Emma schreibt. Armand Amapolas

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Emma schreibt - Armand Amapolas Emma auf Teneriffa

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vorher den Hals umgedreht hätten. Ich sollte ihnen dankbar sein. Jetzt sind wir tot, aber stolz.«

      »Aber dieser Anruf aus der Recklinghäuser bei dir, das war doch, wenn ich richtig rechne, kaum mehr als eine Stunde, nachdem ich das Reifenhaus Schulte-Bückendorf verlassen hatte und LSB seinen Hosenschlitz wieder zugezogen hat, vermutlich.«

      »Er verliert eben keine Zeit, der junge Mann. Dumm ist der nicht. Ob er selbst auf die Idee gekommen ist, dich auszukontern, bevor du überhaupt irgendein Wort über die Sache geschrieben hast, oder ob er gleich einen Anwalt angerufen hat, der ihm zur Offensive geraten hat, wer weiß? Vielleicht hat er ja auch seinen guten Freund Hauke kontaktiert. Was ich sogar für das wahrscheinlichste halte. Hauke von Dückers ist ja, das vergisst man gern, auch Jurist, und tut immer nur so, als sei er mit keinerlei Wasser gewaschen. Er gibt gern die Dumpfbacke an der Seite seiner cleveren Gattin, aber in Wahrheit ist er ein talentierter Strippenzieher. Und viel schlauer, als er tut.«

      »Was genau soll ich denn nun angestellt haben, in Lambert Schulte-Bückendorfs Büro?«

      »Keine Ahnung. Das ist ja das Raffinierte. Je weniger man weiß, umso blühender arbeitet die Fantasie. Der Kollege wusste nur: du hattest einen Interviewtermin bei LSB. Du solltest ein Porträt von ihm schreiben und über seine Firma. Aber dabei hättest du… was auch immer. Wozu es offenbar nicht gekommen ist, weil LSB dich rausgeworfen hat. Fang besser gar nicht erst an, darüber nachzudenken. Freue dich, dass niemand die Sache aufgegriffen hat und du bald wieder unter der kanarischen Sonne sitzen wirst! Aus den Augen, aus dem Sinn: das hat auch was Gutes.«

      So hatte Paul Bärkamp gesprochen. Wie ein weiser Indianerhäuptling. Und nun würde Emma, in einigen Stunden schon, Horst Hanisch gegenübersitzen. Am Südflughafen werde ein Fahrer auf sie warten, mit einem Pappschild, auf dem »Schneider« stehen würde. Alles Weitere werde er regeln. Hanisch hatte auch den Flug für Emma gebucht. Er wolle sie kennenlernen. Zunächst ganz unverbindlich. Bärkamp habe sie zwar über den grünen Klee gelobt. Und er selber sei auch von Emma, der Redakteurin, nie »reingelegt« worden – »soviel ich weiß, aber mehr weiß ich über Sie auch nicht. Wissen Sie was: Kommen Sie einfach her! Machen Sie sich, falls wir uns darauf verständigen, uns nicht zu verständigen, ein paar schöne Tage auf der Insel, auf meine Kosten, und das ist es dann gewesen. Kennen Sie Teneriffa?« Emma hatte bestätigt, Teneriffa zu kennen. »Dann wissen Sie: vom Südflughafen nach Santa Cruz fährt das Taxi eine halbe Stunde. Sie werden am Spätnachmittag hier sein. Wir nehmen einen kleinen Imbiss in netter Umgebung und beschnuppern einander. Und dann schaumermal, was daraus werden kann. Wie der Kaiser sagen würde.«

      Kannte sie Teneriffa? Jedenfalls entschieden besser als vor einem halben Jahr. Aber das Gebäude, vor dem der Taxifahrer anhielt, hatte sie bisher nicht wahrgenommen. Es wäre ihr aufgefallen. War das überhaupt ein Gebäude? Das Taxi stoppte zwischen einer mehrspurigen, aber nicht sehr dicht befahrenen, von Palmenreihen und breiten Fußwegen gesäumten Straße und dem glattblauen Meer, vor einem gewaltigen, in der Sonne glitzernden weißen Gebilde, das Emma an eine riesige Narrenkappe denken ließ, so eine, wie sie Karnevalsfunktionäre und Politiker in sogenannten Prunksitzungen tragen. Nur nicht bunt. Und das Glöckchen fehlte, am Zipfel des abenteuerlich Richtung Land gebogenen Was-auch-immers. Ein Dach? Eines, das spitz zuläuft und das über dem offenbar eigentlichen Gebäude schwebt? Emma konnte sich nicht erinnern, ein auch nur annähernd ähnliches Bauwerk jemals gesehen zu haben. »El Auditorio«, stellte der Fahrer Emma das Gebäude vor. Vom »Auditorio« hatte sie schon gehört. Das Konzerthaus, das war es also. Das Werk eines offenbar berühmten spanischen Architekten. Es war bei seiner Einweihung vor ein paar Jahren sogar deutschen Zeitungsfeuilletons rühmende Artikel wert gewesen. Wo Teneriffa sonst allenfalls in Reiseteilen auftauchte. Und auf Postkarten und Plakaten hatte Emma das weiße Ding natürlich auch schon gesehen, nebenbei, aus dem Augenwinkel, wie man so sagt. Aber dass es so groß, so gewaltig, so überwältigend ist, das hatte sie nicht geahnt. Es schien einer komplett anderen Welt entsprungen als das La Palma und ihr, also Oma Ilses, Apartment dort im spießigkleinbürgerlichen Puerto de la Cruz.

