Emma schreibt. Armand Amapolas

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Emma schreibt - Armand Amapolas Emma auf Teneriffa

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Aber das erzähle ich dir lieber nicht am Telefon.«

      »Dann komm doch vorbei! Du wirst doch den Trampelpfad zu unserer unscheinbaren Redaktionshöhle noch finden – auch wenn du jetzt mehr auf Alleen und in Palästen unterwegs bist?«

      Emma war nicht danach, auf Pauls Flachsereien einzugehen. »Ich komme«, sagte sie nur. »Jetzt gleich?«

      »Gerne auch gestern. Du bist hier immer willkommen. Das weißt du.«

      Keine halbe Stunde später saß Emma Paul in der ehemaligen Bankfiliale gegenüber, die nun als halternswelt.de firmierte. »Schwerter zu Pflugscharen, auf unsere Art«, hatte Paul den Einzug kommentiert. Der Hauseigentümer war ein alter Freund – und treuer Leser der Halterner Post. Er hatte Paul Bärkamp und den paar Kollegen, die nicht aufhören wollten, in der Kleinstadt zwischen Ruhrgebiet und Münsterland Öffentlichkeit herzustellen, die Räume samt ausrangiertem Bankmobiliar kostenlos überlassen – »bis ihr Geld verdient; dann ändern wir den Vertrag«. Ein Mann mit Geduld.

      »Du meine Güte, wie siehst du aus? Hast du etwa geheult? Und hast du nichts zu tun? Liegt kein Firmenjubi…« Paul verstummte. Er sah Emma an, dass ihr jetzt nicht an Gefrotzel lag. »Komm, erzähl! Was ist passiert?«

      Und Emma erzählte. Alles. Von ihrem Auftrag. Davon, wie ungern sie solche Geschichten schrieb. Von ihrer Begegnung mit LSB. Wie sie es nicht lassen konnte, ihm auf den Zahn zu fühlen. Wie das einfach so über sie gekommen war. Von ihrer Flucht aus dem Reifenhaus. Von ihrem Gespräch mit Tanja und Hauke von Dückers. Von den Fotos, die sie nicht mehr besaß.

      »Das ist, auch wenn das jetzt hart klingt, wahrscheinlich gut so. Diese Geschichte hättest du nicht durchziehen sollen, selbst wenn du sie, glaube ich, überlebt hättest. Beruflich, meine ich.« Paul Bärkamp hatte still zugehört, Emmas Redefluss durch keine Frage unterbrochen, sie nur besorgt und ernst angesehen, ein paar Sekunden nachgedacht. Und ein mentales Häkchen drangehängt.

      »Du willst meinen Rat? Du bekommst ihn. Du solltest das Kapitel schließen. Das ganze Kapitel Lippe Revue. Das war ohnehin nicht deine Welt. Und von der Fürstin kannst du im Ernst nicht erwarten, dass sie auf ihre alten Tage die Alice Schwarzer gibt – die übrigens ja längst auch nicht mehr sie selbst ist. Dass unsere Fürstin ihren geliebten Hauke in die Bredouille bringt: unvorstellbar. Aber wenn du einverstanden bist, kann es vielleicht nicht schaden, LSB und das Fürstenpaar glauben zu lassen, die Fotos existierten doch noch. Ich könnte ja bei Gelegenheit mal eine Bemerkung fallen lassen, nur so, ganz nebenbei. Was ich da gesehen hätte. Was hältst du davon? Nicht um irgendwas draus zu machen, journalistisch meine ich, sondern nur als Rückversicherung. Das kann nicht schaden, finde ich.«

      Emma nickte. Und staunte. Sie konnte eben immer noch etwas lernen von Paul Bärkamp, dem ausrangierten Journalisten. ›A Hund is er scho‹, sagen sie, glaubte Emma gelesen zu haben, in Bayern über einen wie ihn. »Und jetzt zum Geschäft, Frau Schneider! Können Sie sich als Ghostwriterin vorstellen? Und bist du nicht auch eigentlich schon wieder reif für die Insel?«

      Und jetzt saß sie hier, in werweißwievieltausend Fuß Höhe, nur fünf Tage später, im Anflug auf Teneriffa. Hinter dem kleinen, leider etwas zerkratzten Fenster lugte ihr die Spitze des Teide aus einer fluffigen Wolkendecke entgegen. Déjà-vu.

      Was empfand sie? Jedenfalls keine Angst. Das war schon mal gut. Vielleicht Wut. Einen Rest von Wut, über ihre eigene Hilflosigkeit damals. Aber auch Freude. Zu ihrer Irritation. Eine diffuse, ihr nicht ganz begreifbare Vorfreude. Auch Wiedersehensfreude. Sie winkte der Teide-Spitze zu wie einer alten Bekannten.

