichten nicht, sondern sie bringen ihre situativ gebundenen Erfahrungen zum Ausdruck und wollen diejenigen, die später die Vignetten lesen, miterfahren lassen. Erzählungen „verausgaben sich nicht“ (Benjamin 1980, S. 437). Sie können immer wieder und weiter erzählt werden, ohne sich genau zu wiederholen. Davon lebt die Nachbearbeitung der Rohvignetten und zehren die Lektüren. Vignetten erinnern an bestimmte Erlebnisse. Sie wecken und enttäuschen Erwartungen. Sie erklären nicht. Sie muten an. Im szenischen Verstehen geht es um einen bestimmten Umgang mit unseren Erfahrungen, in denen sich Gegebenheiten noch nicht zu Gegenständen versteift und Gewahrungsweisen sich noch nicht zu Erkenntnissen verhärtet haben.

      Maurice Merleau-Ponty behandelt die hier fungierende Unbestimmtheit als ein positives Phänomen. Daraus folgt, dass propositionale Aussagen, die nach wahr und falsch beurteilt werden können, hier an ihre Grenze stoßen und schwache Formen des Wissens in den Vordergrund treten. Es gibt, um es mit Wolfgang Wieland zu sagen, ein „emotionales Apriori“ des Verstehens (vgl. Hogrebe 2009, S. 90), das in der Vignettenforschung nicht zugunsten objektiver Erkenntnisse ausgeklammert wird. Aus dieser Perspektive stellen die Vignetten kein defizitäres Forschungsprogramm dar, sondern sie vertreten vielmehr einen sehr anspruchsvollen Versuch, mit größter Prägnanz sinnliche Wahrnehmungen und eine expressive Leiblichkeit sprachlich wiederzugeben in dem kritischen Wissen, dass Sprache hier andere Ergebnisse als wahrheitsfähige Aussagen zu suchen hat und damit an Poesie rührt, was geradezu unvermeidlich den Verdacht an Unwissenschaftlichkeit hervorruft. Das musste auch Merleau-Ponty erfahren. Émile Bréhier wirft ihm etwa vor: „Ich sehe, dass Ihre Vorstellungen sich eher durch den Roman oder die Malerei als durch die Philosophie ausdrücken lassen. Ihre Philosophie führt zum Roman.“ (Merleau-Ponty 2003, S. 59 f.) Dieser Vorwurf verunsichert Merleau-Ponty indessen nicht, im Gegenteil: Nach ihm ist Philosophie wie die Kunst: „nicht Reflex einer vorgängigen Wahrheit, sondern […] Realisierung von Wahrheit“ (Merleau-Ponty 1966, S. 17). Zu fragen wäre deshalb, ob eine Konzeption, die sich gegen die „intellektuelle Besitznahme“ wehrt, gegen die Verwandlung der gelebten Welt in eine gedachte, nicht eine andere Sprache braucht mit einer eigenen Art von Genauigkeit, nämlich einer „ästhetischen Prägnanz“, die Gottfried Gabriel von der logischen Präzision unterscheidet. (Vgl. Gabriel 2019, S. 11 ff.) Sprachbilder stellen in dieser Hinsicht Erkenntnisformen dar, die sich von wahrheitsfähigen Aussagen unterscheiden. Propositionales Wissen lässt sich von nicht-propositionalem in drei Punkten differenzieren: 1. handelt es sich um ein Wissen, das in Aussagen festzuhalten und zu prüfen ist. 2. ist es loszulösen von den Trägerinnen und Trägern des Wissens, und 3. ist es schließlich bipolar organisiert, d. h. die Aussagen sind entweder wahr oder falsch. Das nicht-propositionale Wissen meint dagegen Erfahrungen par excellence. Wie für die Erfahrung gibt es für das nicht-propositionale Wissen keine Stellvertretung. Erfahrungen sind nicht wahr oder falsch. (Vgl. Wieland 1982, S. 224 ff.) Schließlich ist nicht-propositionales Wissen nicht unabhängig von den Inhaber*innen. All diese Merkmale des nicht-propositionalen Wissens begründen nicht,

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