Emma schreibt. Armand Amapolas
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Hanisch kniff anerkennend die Lippen zusammen und nickte. Emma fuhr fort: »Was ich nicht kapiere, ist, dass daran jemand zweifelt. Das galt als ziemlich links. Marx und so, igitt. Ein Juso-Bundesvorsitzender ist sogar aus der SPD ausgeschlossen worden, weil er sich zur Stamokap-Theorie bekannt hat, richtig?«
»Was Sie alles wissen! Ja, aber das war vor dem Fall der Mauer, in einer anderen Welt. Damals waren Stamokap-Anhänger verdächtig, heimlich der DKP zu folgen, indirekt also der SED hörig zu sein. Was ja nicht völlig verkehrt war: die DDR hat sich viel Mühe gegeben, soziale Bewegungen in der BRD zu finanzieren und zu steuern. Das Geld wurde gern genommen, die organisatorische Unterstützung auch, nur mit dem Steuern hat das nicht wirklich geklappt.«
»Waren Sie IM oder so was, für die Stasi?«
»Ohgottogott, nein!« Hanisch lehnte sich zurück und schüttelte heftig den Kopf. »Ich hab’ als Juso eine Delegationsreise in die DDR mitgemacht. Vorher habe ich es schon geahnt, aber danach war mir sonnenklar: aus dem Staat dort konnte nichts werden. Vermutlich komme ich in den Stasi-Akten vor, die Reise wurde sicher überwacht, und wir haben viele ziemlich offene Gespräche mit Jungen Pionieren geführt, mit Studenten, Nachwuchskommunisten. Für mich war diese Reise ganz wichtig. Erstens wusste ich danach, was Freiheit bedeutet. Dass das kein leeres Wort ist. Und zweitens habe ich dabei meine spätere Frau kennengelernt.«
Emma fand, es war an der Zeit, wieder in die Gegenwart zurückzufinden. »Sie wollten mir sagen, was Sie von mir erwarten. Also: warum bin ich hier?«
»Was ich Ihnen jetzt erzähle, erzähle ich Ihnen sozusagen als Vorschuss auf unsere Vereinbarung. Paul Bärkamp hat sich für Sie ins Zeug gelegt, und alles, was ich bisher gesehen und gehört habe, gibt ihm recht. Aber noch kenne ich Sie ja nicht wirklich. Also bitte verstehen Sie, dass ich vorsichtig bleibe.« Hanisch griff in die Innentasche des himmelblauen Sakkos, das er über die Lehne seines Stuhls gehängt hatte. »Ich habe eine Vertraulichkeitserklärung vorbereitet. Bevor ich ins Erzählen komme, bitte ich Sie, zu unterschreiben. Erschrecken Sie nicht: darin werden drastische Geldstrafen angedroht – beziehungsweise vereinbart – für den Fall, dass Sie die Vertraulichkeit brechen sollten. Ich hoffe, Sie verstehen. Ich will mir Unannehmlichkeiten ersparen und auch keine Prozesse führen wie Helmut Kohl. Was nicht heißt, dass ich Ihre journalistische Freiheit einschränken will. Sie können und sollen das, was ich Ihnen erzählen werde, journalistisch so verarbeiten, wie Sie es für richtig halten. Aber noch haben wir ja keinen Vertrag miteinander. Diese Vertraulichkeitserklärung wird ungültig, sobald wir einen richtigen Vertrag unterzeichnet haben. Der ist vorbereitet, liegt schon beim Notar.«
Emma warf einen Blick auf das Papier. Der kurze Text war rasch überflogen. Im Kern stand darin, sie müsse 50 Tausend Euro an Hanisch zahlen, sollte sie unautorisiert aus Gesprächen mit ihm zitieren, direkt oder indirekt.
»Das unterschreibe ich nicht.«
Emma faltete das Blatt sorgsam wieder zusammen und schob es über den Tisch. »Erstens habe ich keine 50 Tausend Euro und werde sie wahrscheinlich niemals besitzen. Sie scheinen sich falsche Vorstellungen über die Einkünfte freier Journalisten zu machen. Und zweitens haben Sie entweder Vertrauen zu mir oder Sie haben keins. Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen. Ich verspreche Ihnen, dass ich Ihnen keinen Schaden zufügen werde. Punkt. Aus dem, was Sie vorhaben, mir zu erzählen, werde ich keinen Nutzen zu Ihren Ungunsten ziehen. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Wenn Sie Wert darauf legen, können wir das auch gerne per Handschlag besiegeln, wie auf dem westfälischen Pferdemarkt. Wenn Ihnen das nicht reicht, bedanke ich mich für den netten Empfang, das gute Essen und die sonstigen Spesen.«
»Uff!« Hanisch wirkte verblüfft und erheitert zugleich. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Das habe ich mir zwar anders vorgestellt – oder vielmehr, der Ehrlichkeit halber: mein Anwalt hat sich das anders vorgestellt, und er würde mir, wenn er hier jetzt mit am Tisch säße, vermutlich raten, Ihren Dank anzunehmen und das Gespräch ansonsten abzubrechen.«
Emma schwieg, wartend.
