Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1. Inger Gammelgaard Madsen
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Читать онлайн книгу Der Schrei der Kröte - Roland Benito-Krimi 1 - Inger Gammelgaard Madsen страница 16
»Ist dir eigentlich bewusst, dass dieses Schwein dafür, dass es unseren Sohn getötet hat, nur vier bis sechs Monate Gefängnis bekommen hat? Er ist längst wieder draußen. Fährt wieder Auto. Trinkt wieder. Vergnügt sich wieder! Er hätte lebenslänglich kriegen sollen!«
»Nein, Todesstrafe!« Nina schnippte wütend die Asche von der Zigarette, obwohl sie es doch soeben erst getan hatte.
»Es ist jetzt über ein Jahr her, Jan! Was willst du diesem Mann denn sagen, wenn du ihn gefunden hast?« Kamilla hatte bislang keinerlei Kraft dazu gehabt, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wie der Fahrer des Wagens bestraft worden war – geschweige denn ihn irgend kontaktieren zu wollen.
Jan starrte wieder auf das Foto von Rasmus. Der Hass leuchtete aus seinen Augen. Er antwortete nicht. »Da ist nichts mehr zu machen, Jan«, versuchte sie es wieder. »Selbst wenn du ihn ermordest, bekommen wir Rasmus nicht zu...« Ihre Stimme versagte.
»Er hätte eine höhere Strafe erhalten sollen! Wenn er sich an jenem Abend nicht betrunken ans Steuer gesetzt hätte, wäre der kleine Rasmus noch hier!« Mit einer aggressiven Bewegung zerquetschte Nina die Kippe im Aschenbecher und stand auf. Jan tat es ihr nach. Als ihr klar wurde, dass die beiden schon wieder gehen wollten, erhob sich Kamilla ebenfalls. Sie wusste, dass Nina Rasmus wirklich sehr gemocht hatte und dass Rasmus seinerseits Nina vergöttert hatte. Es war um seinetwillen gewesen, dass sie sich gezwungen gefühlt hatte, Nina zu akzeptieren, obwohl sich die Eifersucht tief in sie bohrte, wann immer sie die beiden zusammen gesehen hatte. Eine Zeit lang hatte sie befürchtet, dass Jan und Nina ihr Rasmus wegnehmen würden, aber zum Glück war das nicht geschehen. Nicht sie hatten ihn ihr weggenommen.
»Ich hatte gehofft, du würdest uns in dieser Sache unterstützen«, meinte Jan vorwurfsvoll, als sie draußen im Flur standen.
»Nein, vergiss es, Jan! Schlag es dir aus dem Kopf, diesen Mann zu finden, das bringt uns allen nichts. Es ist am besten, wenn wir ihm fernbleiben. Soll ich Majken fragen, ob sie sich die Zeit für ein Gespräch mit dir nehmen kann?«
»Eine Psychologin? Nein danke, ich brauche keinen Seelenklempner. Ich habe Nina, mit der ich sprechen kann.«
Er griff nach Ninas Hand, die sie ihm bereitwillig entgegenstreckte. Kamilla sah, wie er sie fest drückte.
Sie folgte ihnen bis zur Tür und blickte ihnen nach, bis das Auto auf die Straße bog und zwischen den Bäumen verschwand. An der gleichen Stelle hatte sie Rasmus zuletzt lebend gesehen – mit der großen Sporttasche und dem Fußball auf dem Gepäckträger, auf dem Weg zum Training. Der Schmerz stach ihr wieder heftig in der Brust. An jenem Abend hatte sie zuvor noch mit ihm geschimpft. Erst, weil er seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte, dann, weil er seine Sporttasche noch nicht gepackt hatte, obwohl er für sechs Uhr mit Jonas in der Turnhalle verabredet war, und schließlich, weil er wieder nicht aufgegessen hatte. Es waren alles so unbedeutende Kleinigkeiten gewesen, über die sie wirklich nicht hätte schimpfen sollen.
Sie saß noch lange auf dem Sofa, wo eben noch Jan gesessen hatte, und starrte auf das Foto von Rasmus. Ein merkwürdiges Gefühl begann in ihr aufzusteigen. »Sechs Monate«, wiederholte sie laut ihre Gedanken. »Sechs bis neun Monate für ein Kinderleben.« Dann stand sie auf und leerte den Aschenbecher, in dem Ninas Zigarettenkippen mit ihrem roten Lippenstift auf dem Filter lagen, in den Mülleimer.
14
»Wer zum Teufel hat denn das hier erlaubt!?«
Eine Faust traf die Zeitung, auf deren Titelseite übergroß das Foto des ekelerregenden Inneren eines Abfallcontainers prangte. Beinahe wäre die Plastiktasse mit dem lauwarmem Kaffee umgekippt. Roland saß im Besprechungszimmer. Nach dem Ende der verspäteten Morgenkonferenz hatte er den diensthabenden Polizisten vom gestrigen Einsatz am Container gebeten, noch einen Moment zu bleiben. Der große Polizist stand aufrecht vor seinem Chef, aber heute strahlte er nicht dieselbe Autorität aus wie am Vortag am Container.