      Vorfreude auf was? Noch wusste sie wenig über ihren möglichen Auftrag. Dafür eine ganze Menge über ihren potentiellen Auftraggeber. Das, was Paul ihr erzählt hatte. Und das, was sie dank ihrer Zeit als Lokalredakteurin in Haltern am See ohnehin wusste über Horst Hanisch. Über »Hotte« Hanisch. ›Uns Hotte‹, wie ihn viele im Kreis Recklinghausen genannt hatten, damals, als Hanisch noch einflussreich und scheinbar unaufhaltsam auf dem Weg nach oben war. Google lieferte eine schier unendliche Fülle von Artikeln, Fotos und Einträgen über Horst Hanisch: als frecher Jugendfunktionär seiner Partei, als ideenreiches, junges Kreistagsmitglied, als Parteisekretär, als Landtagsabgeordneter, dann Bundestagsabgeordneter. Vielen, jedenfalls in Herten und Umgebung, galt Horst Hanisch als ministrabel.

      Dann war der Absturz gekommen. Bei der Nominierung für eine erneute Bundestagskandidatur trat wie aus dem Nichts eine junge Frau gegen den Platzhirsch an – und gewann. Horst Hanisch war abgestürzt. Knall auf Fall. Sein Amt als Parteisekretär hatte er schon nach der ersten Wahl aufgegeben. Sein Nachfolger, das vermutete Emma – und Paul schien es zu wissen – hatte keinen geringen Anteil an Hotte Hanischs Demontage. Hanisch galt jetzt als entrückt. Als jemand, der sich zu wenig zuhause sehen ließ. Zu sehr in Berlin engagiert. Viele sagten auch: zu arrogant. »Der grüßt mich nicht mehr, wenn wir uns mal auf der Straße begegnen«, hatte sich eine alte Schul- und Parteifreundin in der Hertener Zeitung zitieren lassen. Manuela May, nicht mal halb so alt wie Hanisch, galt hingegen als »eine von uns« und ließ sich im Jahr vor ihrer Nominierung und der anschließenden Wahl in jeder Vereinsversammlung sehen. Sie klopfte an nahezu jede Hertener Tür, während Hanisch in Berlin »gebunden« war. Die Bundestagswahl war für Manuela May dann reine Formsache. In der einstigen Bergbaustadt hatten andere als SPD-Kandidaten keine Chance, immer noch nicht. Obwohl Zweidrittelmehrheiten, wie sie noch Hanischs schier ewig dienender Vorgänger eingefahren hatte, auch hier schon lange Geschichte waren. Manuela May erzielte sogar das schlechteste Ergebnis der SPD im Hertener Wahlkreis seit Gründung der Bundesrepublik. Aber es war immer noch eines der besten ihrer Partei, republikweit gesehen. Bei allerdings stark gesunkener Wahlbeteiligung.

      Das alles hatte Horst Hanisch nur noch aus der Ferne verfolgt. Seit seiner Nichtnominierung zum Bundestagskandidaten ließ er sich in Herten praktisch überhaupt nicht mehr blicken. Es fragte aber auch keiner mehr nach ihm. Er war verschwunden. Es hieß, er lebe jetzt ganz in Berlin.

      Das stimmte nicht, wie Emma von Paul erfahren hatte. Hotte Hanisch lebte auf Teneriffa. Und er wollte seine Erinnerungen aufschreiben. Eine Autobiographie verfassen. Vermutlich: abrechnen. Mit seiner Partei, mit seinem Nachfolger als Parteisekretär, mit Manu May, mit wem auch immer, von dem er sich verraten fühlte. Das jedenfalls vermutete Paul Bärkamp. Ach was: er wusste es, nach einigen langen Telefonaten mit Hanisch. Die beiden kannten sich, naturgemäß, seit Jahrzehnten. »Sie haben wenigstens nie etwas Erfundenes über mich geschrieben«, hatte Hanisch zu Bärkamp gesagt, bei ihrem ersten Telefonat. Er wollte Bärkamp dafür gewinnen, ihm beim Sortieren und Aufschreiben seiner Erinnerungen zu helfen. »Ich brauche einen Ghostwriter. Das Schreiben war noch nie so mein Ding. Aber das wissen Sie ja.«

      »Ich habe wirklich ernsthaft über Hanischs Angebot nachgedacht. Bis ich das Gerücht hörte, du hättest dich an LSB herangemacht.«

      »Das hast du gehört? Wann?«

      »Kurz bevor ich dir die Whatsapp-SMS geschickt habe. Ein alter Bekannter von der Recklinghäuser Zeitung rief mich an und wollte wissen, ob ich auch schon gehört hätte… Und ich würde dich doch kennen, als dein früherer Chef. Und ob ich mir so etwas vorstellen könnte.«

      »So etwas?«

      »Na ja. Der Kollege klopfte wohl auf den Busch. Wie man das eben so macht, wenn man nichts Genaues nicht weiß, aber ein Raunen gehört hat. Er hatte nichts Festes, kein Zitat, keine Quelle. Da hat er es, vermutlich unter anderem, eben bei mir versucht. Hätte ich ihm irgendein Zitat gegeben, hätte er am selben Tag noch einen Artikel gepostet, da bin ich ziemlich sicher. Und wenn es darin geheißen hätte: ›Ehemaliger Vorgesetzter kann sich nicht vorstellen…‹ Damit wäre die Geschichte in der Welt gewesen. Nachfragen wären legitim gewesen. So veredelt man Gerüchte zu vermeintlichen Nachrichten. Auf dem Boulevard jedenfalls. Neu ist, dank dem Internet, dass sich auch ernsthafte Blätter an diesem

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