»Aber ich bin kein Anwalt. Mir gefällt die Art, wie Sie auftreten. Und auch wenn auf westfälischen Pferdemärkten meines Wissens nur Geschäfte unter Männern getätigt wurden: hier ist meine Hand! Und was die 50 Tausend Euro betrifft: Schaumermal.«
Hanisch beugte sich vor und streckte Emma seine Rechte über den Tisch hinweg zu. Sie schlug nach kurzem Zögern ein und gab sich Mühe, Hanischs sehr festen Händedruck angemessen zu erwidern.
Der Kellner räumte die Teller ab und fragte, ob sie noch etwas wünschten. »Café? Cortado?« Hanisch sah Emma fragend an. Sie nickte. »Cortado wäre gut.« Der Kellner bestätigte: »Dos Cortados.« Er zog sich wieder zurück.
»Also. Zunächst einmal: ich könnte jetzt sagen, ich will mich an niemandem rächen, ich will niemandem schaden. Ich wolle nur aufschreiben – aufschreiben lassen –, wie es wirklich gewesen ist. Aber wir zwei beide müssen uns nichts vormachen: ich will natürlich, dass meine Sicht der Dinge wahrgenommen wird. Und wenn dabei jemand zu Schaden kommt, dem ich das durchaus gönnen würde, dann hätte ich nichts dagegen. Ich bin auch nur ein Mensch. Zwar getauft, aber aus der Kirche auch wieder ausgetreten, und die Sache mit der linken und der rechten Wange hat mir noch nie so richtig eingeleuchtet. Manche Menschen verdienen einfach ein paar kräftige Watschen.«
Der Kellner stellte zwei Tässchen mit milchschaumbekröntem Kaffee vor den beiden ab und verschwand erneut. Emma blickte sich um und fühlte sich gut. Ihre Entscheidung, nichts zu unterschreiben, hatte sie ganz spontan gefällt. Und es war richtig gewesen so, ganz offensichtlich. Und hey! Sie saß auf Teneriffa, in edlem Ambiente, zwischen Ozean und Bergen, umweht von einer leichten Brise. Perfekt. Keine fünfzig Meter von ihrem Bühnenplatz entfernt sah sie Menschen in Badekleidung, sich auf Steinen sonnend. Dann und wann stieg jemand Stufen hinunter ins kristallklare Wasser und schwamm ein paar Züge. Auch zwei Schnorchler fielen ihr auf.
»Wie kann man an einem so schönen Ort an Rache denken?« Emma imitierte die Geste einer Maklerin, die ihrem Kunden Terrasse und Garten einer Prachtvilla präsentiert. »Das klingt vielleicht komisch: aber sollten Sie nicht dankbar sein, jetzt hier zu leben und nicht im gräulichen Ruhrgebiet oder zwischen all den Wichtigtuern in Berlin?«
»Gute Frage. Aber erstens ist das Ruhrgebiet, wie wir beide wissen, nicht nur grau, und Berlin ist auch ganz nett, jedenfalls wenn man Anlass hat zu glauben, man gehöre zu den Wichtigen dazu. Und Politik ist, das können Sie vielleicht nicht verstehen, weil Sie auf der anderen Seite arbeiten und noch sehr jung sind, aber Politik ist eine Droge. Ein Aphrodisiakum. Im übertragenen und für manche auch im eigentlichen Sinn. Sie glauben ja nicht, wie attraktiv sogar ein Mann meines fortgeschrittenen Alters auf junge ehrgeizige Frauen wirkt. Auf manche. Da stört auch mein Bäuchlein nicht, das ich hier so angenehm mit einem weiten Hemd kaschiere. Macht – oder die Vermutung der Macht – wirkt betörend. Und von mir weiß jetzt leider jeder – und jede: der hat keine Macht mehr. Der ist erledigt. Es ist aus. Und vorbei.«
Emma fand, dass Hanisch, während er ihr dies erzählte, keineswegs erledigt aussah. Sondern höchst lebenslustig und agil. Und aus Sicht mancher Frauen sicher auch nicht unattraktiv.
»Sie gucken so zweifelnd. Vielleicht überzeugt es Sie eher – Sie scheinen ja ein sehr westfälisch nüchtern veranlagter Mensch zu sein –, wenn ich sage, dass ich sehr gern Einfluss nehme. Einfluss genommen habe. Mehr ist das ja nicht, was Macht bedeutet. Jedenfalls im demokratischen Rechtsstaat. Ich wollte die Welt verändern, als ich jung war. Verbessern. Gerechter machen. Für weniger Ungleichheit