Emma schreibt. Armand Amapolas

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Emma schreibt - Armand Amapolas Emma auf Teneriffa

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die Story nicht habt schreiben lassen, über Haukes ehrenwerten rotarischen Freund! Ihr seid wahrhaft edle Menschen! Ihr macht euch Sorgen um mich, um meine Reputation und meinen Kontostand! Und kein bisschen um euren Kontostand! Um euer elendes Promiblättchen und die Einladungen zu Empfängen und Galas und Bussi-Bussi-Events. Die ihr womöglich sausen lassen müsstet, wenn ihr hinter mir ständet, wie es sich gehören würde! Wenn ihr euch mit eurem LSB anlegen würdet. Nein, darum geht es euch nicht. Wisst ihr was? Ich könnte kotzen.«

      Und damit sprang Emma auf und steckte ihr Handy ein. Sie nickte den beiden höflich zu, schob ihren Korbstuhl ordentlich an den Tisch zurück und lächelte den Kellner freundlich an, der aus gebotenem Abstand die Szene interessiert beobachtet hatte.

      Kerzengerade verließ Emma das gekieste Areal, mit weichen Knien. Wissend: sie war jetzt wieder arbeitslos. Aber den aufgenommenen Text, den hatte sie noch!

      Emma konnte gerade lange genug die Haltung bewahren, bis sie um eine der mannshohen Hecken gebogen war, die den Restaurantgarten vom restlichen Schlosspark abschirmten. Dann kamen ihr die Tränen. Sie schossen einfach hoch. Emma konnte sich dagegen nicht wehren. Ihre Knie fühlten sich an, als wären sie aus Gummi. Sie suchte Halt an einer Parkbank, setzte sich. Zwei ältere Damen, die einen molligen Kurzhaardackel spazieren führten, blickten sie erstaunt an und wirkten, als wollten sie Hilfe anbieten. Emma lächelte ihnen zu, auch wenn es sie anstrengte, und winkte ab.

      Sie musste nachdenken. Aber erst sollte sie vielleicht mal nachsehen, ob Hauke die Fotos wirklich gelöscht hatte. Wer weiß, vielleicht hatte er sich in der Taste vergriffen, so techniktrottelig wie er sich gerne gab.

      Emma hatte es natürlich schon geahnt: Hauke gab sich gern trottelig, aber er war es beileibe nicht. Die Fotos waren gelöscht. Jedenfalls waren sie für Emma unauffindbar. Konnte irgendein Nerd sie womöglich wieder herzaubern? Aber wollte sie das? Sollte sie das wollen? Und welchen Nerd kannte sie, dem sie diese Aufgabe anvertrauen könnte? Dem sie so sehr vertrauen könnte, dass er die Geschichte hinter dem Foto für sich behielt. Denn natürlich würde er, wer immer »er« war, Fragen stellen.

      Die von Dückers hatten wahrscheinlich recht, auch wenn es ihnen natürlich darauf ankam, die feine Fassade zu wahren. Sie konnten jetzt Haukes rotarischem Golffreund einen Gefallen tun und so ihr kleines, mieses Geschäft nicht nur nicht gefährden, sondern auf diese dezente Weise sogar beleben. Die Reifenhandlung Schulte-Bückendorf würde bald vermutlich ganzseitige Anzeigen schalten. Aber dass LSB, wenn es anders käme, Anwälte einschalten und alles tun würde, um sie fertig zu machen und es gar nicht erst dazu kommen zu lassen, ihre Version der Geschichte – die wahre Version! – zu verbreiten, das leuchtete ihr ein. Die Wahrheit, das wusste sie spätestens seit dem Ethik-des-Journalismus-Seminar auf der Fachhochschule, gab es nicht, jedenfalls nicht in der Welt der Medien, sondern immer nur Wahrheiten. Konkurrierende Wirklichkeiten. Welche Wirklichkeit – welches Narrativ – würde sich durchsetzen, hier in Herten und Umgebung und auf dem blut- und spermatriefenden Boulevard: ihre oder die des erfolgreichen Geschäftsmanns und sorgenden Familienvaters Lambert Schulte-Bückendorf? Klar: auch ihrer, Emmas Version, würde Raum gegeben werden. Sie zu ignorieren, sie nicht mindestens für möglich halten zu wollen, sie nicht ausbreiten und durchkauen zu wollen: dafür war sie zu saftig. Und dafür war die Bereitschaft, hinter jeder noch so sauberen Fassade Schmutz zu wittern, viel zu groß. Überall. Das Internet würde sprudeln vor Geifer.

      Aber wollte sie das? Wollte sie das wirklich? Sie, Emma Schneider aus Herne? Wollte sie, dass die »Teneriffa-Geschichte« – so hatte Hauke ihre traumatische Fast-Vergewaltigung doch genannt – jetzt noch einmal durch die Medienmühle gedreht würde? Denn das würde sie natürlich. Aber jetzt mit anderen Untertönen. Dafür würden LZBs Anwälte und die Instinkte der Boulevard-Kollegen schon sorgen. Von den »sozialen Medien« gar nicht zu reden. Nein, das wollte sie nicht. Bei Lichte und nüchtern betrachtet, wäre sie, Emma, darauf wahrscheinlich auch von selbst gekommen. Die Wahrheit war, dass sie noch gar keine Zeit gehabt hatte, sich zu überlegen, wie sie ihre Begegnung mit dem lüsternen Reifenhändler journalistisch verarbeiten könnte. Oder sollte, müsste? Müsste oder sollte sie nicht das wahre Gesicht des LSB vor aller Welt offenbaren, allein schon um andere Frauen davor zu bewahren, von dem Schwein zu sexuellen Gefälligkeiten genötigt zu werden?

