Das Science Fiction Jahr 2020. Группа авторов

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Das Science Fiction Jahr 2020 - Группа авторов

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Science Fiction ist diese Botschaft besonders bitter: Ihre Schöpfer*innen verfügen über jede kreative Freiheit, allen einen Raum in der Welt zu geben, und nutzen sie nicht.

      Für dieses symbolische Auslöschen einer Gruppe Menschen aus dem medialen Bewusstsein hat der Kommunikationswissenschaftler George Gerbner ebenjenen Begriff der »Symbolic Annihilation« geprägt – die Verweigerung einer adäquaten Repräsentation in Medien. Das heißt in unserem Zusammenhang: Findet man in einer Science-Fiction-Welt keine Muslim*innen, erwächst mit großer Wahrscheinlichkeit bei vielen von ihnen beim Konsum solcher Produkte das Gefühl des Nichtdazugehörens und des Nichterwünschtseins.

      Sayid & Samir – Happily ever after?

      Minimale Thematisierungen von Muslim*innen und dem Islam am Rande mögen wie auch 1993 in der ersten Staffel der Serie BABYLON 5, in der im 23. Jahrhundert diverse Religionen der Welt vorgestellt werden und ein Vertreter des Islams mitspielt, in Science-Fiction-Serien vorgekommen sein. Die erste explizit muslimische Figur mit einer tragenden Hauptrolle in einer SF-Serie war jedoch Sayid Hassan Jarrah. Von 2004 bis 2010 spielte damals der britische Schauspieler mit indischem Migrationshintergrund Naveen Andrews in LOST den Iraker Sayid, der einen Flugzeugabsturz auf eine mysteriöse Insel überlebt habt. Sayids Religion bleibt meist im Hintergrund und wird ab und zu eingestreut, wie wenn er die Schahāda – das islamische Glaubensbekenntnis – aufsagt oder den Salāt – das islamische Gebet – praktiziert. Nach dem Tod einer geliebten Person lässt er seine Gebetskette auf ihrem Grabkreuz liegen und in einer Folge besteht er darauf, die Leiche eines muslimischen Freundes den islamischen Bräuchen entsprechend zu begraben. Anfangs von Schicksalsgenoss*innen auf der Insel wegen seines Aussehens als Terrorist oder nur als Araber bezeichnet, gilt er von Anfang an als eine tragende und positiv besetzte Figur. Diese bleibt trotz aller Sympathien alles andere als moralisch unproblematisch, denn Sayid ist auch ein Kindermörder und geläuterter Folterer – aber nichts davon wird mit seiner Religionszugehörigkeit verknüpft.

      Eine aktuellere Figur ist Samir Abboud in der 2018 ausgestrahlten ersten Staffel der Serie ALTERED CARBON – DAS UNSTERBLICHKEITSPROGRAMM, der Serienadaptation des Romans von Richard Morgan. Samir wird von dem amerikanischen Schauspieler mit palästinensischer Migrationsgeschichte Waleed Zuaiter verkörpert. Samir ist Polizist im 24. Jahrhundert und der Dienstpartner der Hauptprotagonistin Kristin Ortega beim Bay City Police Department. Er spricht hin und wieder Arabisch, erwähnt Allah und wird von einer Christin, die ihm sehr nahesteht, als eine Person definiert, die an einen anderen Gott glaubt als sie selbst. Ungefähr in der Mitte der ersten Staffel opfert er sein Leben, als er sich schützend zwischen seine Partnerin Ortega und eine tödliche Kugel wirft. Samir existiert nicht im Roman und wurde eigens für die Serie erschaffen, die somit eine weitere Dimension von kultureller und religiöser Diversität erfährt. Die Figur wird durchweg positiv als eine väterliche, milde und behutsame Person dargestellt, verschwindet allerdings zu schnell von der Bildfläche. Sein Tod stellt den gewohnten Status quo der uniformen Gesellschaft ohne den kulturell und religiös fremdempfundenen »Anderen« wieder her. In Anlehnung an die Trope des »Bury Your Gays« – wer sich auf gleichgeschlechtliche Liebe einlässt, nimmt kein gutes Ende – kann hier auch von »Bury Your Muslims« die Rede sein.

