Das Science Fiction Jahr 2020. Группа авторов

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Das Science Fiction Jahr 2020 - Группа авторов

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blieben, was eine ziemlich kindische Tätigkeit ist, vor allem wenn man bedenkt, dass der Winter naht.«[9] Was macht also Diversity in der SF, will sie nicht mit Stöckchen spielen?

      Nicht immer bedeutet Diversity auch Innovation – viele Werke bleiben in der Vergangenheit gefangen, zu der sie nur Gegenentwürfe produzieren. Identitäten sind zu vielfältig und in sich widersprüchlich, als dass sich daraus stets Rollenvorbilder konstruieren ließen, die der Komplexität sozialen Lebens gerecht würden. In Opposition hierzu steht die Gleichstellung aller Spezies, wie sie Derrida in seinem Spätwerk behandelte. Dies ist besonders für die SF relevant, da das tatsächlich radikal Andere – außerirdisches Leben – einbezogen wird. Wie als Statement wider Cixous postulierte die Professorin Donna J. Haraway 1985 im »Cyborg Manifesto«: »Nichts am Weiblichsein bindet Frauen natürlicherweise in eine vereinheitlichte Kategorie. Ein Zustand wie ›Frausein‹ existiert nicht einmal, dies ist selbst nur eine hochkomplexe Kategorie, die sich in widerstreitenden Wissenschaftsdiskursen und anderen Sozialpraktiken etablierte.«[10] Die Zoologin und Philosophin Haraway entwirft für gemeinsame soziale Zusammenhänge eine »signifikante Andersartigkeit«. In Staying With the Trouble: Making Kin in the Chthulucene [sic!] (2016), konkretisiert sie einen Posthumanismus, in dem respektvolles Miteinander aller Arten die in Negation verhaftete postmoderne Identitätspolitik ablöst. Wie der Titel – ein Augenzwinkern zu Lovecraft – andeutet, verweist sie auf die Vielarmigkeit von Kraken, die in alle Richtungen Verbindungen etablieren. Ähnlich beschreibt sie ihr eigenes Schreiben: »String-Kreationen, eine der vielen ›SFs‹ im Buch, beinhaltet ein gemeinschaftliches Weben von Mustern. Fäden werden fallen gelassen, Strukturen lösen sich auf und neue Muster entstehen.«[11]

      Als Genre-Philosophie mag der Ansatz neu sein, doch bot die SF der Moderne Vergleichbares. Dmitri Bilenkin erzählt in Die Stadt und der Wolf (1978) von der gleichberechtigten Freundschaft eines Wolfes mit einer jungen, selbstbewussten Tierpsychologin. Slonczewski behandelt in Brain Plague (2000) – einem Hard Science Fiction Roman mit Motiven der High Fantasy – sowohl Andersartigkeit gemäß der Diversity wie auch des Haraway’schen Konzepts: Die bisexuelle Künstlerin Chrys lässt sich Mikroben in die Hirnhaut injizieren – diese können über Sprache kommunizieren, und Chrys erhofft sich neue Impulse für ihre Kunst. Der Stamm stellt sich als problematisch heraus, doch wird er nicht der einzige sein, mit dem sie eine Quasi-Symbiose eingeht. Innovativ ist die ideologisch unverbildete Exploration der Gemeinschaft zweier Lebensformen: Hat der menschliche Wirt absolute Macht, ist demokratische Koexistenz anzustreben, gleicht das Verhältnis einer Religion? Hat die Mikrobe gleiches Stimmrecht wie das Hirn, an dessen Rand sie lebt? Anders als in A Door Into Ocean, wo pazifistische, homosoziale Frauen Opfer einer militaristischen Männergesellschaft sind, bietet Brain Plague keine simplen Antworten. Der Roman behandelt nicht nur Interspezies-Beziehungen (»What? You mean she’s a worm-lover?«), sondern auch Gentechnik und Manipulation. Dmitri Gluchowski hingegen zeichnet in seiner Dystopie Metro 2033 ein tragisches Scheitern der Koexistenz zweier humanoider Evolutionsstufen, wobei nicht die Homo sapiens (mit denen man sich über den Protagonisten Artjom identifiziert), sondern bislang als Monster angesehene Mutationen vernichtet werden – alles war nur Missinterpretation, gescheiterte Kommunikation. Der Mensch verurteilt sich mit der Auslöschung seiner perfekten Evolution selbst zum Untergang.

