Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1. Inger Gammelgaard Madsen

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Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1 - Inger Gammelgaard Madsen Roland Benito-Krimi

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zusammen. Drüben in der Hauptstadt waren sie eine Fifty-fifty-Mischung aus beiden Geschlechtern gewesen. Nur Frauen untereinander – das sorgte für Reibereien. Aber offenbar wollte Thygesen es so haben. Er hat etwas von einem lüsternen alten Ferkel, dachte sie und musste dabei lächeln. Eigentlich wunderte sie sich, dass sie überhaupt angestellt worden war. Mit ihrem knabenhaften Äußeren gehörte sie nicht unbedingt zu der »Babe-Kategorie«, die Thygesen offenbar bevorzugte. Britt und die beiden anderen Frauen in der Redaktion hätten in ihren Augen problemlos bei »Baywatch« mitspielen können – in jüngeren Jahren heißt das natürlich. Mittlerweile wirkte es fast ein wenig peinlich, dass sie immer noch tief ausgeschnittene Blusen und kurze Röcke trugen. Nur die Praktikantin, Bertha, war unter dreißig Jahre alt.

      Im Teenageralter war Anne eine der damals so vielen Jugendlichen gewesen, die gegen alles und jeden protestierten, leerstehende Häuser besetzten und meinten, dabei mitgeholfen zu haben, die Welt zu verändern. Ihre Nasenflügel, ihre Unterlippe und ihre Ohren hatten noch immer kleine Narben von den Piercings, wie sie bei einem echten Aufrührer irgendwie dazugehörten. Aber es war auch dieser Hintergrund gewesen, der ihr überhaupt erst Lust auf den Journalistenberuf gemacht hatte. Bei den großen Krawallen im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro hatte alles angefangen – am 18. Mai 1993, am lauen Abend nach der Abstimmung über die Maastricht-Pläne und dem dänischen Ja zur EU. Obwohl sie eine schlimme Nacht in einer Arrestzelle verbracht hatte, war es für sie das Schlüsselerlebnis gewesen, das bei ihr den Wunsch geweckt hatte, selbst journalistisch aktiv zu werden. Aus dem Trauma von Nørrebro entstanden daraufhin sowohl ein leistungsstarkes Nørrebro-Netzwerk als auch eine dazugehörige lokale Zeitung, und sie machte bald die Erfahrung, dass sie durch journalistische Arbeit ihre Meinungen und Ansichten viel besser zum Ausdruck bringen konnte als zuvor. Plötzlich wusste sie, was sie wollte; nach all der Zeit des Nichtstuns nach Abschluss der Schule. Die Hochschule für Journalistik war hinreichend spannend gewesen, um die Sache auch bis zum Ende durchzuziehen. Die ersten Jahre über hatte sie dann in der Redaktion einer kleinen Jugendzeitung gearbeitet und alle möglichen Artikel über ungerechte politische Maßnahmen und Beschränkungen geschrieben, wofür es immer genügend Stoff gab. Später trat dann das journalistische Interesse an der Kriminalität immer weiter in den Vordergrund. Was da der Auslöser gewesen war, wusste sie selbst nicht so genau.

      Es war wohl ihre unerschrockene Dreistigkeit gewesen, die ihr die Anstellung verschafft hatte, sowie die hartnäckigen Anrufe bei Thygesen und natürlich ihre ungeschminkte Ehrlichkeit – weniger ihr Aussehen. Schließlich war da ja auch ihre abschreckende Narbe an der linken Augenbraue, wodurch es aussah, als habe sie ein hängendes Auge. Es war für sie ein großes Glück gewesen, dass sie die Anstellung in Aarhus erhalten hatte, so dass sie von Kopenhagen hatte weggehen können. Den Koffer packen und sich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit Kurs auf Jütland ins Auto setzen, ohne dass es jemand merkte oder sie nach ihrem Vorhaben fragte.

      Sie hatte sich sehr auf die neue Aufgabe in der Provinz gefreut. Bis jetzt hatte es für sie nichts wirklich Spannendes gegeben, worüber sie hätte schreiben können. Aber nun war endlich etwas passiert, was an die gefährlicheren, heftiger zur Sache gehenden Aufträge erinnerte, die sie in Kopenhagen immer mit Vergnügen übernommen hatte. Da war etwa der Fund einer zerlegten Leiche gewesen – gut, das war selbst für sie beinahe zu viel gewesen, aber ansonsten waren es genau solche Sachen, worüber sie am liebsten schrieb. Sie wurde dadurch selbst Teil der Aufklärung, so ihr Empfinden. Ihre alte Verachtung für die Polizei stand auf einem anderen Blatt – jetzt brauchte sie die Bullen und konnte bei ihrer Arbeit ohne Skrupel alles polizeiliche Wissen ausnutzen, dessen sie habhaft wurde. Es war eine interessante Tätigkeit, die ihr Interesse vollauf fesselte.

