Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1. Inger Gammelgaard Madsen
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»Bla, bla, bla«, äffte er den Kommentator nach und zappte weiter. Von Sender zu Sender nur Werbung, Werbung, Werbung – und von so einem Zeug lebte dieser Kerl, den er im Restaurant getroffen hatte. Den Leuten Lügen erzählen, damit sie mehr Geld ausgaben. Ihnen längeres und seidiger glänzendes Haar versprechen – oder überhaupt noch irgendeinen Haarwuchs. Er lächelte verächtlich. Was für eine schwule Beschäftigung. Und dann war der Typ noch so ein heiliges Arschloch, das nicht trank und für andere den Lebensretter spielen wollte. Er hätte sehr gut selbst nach Hause fahren können, das hatte er doch schon tausendmal vorher gemacht und oft genug, wenn er noch weitaus mehr intus gehabt hatte. Troels zappte weiter und landete bei einem Sender, der Tänzerinnen in einem Nachtklub von Miami zeigte. Er nahm einen großen Schluck aus der Bierdose, während er die festen, jungen Mädchenkörper betrachtete, mit Beinen in langen schwarzen Lackstiefeln, die ihnen bis zu den Knien reichten. Sie wanden sich wie Schlangen um die glänzenden Stahlrohre, die wie in einer kleinen Feuerwache auf der Bühne aufragten. Eines der Mädchen hockte sich vor einen der Nachtklubbesucher und flirtete schamlos frech mit der Zunge mit ihm.
Sie war schön, braun und gut gebaut. Troels spürte das Pochen im Schritt wie einen Schmerz. Wie ein Höhnen. Dann richtete sich die Tänzerin auf und schubste den erregten Kunden mit einem Lachen von sich. Der konnte auch nicht. Troels’ Griff um die Bierdose wurde so fest, dass das Metall nachgab. Er zappte zurück auf den Sportsender. Die zweite Halbzeit war gerade angepfiffen worden.
Es dauerte nicht lange, bis die Bierdose leer war. Er holte die Whiskyflasche aus dem Schrank mit der Hausbar und betrachtete liebevoll die goldene Flüssigkeit, bevor er sich einschenkte.
Das Spiel endete unentschieden. Er ging in die Küche und hob die Alufolie an. Koteletts von gestern, die nur aufgewärmt werden mussten. Er rümpfte die Nase. Jetzt nicht. Es hatte auch keine Eile, weil die Sitzungen ohnehin immer lange dauerten, und vielleicht wollte sie sich ja anschließend noch amüsieren gehen. Er nahm wieder vor dem Bildschirm Platz. Nach all dem Wein im Restaurant, dem Bier und dem Whisky fühlte er sich jetzt betrunken. Trotzdem schenkte er sich noch einmal nach. Als er die Erkennungsmelodie der Spätnachrichten hörte, beschloss er, den Fernseher ausschalten. Er konnte all die Meldungen über den Irakkrieg und die Selbstmordattentäter dort nicht mehr ertragen, das Entsetzen lag noch immer wach unter seiner Haut. Aber als der Nachrichtensprecher nun mitteilte, dass in einem Container in Brabrand ein ermordetes Mädchen gefunden worden sei, hielt sein Finger auf der Fernbedienung inne. Die Leiche war noch nicht identifiziert, und die Polizei verfügte über keine weiteren Informationen. Das Unbehagen rieselte ihm den Rücken hinunter. Er leerte das Glas mit einem großen Schluck.
13
Das Geräusch der Türglocke hallte im Haus wider. Tarzan lag zusammengerollt auf dem Sofa wie ein schwarzes, flauschiges Kissen. Sie war wie ein Tornado in der Wohnung herumgewirbelt und hatte Ordnung gemacht, als sie vom Restaurant nach Hause gekommen war. Jetzt war sie sehr erleichtert, dass sie das getan hatte. Sie warf noch einen raschen bewundernden Blick über das fast aufgeräumte Wohnzimmer, dann öffnete sie die Tür.
Jan hatte Nina bei sich; einen Rosenstrauß aus dem eigenen Garten in der Hand, den sie nun Kamilla entgegenstreckte. Kamilla selbst hatte die Stöcke an einem kühlen Abend vor langer Zeit im Garten des Hauses in Mårslet bei Aarhus gepflanzt. Der Anblick von Nina ließ ihr Herz einen mittleren Galopp einlegen. Ein peinigendes Gefühl von Unzulänglichkeit übermannte sie jedes Mal, wenn sie sich in der Nähe jener Frau befand, die Jan ihr und Rasmus vorgezogen hatte.
»Wir waren gerade ein bisschen mit dem Auto unterwegs und da haben wir uns gedacht, wir fahren mal bei dir vorbei und schauen, wie’s dir so geht«, sagte Jan.