      Das Ich und das Andere in der SF

      Derridas Dekonstruktivismus wurde von Linguistik und Psychologie gelöst auf die Soziologie angewandt, dabei traten zwei Grundsätze hervor: 1. Um Fremdbestimmung zu verhindern, kann jede Person nur über sich selbst sprechen; jede Repräsentation muss realitätsnah sein. 2. Das Ich steht für die Gesellschaft, das Andere für alternative, diskriminierte Identitäten. Der Ruf nach Repräsentation führte zur Inklusion verschiedenster Identitätskonzepte, sei es über Herkunft oder Ethnizität, sexuelle Identität oder Präferenz, psychische oder physische Befähigungen. Dies funktioniert im Sozialrealismus, in der SF ist der Platz des Anderen jedoch belegt: von Aliens, Robotern, cthulhuiden Monstern und lebenden Maschinen. Die spekulative Fiktion behandelt bereits die Problematik der Identität und des Andersseins, sprengt Konventionen und hebelt den Status quo aus. Wird das Alien-Andere mit dem Diversity-Anderen in einem Plot kombiniert, kann die Wirkung des einen die des anderen ausradieren. Steht ein Mensch mit alternativer Identität oder Lebensweise als positive Identifikationsfigur dem Alien gegenüber, bedeutet dies, dass das Auftreten des Aliens die Konventionen der Menschen aufbricht – somit wäre also die alternative Identität die neue Norm, die es zu zerstören gilt. Die Konstruktion und Funktion der spekulativen Fiktion und besonders der SF als bereits radikale Transgression etablierter Normen bedeutet, dass Rollen nicht einfach ausgetauscht werden können, sondern ein Verständnis komplexer Mechanismen sowohl des Genres wie auch der Realität erfordern.

      Literatur

      [1] Hélène Cixous: »The Laugh of the Medusa« in: Signs, Vol. 1, No. 4. Chicago, 1976.

      [2] Ria Endres: Am Ende angekommen. Dargestellt am wahnhaften Dunkel der Männerportraits des Thomas Bernhard. Dissertation. Frankfurt am Main, 1980.

      [3] Luce Irigaray: This Sex Which Is Not One. Ithaka, New York, 1985 (Original von 1977).

      [4] Lynne Huffer: »Masturbating Dykes: Cixous, Irigaray, Leduc« in: SITES: The Journal of Contemporary French Studies. Milton Park, 2002. Hervorhebungen des Originals.

      [5] Michael K. Iwoleit: »Reductio ad absurdum. Die Science Fiction des David I. Masso« in: Reductio ad absurdum. Acht Essays zur Short Science Fiction. Lüneburg, 2015.

      [6] David Peak: The Spectacle of the Void. USA 2014.

      [7] Paul Rekret: »Jacques Derrida and Deconstruction« in: The Cambridge History of French Thought. Cambridge, 2019.

      [8] Iwoleit: ebd.

      [9] Saint Clair Cemin zitiert in Lee Smolin: The Life of the Cosmos. Oxford, 1997.

      [10] Donna J. Haraway: »A Cyborg Manifesto: Science, Technology, and Socialist-Feminism in the Late Twentieth Century« in: Simians, Cyborgs and Women: The Reinvention of Nature. London, 2015.

      [11] Interview mit Donna J. Haraway: Artforum.com, 6.9.2016.

      Verwendet mit freundlicher Genehmigung: Standbild aus dem Film Blood Machines © Seth Ickerman, 2019

      Alle Übersetzungen aus dem Englischen: Silke Brandt

      [1] dt. ERDSEE-Trilogie

      [2] dt. Der Report der Magd

      [3] dt. ursprünglich Winterplanet, später erschienen als Die linke Hand der Dunkelheit (2000)

      [4] dt. Der Herr der Ringe

      [5] dt. Das Geschlecht, das nicht eins ist

      [6] dt. Das Gleismeer

      [7] dt. Das Ding aus einer anderen Welt

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