      »Gottogott, ist es schon so spät?!« Britt sprang vom Stuhl auf und sah auf ihre Uhr. »Ich habe ein Gespräch mit einem aus dem Irak heimgekehrten Soldaten – das hätte ich beinahe vergessen.« Schnell schlüpfte sie in ihre Windjacke und zog den Reißverschluss zu. »Thygesen hat mich gebeten, einen Artikel über die traumatischen Leiden zu schreiben, die sie als Soldaten durchmachen müssen. Der Junge hat mit eigenen Augen erlebt, wie mehrere Kinder durch eine Bombe in tausend Stücke zerfetzt wurden, und ist momentan psychisch ganz unten.« Britt machte eine Pause, während sie auf Annes Rücken starrte. Anne antwortete nicht, sondern saß hochkonzentriert an ihrem Computer.

      »Tja, so einen Auftrag würde er dir nie geben, Anne. Du verstehst so etwas ja eh nicht«, sagte sie gehässig und stapfte aus dem Raum. Hinter ihr knallte die Tür zu.

      Anne verkniff es sich, darauf zu reagieren. Sie hatte sich schon viel zu oft anhören müssen, dass ihre Ansichten extrem seien und auf nicht allzu viel Verständnis stießen, und sie wollte sich am neuen Arbeitsplatz nicht unbeliebt machen. Aber Britt hatte recht. Sie verstand es tatsächlich nicht. Sie hatte an allen erdenklichen Demonstrationen gegen den Krieg teilgenommen, ob es regnete, stürmte oder die Sonne schien. Sie verstand nicht, dass es für ausgebildete Soldaten plötzlich überraschend war, dass im Krieg Menschen getötet und verletzt wurden. Sie kehrten als psychisch angeschlagene Nervenbündel zurück und brauchten psychologische Krisenhilfe, weil der Feind sie angeschossen hatte und sie Menschen hatten sterben sehen. Ja, was hatten sie denn erwartet? Warum denn hatten sie überhaupt Soldaten werden wollen? Würde endlich kein Mensch mehr Soldat werden wollen, könnten auch keine Kriege mehr geführt werden.

      Sie stand auf, schaltete Britts Radio aus und schenkte sich eine zweite Tasse Kaffee ein. Einzig das Geräusch des leise summenden Computers war zu hören. Sie war endlich allein, hatte ihre Ruhe.

      Britts Telefon klingelte noch ein paarmal, aber sie nahm den Hörer nicht ab. Sie hatte schließlich einen Artikel zu schreiben.

      Es waren ein paar Mails gekommen, während sie außer Haus war. Auch von Kamilla war eine dabei. Die Fotos. Anna überflog rasch die Aufnahmen. Es fehlte noch etwas Fleisch drauf, wie man im Jargon zynischerweise sagte, aber insgesamt war sie doch recht zufrieden. Sie wählte ein paar Fotos aus, die sie für ihren Artikel verwenden wollte. Er war recht schnell geschrieben, schließlich gab es auch noch nicht viele konkrete Informationen, die sie hätte verarbeiten können. Danach überflog sie die Mails und beantwortete kurz die wichtigsten, auf die sie zeitnah reagieren musste. Als sie bei der letzten Mail angelangt war, erstarrte sie. Wie konnte es möglich sein, dass er sie doch schon wieder gefunden hatte? So schnell? Ohne es bewusst wahrzunehmen, strich sie sich über die Narbe am Auge. Dann riss sie sich zusammen, löschte die Mail, ohne sie gelesen zu haben, und zog Thygesens Auftrag aus der obersten Schublade der Briefablage.

      10

      Seit dem Bruch mit Sanne hatte sich Danny nicht mehr allzu sehr für das andere Geschlecht interessiert. Nun saß er da und beobachtete ihr Gesicht, während sie sprach. Da war etwas in dem Ausdruck ihrer blaugrünen Augen, was ihn berührte. Sie musste Mitte bis Ende dreißig sein. Ihr Gesicht war deutlich vom Leben geprägt – sowohl von Freude als auch Trauer –, was ihm einen reifen Ausdruck verlieh. Wenn sie lächelte, traten die feinen Falten um ihre Augen deutlicher hervor. Das helle Haar war mit einer Spange zu einer improvisierten, lockeren Frisur hochgesteckt. Eine ihrer hellen Locken hatte sich in die Stirn verirrt. Er ertappte sich dabei, dass er ein heftiges Verlangen verspürte, diese Locke zärtlich wegzustreichen. Sie hatte bezaubernde kleine Sommersprossen auf der Nase. Und dann war sie Fotografin. Für ihn waren Fotografen immer Männer gewesen, die mit gierigen Blicken und sabbernden Lippen schöne Models in eng sitzender Unterwäsche fotografierten und dazu teerschwarzen Kaffee tranken, der am Boden einer Glaskanne in der Kaffeemaschine hinten im Raum langsam trocken kochte. Aber hier in Jütland verhielt es sich offenbar anders.

      »Was steht denn als dein nächstes Werbeprojekt an, Danny?«, fragte Majken – sie waren inzwischen alle vier zum vertraulichen Du übergewechselt – und lehnte sich einladend zu ihm herüber, so dass er tief in ihr Dekolleté blicken konnte. Was er auch ausgiebig tat – er konnte nicht anders. Die Begegnung mit diesem Troels Mortensen hatte ihn zunächst irritiert, schließlich hatte er das Bedürfnis gehabt, allein zu sein und nachzudenken. Aber nun musste er zugeben, dass die Gesellschaft, die das Treffen

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