Das Science Fiction Jahr 2020. Группа авторов
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Zu guter Letzt …
»Ich liebe nichtbinäre Monster. Ich liebe nichtbinäre Aliens und nichtbinäre Roboter. Ich liebe Space Operas und Paranormal Romance und alles ›Unmenschliche‹, das mir über den Weg läuft. Aber es gibt auch Tage, in denen mich – erschöpft vom Kursberechnen in einer Welt, die mir keinen Platz lässt, die mich nicht als das akzeptiert, was ich bin – meine Fiktion daran erinnern muss, dass ich menschlich bin«, schreibt Christine Prevas über nichtbinäre Repräsentation auf der Website Electric Literature. Und vielleicht eröffnen Fantasy und Science Fiction auch außerhalb des Genres Orte, an denen genderfluide und nichtbinäre Charaktere Raum haben, und sind Wegbereiter für Vielfalt und, ja, nennen wir es beim Namen: mehr gesamtgesellschaftliche Gerechtigkeit.
Silke Brandt
Vampirella in Herland
Das Dilemma um Identität, Sex & Repräsentation
Während Suffragetten des 19. Jahrhunderts – zu denen sich die SF-Autorinnen Mary Shelley und Charlotte Perkins Gilman zählten – eine Egalisierung der Gesellschaft anstrebten, betonte die feministische Bewegung der 1970er die Differenz der Geschlechter. Frauen wurden als friedfertig und sozial kompetent definiert, Männer als aggressiv, destruktiv und in Konkurrenzdenken gefangen. Grundlage lieferten Bücher wie Bertha Eckstein-Dieners Mütter und Amazonen, Liebe und Macht im Frauenreich (1930 als Sir Galahad) sowie Studien der Anthropologin Margaret Mead. Hieraus ging eine feministische SF hervor, die – wie Perkins Gilmans Herland-Utopien (1915, 1916) – oft dem Bildungsroman entsprach: Ursula K. Le Guins EARTHSEA-Saga[1] (1964–2001), Margaret Atwoods Dystopie A Handmaid’s Tale[2] (1985), Joan Slonczewskis A Door Into Ocean (1986) oder Alice Eleanor Jones’ Kurzgeschichte »Created He Them« (1955), in der Reproduktion den Alltag bestimmt. Auch wenn solche Werke brillante Analysen sozialer Ungerechtigkeiten bieten, führten sie zu unrealistischen Konzepten eines biologisch bedingt sanften Geschlechts. Weibliche Friedfertigkeit und Sozialkompetenz bestimmen auch Plot und Weltenbau von SF-Romanen, die eine von Geschlechtszuordnungen befreite Gesellschaft zeigen: Joanna Russ entwirft in And Chaos Died (1970) eine nichtbinäre, egalitäre Gesellschaft, Le Guin schafft in The Left Hand of Darkness[3] (1969) eine ambisexuelle, androgyne Welt, in der Stereotypisierung als Negativbeispiel dient; C. J. Cherryh verfolgt Androgynität sowie Speziesismus in ihrer CHANUR-Saga (1981–92), deren matriarchal organisierte, katzenartige Hani möglicherweise für Sergej Lukianenkos Schließer in Spektrum (2002) Pate standen.
Die Kritik an Frauenfiguren in Kunst, Film und Literatur hatte auch Folgen für feministische SF: Explizite Sexualität wurde außerhalb von parabelhaften Unterdrückungsszenarien zum Tabu, da sich die Autorinnen selbst der Objektivierung und Kommerzialisierung schuldig machen könnten. Es galt, der Anatomie selbst eine Stimme zu geben, ein weibliches Schreiben jenseits der Fremdbestimmung zu praktizieren. Die Philosophin Hélène Cixous verlangte bereits 1976: »Schreibe! Schreiben gehört dir, du selbst gehörst dir; dein Körper ist deiner, nimm ihn. Ich schreibe Frau: Frau muss Frau schreiben. Und Mann Mann. So wird er hier nur eine Randbemerkung bleiben; es obliegt ihm zu sagen, wo er seine Maskulinität und wo seine Femininität verortet.«[1] Ein Ausweg aus dem Dilemma wurde nötig: Wie kann eine Autorin Protagonistinnen entwerfen, ohne sich zu verleugnen, sexistische Ausbeutung zu replizieren? Lösungsversuche schufen die Grundlage für aktuelle Diversity-Politik. Anstatt das biologische Geschlecht als Marker für soziales Verhalten zu definieren, ging es um sexuelle Identität und Sozialisation: Mütter waren heterosexuelle, in patriarchalen Mustern gefangene Frauen; Amazonen lesbische Separatistinnen, die außerhalb von Normierung und Fremdbestimmung lebten. Selbst wenn sie oft nur eine Verkehrung der Tradition erreichten (kurze Haare, Hosen, kein Make-up), stand zumindest Sexualität im Fokus – wobei bisexuelle Frauen als Verräterinnen galten, die sich wie Penthesilea ins Lager des Feindes schlichen.
