Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1. Inger Gammelgaard Madsen

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Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1 - Inger Gammelgaard Madsen Roland Benito-Krimi

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Boot zu erhaschen. Sie konnte gar nicht aufhören, sich darüber zu wundern, wie groß und schön die Vögel in ihrem schneeweißen Federkleid waren, das jetzt in der Sonne glänzte.

      »Kamilla, ich habe diese beiden Herren an unseren Tisch eingeladen.« Majkens unvermittelte Stimme ließ sie erschreckt zusammenzucken. Die Enttäuschung darüber, dass Majken fremde Menschen in ihren Kreis hineinzog, jetzt schon, stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie hatte gehofft, mit der Freundin ein wenig allein reden zu können. Es ging ihr zu schnell mit dem sozialen Kontakt, auf den sie immer noch keine Lust hatte, und es wunderte sie, dass Majken diese Möglichkeit überhaupt nicht in Erwägung gezogen hatte.

      »Troels hier ist einer meiner Patienten. Und das hier ist Danny.« Majken zog den Mann auf eine fast ehrerbietige Art hinter Troels hervor, wie ein Zauberkünstler das weiße Kaninchen aus dem Hut zieht. Troels organisierte einen Stuhl von einem der anderen Tische, damit sie alle zusammensitzen konnten. Er rief den Kellner. Kurz danach kam der mit einer Flasche kühlem Riesling an ihren Tisch. Troels schenkte reihum ein, aber als er bei Danny angelangt war, legte der seine Hand über das Glas. »Nein danke, ich muss fahren.«

      »Aha, verdammt, ein heiliger Mann.« Troels lachte.

      Es war deutlich zu bemerken, dass Majken sich für Danny interessierte. Auch Kamilla musste widerwillig zugeben, dass er einen gewissen Reiz ausstrahlte. Seine Hände waren sehr hübsch und schlank. Sie lagen ruhig auf dem weißen Tischtuch. Seine Augen waren braun und von einer Wärme, die es angenehm machte, einfach in sie hineinzustarren. Sie ertappte sich selbst dabei.

      Schnell wechselte die Stimmung am Tisch von peinlich-gehemmt zu lebhaft. Viele der Anekdoten, die die anderen zu berichten wussten, waren so lustig, dass auch Kamilla zuletzt dem Drang zu lachen nachgeben musste, und sich bewusst wurde, dass sie sich lange nicht mehr derart wohlgefühlt hatte. Aber dann kamen die Schuldgefühle. Wie konnte sie hier sitzen und lustig sein, wenn sie ihren Sohn verloren hatte?

      »Du hättest deine Kamera mitnehmen sollen, Kamilla! Schau mal dort!« Majken riss sie aus ihren Gedanken. Sie zeigte auf das Fenster. Die beiden Möwen balgten sich um irgendetwas. Ganz in ihren Kampf versunken, kamen sie immer wieder sehr nah an das Fenster heran. Genau solche Situationen hatte Kamilla früher immer gerne mit ihrer Linse festgehalten. Die Kamera war ihr treuer Begleiter gewesen, den sie immer bei sich trug, wie ein Schüler seinen Ranzen.

      »Sie sind Fotografin?« Danny klang überrascht. Als hätte er ihren Beruf bereits zu raten versucht und sei dabei zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen.

      »Ja, aber ich mache gerade eine Pause – setze für ein Jahr aus.« Sie schielte zu Majken hinüber, aber die Freundin ließ sich nichts anmerken. Sie wusste, dass Majken der Ansicht war, dass Kamilla in ihrer Trauerarbeit eigentlich längst viel weiter sein sollte. Sie hatte keine Lust, von dem Auftrag zu erzählen, den sie heute erstmals wieder übernommen hatte. Nicht jetzt, wo zwei Fremde am Tisch saßen. Übrigens gab es für sie auch eine Form von Schweigepflicht, wenn sie für die Presse arbeitete.

      »Haben Sie dann ein Entwicklungslabor mit rotem Licht?« Troels sah sie aus bleichen Augen neugierig an. Allmählich begann bei ihm der Wein seine Wirkung zu zeigen.

      »Heutzutage läuft alles digital, so dass Dunkelkammern nicht mehr nötig sind«, erklärte sie.

      »Aber Sie besitzen ein eigenes Fotostudio?«, fragte Danny interessiert. »Ein ganz kleines. Ich arbeite freiberuflich für Werbebüros, Presse, Illustrierte und so weiter. Ich bin also meist unterwegs, wenn ich arbeite.« Bei diesen Worten musste sie daran denken, wie viele Male im letzten Jahr vergeblich bei ihr angerufen worden war. Zu Anfang hatte das Telefon sehr häufig geklingelt, dann waren die Interessenten aber immer weniger geworden. Vielleicht hatte sie inzwischen ja alle ihre festen Kunden verloren, und wovon sollte sie dann leben? Aber jetzt hatte sie ja den Job mit der Journalistin zusammen. Den Mord an dem kleinen Mädchen.