Kamilla wusste, dass das nicht stimmte. Sie nahm den Strauß entgegen und bat die beiden zögernd ins Haus.
»Stören wir gerade?«, fragte Nina rücksichtsvoll, als sie eingetreten waren.
»Nein, gar nicht. Wollt ihr eine Tasse Kaffee?«
»Nein, danke, wir fahren gleich wieder.«
Mit seinen langen, selbstsicheren Schritten, die sie aus zehn Ehejahren so gut kannte, schritt Jan ins Wohnzimmer hinüber. Seine roten Haare hatte Rasmus von ihm gehabt. Jan trug Freizeitkleidung: Jeans und ein hellblaues Hemd, das das strahlende Blau seiner Augen noch intensiver wirken ließ. In blauen Hemden hatte ihn Kamilla schon immer besonders anziehend gefunden, und es irritierte sie, dass sie jetzt noch immer dasselbe fühlte.
Ninas Kleidung stand zu derjenigen Jans in deutlichem Kontrast. Sie sah immer aus wie jemand, der sich gerade auf dem Weg zu einer Festlichkeit befindet, und ihre Frisur saß, als käme Nina direkt aus dem Haarsalon. Ihre hochhackigen Schuhe hatte sie höflich im Flur ausgezogen, damit sie auf dem glatten Holzboden keine Spuren hinterließen. In ihrem verwaschenen T-Shirt und der schäbigen Hose fühlte sich Kamilla wie eine graue Maus, und ihr Haar war noch von der Dusche nass. Da sie vorgehabt hatte, bald ins Bett zu gehen, trug sie auch kein Make-up. Sie setzte sich ihnen gegenüber aufs Sofa. Sie hatten beide ihre Jacke nicht abgelegt. Jan saß einfach nur da, trommelte mit den Fingern auf den Couchtisch und starrte auf das Foto von Rasmus im Regal. Rasmus drückte einen Fußball an sich und sein kleines Gesicht strahlte ernsten Stolz aus. Das Foto war aufgenommen worden, als er gerade mit dem Fußballspielen anfing. Sie erinnerte sich noch deutlich an jenen Abend. Jan war sehr stolz gewesen, dass sein Sohn dem Fußballverein beitreten wollte. Das ist Vaterstolz, hatte sie gedacht. Auch wenn Jan weder bei den Geburtsvorbereitungen dabei gewesen war noch beim Windelwechseln seinen Beitrag geleistet hatte, so war er doch stolz auf seinen Sohn. Kamilla erschauderte, als sie nun den Hass in Jans Augen bemerkte. Glaubte er womöglich immer noch, dass sie damals nicht gut genug auf ihren Sohn aufgepasst hatte?
Nina hatte sich eine Zigarette angezündet. Zwischen ihren langen, dünnen Fingern mit den gepflegten, lackierten Nägeln zitterte sie leicht. »Es ist gelogen«, bekannte Jan.
Kamilla kannte seine Lügen. Seine Lügen, dass er Überstunden hatte machen müssen, auf Geschäftsreise ging, ein spätes Geschäftsessen hatte – all die erfundenen Geschichten, die sie ihm damals blind abgenommen hatte. Zum Glück war Rasmus zu diesem Zeitpunkt erst fünf Jahre alt gewesen und hatte noch nicht richtig begriffen, dass sein Vater und seine Mutter nun nicht mehr zusammen waren. Sie selbst hatte es schwieriger gehabt. Plötzlich war sie mit einem kleinen Jungen allein – nur weil sein Vater ins Panikalter gekommen war und sich eine Lolita gesucht hatte. Nina war viel jünger als sie selbst. Jan könnte fast schon ihr Vater sein. Aber Kamilla hatte fest daran geglaubt, dass sich Jan zuletzt dennoch für seine Familie entscheiden würde – für sie und für Rasmus. Sie hatte sich geirrt.
»Was ist gelogen?«, hakte sie nach.
»Wir sind gerade nicht einfach nur ein bisschen mit dem Auto unterwegs gewesen«, räumte Jan ein. »Wir waren auf dem Friedhof. Es war das erste Mal. Ich habe bisher noch nicht ... gekonnt.« Er schwieg und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als wolle er den Anblick wegwischen, der sich ihm auf dem Friedhof geboten hatte.
Nina schnippte die Asche der Zigarette in den Aschenbecher, den sie auf den Couchtisch gestellt hatte, als sie sich hinsetzte. »Ich habe ihn mitgeschleppt«, ging sie dazwischen. Sie nahm einen tiefen Lungenzug und blies dann den Rauch aus dem Mundwinkel. »Ansonsten begreift er die Wirklichkeit nie. Und jetzt will er den Mann finden, der Rasmus ermordet hat.«
Sie blickte zu Jan hin, als habe sie soeben eines seiner größten Geheimnisse gelüftet.
»Was