»Hierzu habe ich keinerlei Erlaubnis gegeben. Aber wie auch immer – immerhin kam ja etwas dabei heraus«, versuchte sich der junge Polizist mit einem unsicheren schiefen Lächeln auf den Lippen zu verteidigen. Roland entspannte sich ein wenig. Es hatte geholfen, die Stimme zu heben und mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Er hatte schon immer Probleme gehabt, sein Temperament zu zügeln. Er gab seinen süditalienischen Genen die Schuld. Und dann hatte er heute Nacht nur ein paar Stunden geschlafen. In dem Moment, als er endlich zu Irene ins Bett geschlichen war, hatte ihr Enkelkind angefangen zu weinen – ihre Erkältung machte dem Mädchen zu schaffen. Die Kopfschmerzen von der Zigarre des Schwiegervaters hatten die ganze Nacht lang in seinem Kopf gebohrt. Der Hund des Nachbarn hatte gebellt. Aber es war nicht nur das gewesen; er hätte auch sonst nicht schlafen können. Jedes Mal wenn er ein Auge zutat, war ihm das Bild des toten Mädchens mit den dunklen Locken voll Schlamm wie ein Nachbild auf der Innenseite seiner Lider erschienen. Er sah sie an einem finsteren Ort gefesselt. Wo war dieser Ort? Wie könnten sie ihn ausfindig machen? Wie sehr er es auch versuchte, es erwies sich als völlig unmöglich, sich in die Gedanken des Mörders zu versetzen. Er fühlte sich schlapp und kraftlos. Er winkte den jungen Polizisten weg.
»In Ordnung, Dan. Wir unterhalten uns später noch mal darüber.«
Passiert ist passiert. Es nutzte nichts, Dan Vorwürfe zu machen, auch wenn er schon oft genug gute Lust gehabt hätte, ihm einen Tritt in den Hintern zu geben. Ihm kam es manchmal so vor, als glaube der noch reichlich unerfahrene junge Polizist, dass es völlig ausreiche, eine schicke Uniform überzuziehen, um Polizist zu sein. Mit der Zeit würde er ganz sicher schon noch lernen, dass es da doch um viel mehr ging. Außerdem war es Roland immer schwergefallen, mit einem Mitarbeiter zu schimpfen, der seine Fehler offen zugab, statt mit allen möglichen und unmöglichen Ausreden anzufangen oder zu versuchen, die Schuld auf andere abzuladen. Denn das hasste er. Dann wurde er wirklich wütend. Und der Junge hatte ja recht. Vielleicht war ja wirklich etwas Brauchbares bei der Sache herausgekommen. Zuallermindest ist dieses Foto ein Beweis dafür, dass wir in der Tat sehr ungeschickt vorgegangen sind, dachte er missgestimmt. Warum hatte die Polizei die zweite Türöffnung auf der Rückseite des Containers nicht entdeckt? Oder zumindest Henry Leander! Sein alter Freund hatte doch sonst Augen für alles wie ein trainierter Jagdhund. Womöglich war der Jagdhund ja mittlerweile zu alt geworden. Oder vielleicht ich selbst, schob er rasch nach, als er entdeckte, dass er gerade dabei war, genau das zu tun, was er am meisten verabscheute – den Schwarzen Peter an andere weiterzugeben.
Zudem war es Henry Leander gewesen, der die Puppe entdeckt hatte. Sie war auf dem Foto aus dem Artikel der Journalistin nirgendwo zu sehen, wohl aber auf den rechtsmedizinischen Fotos. Auf dem Zeitungsfoto dagegen war die Puppe weg. Vier Männer hatten danach gesucht. Sie hatten den stinkenden Containerinhalt durchwühlt, aber die Puppe war und blieb verschwunden. Jemand musste sie zwischenzeitlich entfernt haben – aber warum und wie? Sie hätten sie mitnehmen sollen, bevor sie den Container versiegelten, aber es war kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Puppe und dem Mord an dem Mädchen zu erkennen gewesen. Es befand sich ja so viel Zeug dort. Und könnte es denn überhaupt die Puppe des Mädchens gewesen sein? Sie war gefesselt gewesen – hätte sie eine Puppe da nicht längst verloren gehabt? Roland beugte sich über den Tisch, griff nach der Thermoskanne und schenkte sich Kaffee nach. Der Tisch wies noch die Spuren der Morgenkonferenz auf. Michael hatte eine zerknüllte Serviette mit Butterflecken hinterlassen, und Kim hatte seine leere Tasse stehen gelassen, obwohl sie alle die klare Anweisung hatten, den Tisch nach den Besprechungen abzuräumen. Niemand hatte die Stühle an ihren Platz zurückgeschoben oder die Kaffeeflecken und Brotkrümel auf dem Tisch abgewischt. Manchmal war es eine Plage, Mitarbeiter zu haben, deren Ehefrauen oder Mütter tagtäglich hinter ihnen herräumten.
Der frühe Termin im Institut für Rechtsmedizin hatte den ganzen Tag durcheinandergebracht.