      »Gehen Sie um das Auditorio herum«, hatte Hanisch sie instruiert, »oder hindurch, wie Sie mögen. Auf der anderen Seite gibt es ein Bistro. Da werden Sie mich finden.«

      Jetzt war sie hier. Emma entschied sich fürs Drumherum-gehen, auf der Atlantikseite. In Herten hatte es aus nassgrauem Himmel genieselt, als sie aufgebrochen war. Hier kam sie gar nicht erst in Versuchung, den leichten Anorak anzuziehen, den sie mitgenommen hatte. »Ihr Gepäck bringt der Taxifahrer gleich ins Hotel.« Hanisch schien ein guter Organisator zu sein. Er hatte auch das Hotel für sie gebucht. Emma hatte glatt vergessen zu fragen, welches Hotel. Schon schön, so umsorgt zu werden! Ein völlig neues Gefühl. Sie konnte jetzt ahnen, wie es Ministern oder Managern erging, die immer nur ein- und aussteigen und ein- oder auschecken mussten – den Rest erledigte ihr Büro für sie. Daran konnte man sich gewöhnen. Emma begriff, warum es vielen einst Bedeutenden so schwer fiel, von Dienstwagen und Sekretärin und dem ganzen Drumherum Abschied zu nehmen. Sie mussten ja zwischenzeitlich verlernt haben, wie man Fahrkarten löst oder Milch einkauft.

      Links von ihr ragten pittoresk angerostete Bohrtürme in den makellos blauen Himmel, vor der Skyline der Inselhauptstadt. Falls Skyline das richtige Wort war. Zwar fielen Emma ein paar größere Gebäude ins Auge, auch ein markanter Kirch- oder Rathausturm, aber alles Menschenwerk wurde überragt von einem wild gezackten Gebirgszug gleich hinter der Stadt. Die Bohrtürme schienen zu Bohrinseln zu gehören, die hier offenbar »geparkt« waren, vermutlich um repariert zu werden. Einen Anstrich konnten sie jedenfalls vertragen, so grünlich-rostbraun gescheckt sie waren, als wollten sie den Kontrast zwischen der Welt der Arbeit, ihrer Welt, und der Welt der Kultur, dem weißglitzernden Auditorio, betonen. Im Hafenbecken hinter den Türmen ruhte ein blauweiß bemaltes Kreuzfahrtschiff. Es kam Emma abstrus groß vor im Vergleich zu den sonstigen Bötchen und den Gebäuden der Stadt. Wie ein Bobbycar in einer Märklinwelt.

      Eine breite Promenade führte um die glänzende Narrenkappe herum. Der Glanz, sah Emma jetzt, verdankte sich Reflexionen auf vermutlich Hunderttausenden oder gar Millionen von weißen Keramikfliesen. Daraus bestand die »Haut« des Gebäudes. Von hier aus gesehen erinnerte es Emma weniger an eine Narrenkappe als an eine brütende Glucke. Mit jedem weiteren Schritt veränderte sich die Perspektive, kamen Emma neue Assoziationen. Die spitze Zunge über dem Hauptbau: sollte sie womöglich eine Welle symbolisieren? Wobei nichts darauf hindeutete, jedenfalls in Emmas Augen, dass hier Musik gemacht wurde. Oder doch: einige der dicken Felsbrocken, deren Aufgabe es offenbar war, die Promenadenmauer vor der Brandung zu schützen, waren mit bunten Gesichtern bemalt, darunter standen Namen: Wolfgang Amadeus Mozart, John Lennon, Pablo Casals, Ennio Morricone…

      Welche Brandung? Jetzt und hier gab sich der Atlantik brav. Er spielte blaugefärbter Ententeich. Aber Emma wusste: das konnte sich rasch ändern.

      Auf der anderen Gebäudeseite fiel ihr jetzt eine Reihe von Tischen ins Auge. Dort saßen einige Menschen, offenbar essend und trinkend und entspannt, aber animiert miteinander plaudernd, wie auf einer Bühne, einige Stufen über der hier platzartigen Promenade, unter hochgeklappten Holztüren, im Maul des Gebäudes sozusagen; zwischen dessen steinernen und hölzernen Lippen.

      Am hintersten Tisch, aus Emmas Perspektive, saß ein Mann ohne Begleitung, mit dem Rücken zum Mundwinkel des eigenartigen Gebäudes. Er schien Emma schon seit längerem zu beobachten und winkte ihr augenblicklich zu, als sie ihn wahrnahm und Blickkontakt herstellte.

       4

      Horst Hanisch sah ganz anders aus, als Emma ihn von Wahlplakaten und Zeitungsfotos in Erinnerung hatte. Er war untersetzt, aber drahtig, trug eine bordeauxrote Khakihose und darüber ein offenes weißes Hemd. Seine unbestrumpften Füße steckten in lässig, aber edel wirkenden Leinenschuhen. Rund um seinen braungebrannten Hals schimmerte ein dünnes, goldenes Kettchen. Seine zwischen dunkelblond und beige-grau changierenden

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