      9

      Es gab kein großes Empfangskomitee, als Anne in die Redaktion zurückkehrte. Der Geruch von Kaffee, IT-Ausstattung und den alten Zigaretten in Thygesens vollem Aschenbecher empfing sie, als sie ihren Rucksack gegen den Schreibtisch warf und den Regenmantel an den Kleiderhaken hängte. Auf dem Konferenztisch stand eine Thermoskanne neben gebrauchten Plastiktassen. Ein einsames halbes Brötchen mit einer dicken Schicht Butter lag eingetrocknet in einer aufgeschlitzten Bäckertüte, die den Eindruck machte, als habe sie ein Halbverhungerter gierig aufgerissen. Anne fiel ein, dass sie kein Mittagessen gehabt hatte, und ihr leerer Magen knurrte. Sie setzte sich hin und fuhr ihren Computer hoch.

      »Hier, für dich!« Redaktionskollegin Britt warf das eingetrocknete Brötchen zu ihr hin, zusammen mit einem Einwegteller. Anne nahm einen schwachen Schwall ihres widerlichen Parfüms wahr. »Wie lief die Sache beim Container?«, fügte Britt mit plötzlich ärgerlichem Tonfall hinzu und setzte sich wieder an ihren Computer – mit dem Rücken zu Anne. Sie starrte lange auf das Brötchen. Die Butter hatte begonnen, am Rand dunkelgelb anzulaufen. Mit Sicherheit hatte sie all den Rauch im Raum in sich aufgesogen, während die anderen ihre Besprechung ohne Anne abgehalten hatten. Aber sie nahm trotzdem einen Bissen – wo sie es doch schon für sie aufgehoben hatten. Dann stand sie auf und holte sich die Thermoskanne. Es war auch noch Kaffee übrig, sie konnte es schwappen hören.

      »Sie hatten das Mädchen schon herausgenommen, so dass wir keine Fotos von der Leiche machen konnten, aber es heißt, dass sie erdrosselt wurde – und vorher wahrscheinlich vergewaltigt«, antwortete sie, sobald sie mit Britt wieder Blickkontakt aufnehmen konnte.

      »Pfui! Wie abscheulich, einem Kind so etwas anzutun. Und es dann in einem Container liegen zu lassen wie ein Stück Abfall. Verdammt noch mal! Ich hasse diese Pädophilen!«

      Britts Augen machten unmissverständlich deutlich, dass sie es auch so meinte, doch ihr übriges Gesicht blieb ganz steinerne Journalistenfassade – man soll besser nicht zeigen, wie sehr schreckliche Taten einen mitnehmen, nicht als professionelle Journalistin, und Britt hatte bereits viele Jahre in der Branche gearbeitet. Sie machte selten Fehler.

      Für Anne, die vor nicht allzu langer Zeit aus Kopenhagen dazugekommen war, war es nicht immer leicht gewesen, hier, an der neuen Stelle, in einen so erfahrenen und routinierten Kreis einzusteigen. Die Konkurrenz zwischen ihr und Britt war in den ersten Wochen hart und heftig gewesen, aber mittlerweile hatten sie sich aneinander gewöhnt. Außerdem verstand es Thygesen recht gut, ihnen jeweils unterschiedliche Aufträge zuzuschustern, so dass diesbezüglich kein wetteiferndes Gezerre entstand. Aber Anne wusste, wie sehr es Britt ärgerte, dass Anne meist die Kriminalfälle bekam, weil Anne schon zuvor in Kopenhagen einige Fälle erfolgreich bearbeitet hatte. Britt dagegen musste sich mit den langweiligen lokalen Themen zufriedengeben. Das kleine Radio auf dem Schreibtisch vor Britt spielte wie immer unerträgliche moderne Popmusik, seichte Songs, zu denen Britt mit dem Fuß wippte. Anne wollte am liebsten Ruhe haben, wenn sie arbeitete, und mit Britts Musikgeschmack konnte sie sowieso nichts anfangen. Anne stand mehr auf Hardrock oder neueren Rap.

      »Wo ist Thygesen – und übrigens auch die anderen?«, fragte sie und schielte zu Thygesens Büro hin, während sie sich Kaffee in eine Plastiktasse einschenkte. Er war lauwarm, das spürte sie durch die Tasse hindurch – und dünn; dann hatte die Praktikantin ihn gekocht.

      Britt fing wieder an zu schreiben, und ihr Tippgeräusch übertönte beinahe ihre Stimme. »Alle sind im Außendienst, und Thygesen hat eine Besprechung in der Stadt. Er sollte in einer halben Stunde wieder da sein.« Sie machte eine Pause und sah Anne an. »Übrigens hat er etwas in deine oberste Ablage gelegt und du solltest einen Blick drauf werfen.« Sie sagte es, als sei ihr das eben erst in den Sinn gekommen, aber Anne wusste, dass sie natürlich schon geschnüffelt hatte.

      Sie vermisste die alten Kollegen in Kopenhagen. Sie waren dort wie eine große

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