Diese Unterscheidung schuf ein SF-Subgenre, das an die High Fantasy angelehnt war: spekulative Amazonengeschichten, auch verfasst von Vertreterinnen der Hard SF, z. B. Cherryhs FORTRESS-Serie (1995–2006), die UNICORN-Saga (1991–98) und Kurzgeschichten der Nonkonformistin Tanith Lee, deren Erzählungen stets um Sexualität und Macht kreisen. Das Figurenkonzept stützt sich auf Mythen der Antike, Bronze- und Wikingerzeit bzw. historische Personen wie Jeanne d’Arc, Boudica oder skythische Kriegerinnen. Neben der von Marion Zimmer Bradley herausgegebenen SWORD AND SORCERESS-Reihe (1984–2013) gab es alternative Stimmen: Monique Wittigs Prosa oder Christian Lautenschlags Der Araquin (1981 als Marockh Lautenschlag). Das Crossover aus High Fantasy und Dystopie ist eine innovative Ausnahme: Amazonen existieren als Subkultur in einem despotischen Feudalsystem, die Protagonistin, Candryi Nava, ist eine Verstoßene im Exil, die eine unmöglich erscheinende Aufgabe lösen muss, um wieder von ihrem Frauenvolk aufgenommen zu werden. Candryi ist gebrochen und zynisch; ihre Verbündete eine androgyne, bisexuelle Kriegerin/Diplomatin, die mal einen männlichen (Janas), mal einen weiblichen Namen (Ahiraquae) verwendet, deren Loyalitäten unklar sind und deren Kontakte zur Herrscherschicht ihr starke Ambivalenz verleihen. Nicht nur Männer sind in inhumanen Strukturen verhaftet, auch das Amazonenreich unterwirft sich esoterischen Traditionen, ist zersetzt von Intrigen und Machtkämpfen. Trotz des radikalfeministischen Kontextes sind diese Frauenfiguren an Helden der klassischen High Fantasy angelehnt: In Ahiraquae ist Aragorn aus Lord of the Rings[4] zu erkennen; Candryis Suche nach dem mystischen Stein Araquin gemahnt an Frodos Heldenreise. Ähnliche Figuren entwirft Wittig in Aus deinen zehntausend Augen, Sappho (1977), das Cixous’ Forderung nach einem sich selbst schreibenden Körper auf die Spitze treibt: eine erotische Phantasie in Form eines wild-surrealistischen Bewusstseinsstroms, in dem die Erzählerin den Körper ihrer Geliebten bis ins anatomische Detail seziert – eine manische, seltsam kalte Hommage an die Weiblichkeit. Wie Cynthia Vespia mit ihrem Gladiatorinnen-Trash The Crescent (2014), sind Lee und Wittig Ausnahmen, die explizite Sexualität als handlungstragend einsetzen.
Feministische Utopien und Amazonen-Fantasy lassen sich der Alternative History/Parallel Universe zuordnen: Möglicherweise sind viele Werke in die spekulative Zukunft projizierte, nostalgische Rekonstruktionen einer heroischen Vergangenheit, die Frauen weitgehend versagt blieb. Seltener sind feministische Dystopien, die nicht – wie The Handmaid’s Tale – gleichzeitig Moralparabeln darstellen: Angela Carters postapokalyptisches Abenteuer Heroes and Villains (1969) bietet eine ambivalente Erzählerin, die aus dem Elfenbeinturm ihres Vaters zu anachronistischen Barbaren flieht, dort als damsel in distress eine von sexueller Abhängigkeit und Gewalt geprägte Beziehung mit dem Anführer Jewel eingeht, bis sie sich emanzipiert und seine Position einnimmt. Wie so oft bricht Carter ironisch mit jeglichen Rollenbildern; ebenso wie Tanith Lee in ihrer BLOOD OPERA-Trilogie (1992–94): Die junge Rachaela wird nach ihrer Aufnahme in eine Vampirfamilie von dem mythisch-allmächtigen Adamus verführt. Typisch für Lees Protagonistinnen entzieht sie sich der Zuordnung: devot, sexuell hörig und antriebslos, dann aber fähig, ihren Weg zu gehen, Autorität herauszufordern. Kathy Acker befreit diese Entwürfe von märchenhafter Romantik wie pazifistisch-feministischer Moral: In Empire of the Senseless (1988) schließt sich die Erzählerin anarchistischen Terroristen an, die ein postapokalyptisches Paris befreien – in dem Fiebertraum aus Gewalt, de Sade’scher Grausamkeit und gegenseitiger sexueller Ausbeutung folgt die Antiheldin nur ihrem unbedingten Freiheitsdrang. Ein kompromissloses Punk-Epos, das Neil Marshalls Doomsday – Tag der Rache (2008) vorwegnimmt.
Ursprünge feministischer Identitätskonzepte und ihre Alternativen
Die sozialpolitische Stimme der Frauen wurde bald eine geschlechtspolitische: Nicht nur Gleichberechtigung, sondern Kulturproduktion aus Sicht des Anderen – hier Weiblichen – war gefordert. Plötzlich erschien alles vergiftet vom chauvinistisch-dominanten Männerblick; die Gegenreaktion glich einem Bildersturm. Feministische Gesellschaftsutopien wurden als unzureichend angesehen, es galt, mit Ausnahme der Antagonisten, Männer ganz aus Texten zu schreiben.