      Deutschsprachiger Mikrokosmos

      Gehen wir vom großen Mainstream zur aktuellen deutschsprachigen Science Fiction, sind muslimische Figuren nicht minder rar gesät. In seinem Near-Future-Hörbuch Neopolis – Die Stadt aus Licht, das dieses Jahr erschien und im Jahre 2048 spielt, bedient sich der Autor Karl Olsberg an Saudi-Arabien als Kulisse und baut einen Thriller um das Thema der Augmented Reality mit der islamischen Mythologie als Kernelement – wobei die Muslim*innen als klischeehafte Randfiguren fungieren. Judith und Christian Vogt vermengen in ihrem 2019 erschienenen Hopepunk-Roman Wasteland, der in einem futuristischen Deutschland nach einer Apokalypse im Jahre 2064 spielt, Redewendungen in diversen Sprachen zum Allgemeingut der Überlebenden, sodass inşallah, Allah-weiß-wohin, (Aman) Allahım und maşallah Teil einer englisch-deutsch-türkisch durchdrungenen, als alltäglich und normal empfundenen neuen Sprache werden. Zudem betet die Protagonistin Laylay zu Allah. Im Rollenspiel Aces in Space, das dieses Jahr von Harald Eckmüller und ebenfalls von den Vögten herausgebracht wurde, gibt es sogar eine mit Kopftuch illustrierte muslimische Archetypin: die Influencerin. Das 2018 ins Deutsche übertragene Rollenspiel Coriolis – Der dritte Horizont baut in seinem Space-Opera-Setting fast ausschließlich auf islamische und nahöstliche Mythologie auf. Dass die Vorfahren aller in der Zukunft überlebenden Menschen aus dem Nahen Osten stammen, spiegelt sich weitestgehend frei von Exotik in jeglicher Form des kulturellen Alltags wieder – von Namensgebung über Kleidung bis zu sozialen Gepflogenheiten.

      Appell/Frust/Fazit

      Diese Aufzählungen, insbesondere im deutschsprachigen Raum, mögen optimistisch stimmen, trotzdem sind das nur erste wackelige Schritte in der Repräsentation von Muslim*innen, die im westlichen Mainstream quasi nicht existent ist. Sie bleibt nicht im Gedächtnis haften und glänzt mit einer ausufernden Abwesenheit – so prägt es sich auch ins (pop-)kulturelle Gedächtnis der Rezipient*innen wie auf dem eingangs gezeigten Bild ein: »In der Zukunft gibt es keine Muslim*innen.« Vielleicht ist es ja an der Zeit, in einen der zukünftigen STAR TREK-Ableger einen muslimisch konzipierten Sufi-Vulkanier zu implementieren – schließlich kennt Science Fiction bekanntlich keine Grenzen!

      Literatur:

      Gerbner, Georg & Larry Gross: »Living with Television: The violence profile«. In: Journal of Communication, 1976. S. 172–199.

      Hafez, Farid: »Antimuslimischer Rassismus und Islamophobie: Worüber sprechen wir?«. In: Uçar, Bülent & Wassilis Kassis (Hrsg.): Antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit. V&R unipress: Göttingen, 2019. S. 57–75.

      Hulan, Haley: »Burry Your Gays: History, Usage, and Context«. In: McNair Scholars Journal, Vol. 21, No. 1, S. 17–27.

      Kanzler, Katja: »›Khan!‹ – Verfremdung und Serialität als Modi politischer Reflexion in Star Trek«. In: Besand, Anja (Hrsg.): Von Game of Thrones bis House of Cards – Politische Perspektiven in Fernsehserien. Springer VS: Wiesbaden, 2018. S. 71–85.

      Merz, Sibille: »Islam«. In: Arndt, Susan & Nadja Ofuatey-Alazard (Hrsg.): (K)erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache – Ein kritisches Nachschlagewerk. Unrast: Münster, 2015. S. 365–377.

      Reeves-Stevens, Garfield & Judith Reeves-Stevens: Star Trek, Deep Space Nine – Die Realisierung einer Idee. Heyne: München, 1996.

      Reiss, Frank: »Wofür wir eine bessere Repräsentation von Vielfalt im Pen & Paper-Rollenspiel brauchen«. In: Vogt, Judith, Frank Reiss & Aşkın-Hayat Doğan (Hrsg.): Roll Inclusive – Diversität und Repräsentation im Rollenspiel. Feder & Schwert: Köln, 2019. S. 9–29.

      Judith C. Vogt

      Die drei Geschlechter: Männer, Frauen und Aliens

      Nichtbinäre Geschlechter in der Science Fiction

      Ihr kennt es vielleicht auch: Das witzige Toilettentürschild mit dem Strichmännchen in Hose, dem Strichmännchen im Kleid und dem Alien. Vielleicht noch versehen mit einem: »Egal, Hauptsache, du wäschst dir die Hände«. Auf den ersten Blick gibt es natürlich nichts daran auszusetzen, die Aussage ist sonnenklar. Und dennoch steht dieses Kloschild sinnbildlich für eine Weltordnung, in der Menschen in genau zwei Geschlechterschubladen gesteckt werden und alle Abweichung als fremd oder gar unnatürlich markiert wird. Diese Weltordnung zeigt sich, wie alle Elemente unserer Gegenwart, auch in der Science Fiction. Doch so, wie Geschlechterrollen und -identitäten diskutiert, in neue Worte gefasst und aus anderen Blickwinkeln betrachtet werden,

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