      Nein. Emma, wer hat dich dazu aufgefordert? Wer hat dich zur Staatsanwältin und Richterin zugleich ernannt? Woher kannst du wissen, dass dieser LSB wirklich ein Schwein ist? Vielleicht ist er ein liebevoller Familienvater und sorgender Chef – der einfach gerne zugreift, wenn ihm etwas angeboten wird? Hatte sie ihn nicht tatsächlich animiert, zu glauben, sie verständen einander und sie sei ganz wild darauf, an seinem Schwänzchen zu lutschen? Ja, das musste sie sich eingestehen: sie hatte sein Spiel mitgespielt. Aber sie hatte nicht ernsthaft damit gerechnet, dass der Reifenhändler mehr als anzüglich flirten wollte. Und es war alles viel zu schnell passiert.

      Emmas Handy piepste. Sie hatte eine Whatsapp-Mitteilung erhalten.

       3

      Die Nachricht kam von Paul Bärkamp. Ihrem früheren Lokalchef, bei der Halterner Post. Ihrem journalistischem Vorbild und Förderer. Nicht zuletzt: ihrem väterlichen Freund, der sie, zum ersten Mal überhaupt, aber ohne jedes Zögern, in den Arm genommen und fest gedrückt hatte, nach ihrer Rückkehr aus Teneriffa und nachdem sie ihm – nur ihm – erzählt hatte, minutiös erzählt hatte, wie sie sich gefühlt hatte auf dem Opferstein an der ominösen Geisterquelle. Bei Paul Bärkamp hatte sie sich ausgeheult, nicht bei ihren Eltern oder einer »besten Freundin«. Bei Paul, der wusste, wann es darauf ankam, nichts zu sagen. Der heilsam zu schweigen wusste. Der sie nur in den Arm nahm, minutenlang, und wiegte wie ein kleines Kind. Wie gut ihr das getan hatte!

      Paul Bärkamp betrieb, seit dem Aus der Halterner Post – er war die Halterner Post gewesen, jedenfalls in den Augen seiner Leser und auch der nicht-lesenden Halterner – einen lokalen Nachrichten-Blog: halternswelt.de. Er hatte Emma, natürlich, gefragt, ob sie nicht auch mitmachen wollte. Nur leider könne er keine Honorare zahlen, oder jedenfalls nur winzig kleine. Emma war trotzdem dankbar für das Angebot, auch wenn sie es ablehnen musste. Sie war, anders als der Frührentner Paul, darauf angewiesen, mit dem Schreiben Geld zu verdienen. Paul Bärkamp wusste das natürlich. Aber er hatte ihr das Gefühl gegeben, nicht nur als Mensch, sondern auch als Journalistin geschätzt zu werden. Von einem, auf dessen Urteil und Menschenkenntnis Verlass war. Das war ihr sehr viel wert gewesen.

      »Melde dich mal! Ich hätte vielleicht einen Auftrag für dich. Einen lohnenden. Herzlich, Paul.«

      Paul Bärkamp. Wieder einmal. Hatte er einen fünften – oder sechsten? – Sinn? Wusste er, dass Emma jetzt, gerade jetzt, in diesem höchst konkreten Moment, nichts so sehr brauchte wie Ablenkung, Trost und eine Perspektive? Natürlich konnte er das nicht wissen. Er wusste nichts, aber auch rein gar nichts von ihrem »Abenteuer« im Reifenhaus Schulte-Bückendorf. Er hatte Emmas Arbeiten für die Revue nie kommentiert, obwohl er sie natürlich las – gelesen hatte –, da war sich Emma sicher. Paul Bärkamp und Tanja von Dückers waren einander in respektvoll-höflicher Abneigung verbunden. Emma hatte Paul nie Champagner schlürfen sehen. Bier trank er schon, lieber noch trockenen Weißwein, vorzugsweise Soave, aber nie auf irgendwelchen Empfängen – Paul Bärkamp hasste Smalltalk – und ganz sicher nie auf Kosten von Menschen, die von der Redaktion der Halterner Post etwas wollen könnten. Paul Bärkamp und Tanja von Dückers standen für zwei grundverschiedene Varianten des Journalismus – die gestrige und wahre, in Emma Sicht, und die von Internet und social media korrumpierte.

      Emma tippte seine Nummer an. Paul Bärkamp reagierte sofort.

      »Hallo Emma. Schön, dass du dich gleich meldest. Wo steckst du? Hast du wieder Schampus mit der Fürstin?« Paul Bärkamp liebte es, Tanja von Dückers »die Fürstin« zu rufen – und die wiederum liebte es, so zu tun, als ob ihr das unrecht wäre.

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