Das Science Fiction Jahr 2020. Группа авторов

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Das Science Fiction Jahr 2020 - Группа авторов

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Diskurs einzugreifen, den er sicher nicht losgetreten, aber mit seinem hitparadentauglichen Kommentar möglicherweise auf eine neue Stufe der Öffentlichkeit gehoben hatte?

      Tatsache ist, dass die sogenannte Frauenbewegung etwa ab Mitte der 1960er-Jahre einen enormen Aufschwung erlebte und in den 1970er-Jahren zunehmend mehr Zulauf bekam; das sorgte für Irritationen unter der männlichen Bevölkerung, besonders in Deutschland, wo der Begriff »Feminismus« eher negativ besetzt ist und daher bis heute kaum verwendet wird – man bevorzugt hierzulande die eher Amtsdeutsch klingende Vokabel »Frauenfrage«. Gerade die Deutschen taten und tun sich traditionell schwer mit den Frauenrechten (so dürfen verheiratete Frauen in Deutschland erst seit 1962 ohne Zustimmung des Ehemannes ein eigenes Bankkonto eröffnen).

      Aber natürlich beginnt die Geschichte des Kampfes um die Gleichberechtigung der Frau nicht erst in den 1960er-Jahren. In England zum Beispiel machte man sich schon deutlich früher Gedanken darüber, was Ausdruck fand u. a. in Schriften wie A Vindication of the Rights of Woman (1792) von Mary Wollstonecraft (Mutter der durch ihren Roman Frankenstein weltberühmt gewordenen Mary Shelley) oder The Female Advocate or An Attempt to Recover the Rights of Women from Male Usurpation (1799) von Mary Ann Radcliffe (nicht zu verwechseln mit Ann Radcliffe, der Verfasserin von Schauerromanen, der das Buch manchmal aufgrund der Namensähnlichkeit fälschlicherweise zugeschrieben wird). Beide Frauen setzen sich vehement dafür ein, dass Frauen Männern gleichgestellt und nicht von diesen unterdrückt werden, worin ihnen u. a. der Sozialphilosoph Charles Fourier beipflichtete, der gar mit der These hervortrat, dass Fortschritt auf gesellschaftlicher Ebene ohne mehr Rechte für Frauen gar nicht möglich wäre. »Der soziale Fortschritt […] erfolgt aufgrund der Fortschritte in der Befreiung der Frau«, schrieb er in seiner 1808 erschienenen Schrift Die Theorie der vier Bewegungen. [1]

      Die Überlegungen, die in theoretischen Büchern niedergelegt wurden, fanden letztlich auch Niederschlag in der Literatur. Zu den bekanntesten feministischen Utopien zählt der Roman Herland (1915) der amerikanischen Schriftstellerin Charlotte Perkins Gilman. In dem Roman existiert eine entlegene, nur von Frauen bewohnte Enklave, die in Abwesenheit von Männern eine freie Gesellschaft ohne Krieg und Unterdrückung geschaffen haben. Neben dem utopischen Gesellschaftsentwurf geht es der Autorin in erster Linie darum, zu zeigen, dass Frauen – was heute nicht mehr so aufregend oder gar schockierend wirken mag, wie es damals vor allem auf das männliche Lesepublikum gewirkt haben muss – alles können, was Männer auch können. Das verdeutlicht sie unter anderem auch daran, dass sie ihren Frauen in Herland Positionen zuweist, die als Männerdomänen galten, die bestehenden Verhältnisse also nur ein wenig auf den Kopf stellt. Ähnlich, wenn auch mit deutlich satirischem Charakter, geht die norwegische Schriftstellerin Gerd Brantenberg in ihrem Roman Egalias døtre (1977, deutsch: Die Töchter Egalias) vor, indem sie in ihrem fiktiven Land Egalia die Männer zum schwachen, unterdrückten und ausgebeuteten Geschlecht, die Frauen dagegen zum starken und bestimmenden macht. Auffällig an beiden Büchern ist, dass keines die traditionellen Geschlechterrollen infrage stellt, sondern sie lediglich auf den Kopf stellt.

      Was uns noch einmal zurück zu Herbert Grönemeyer führt. In seiner eingangs erwähnten kleinen Apologie des »Machismo« betont Grönemeyer, »Männer haben’s schwer«, denn sie »werden als Kind schon auf Mann geeicht«. Das wirft eine interessante Frage auf, nämlich die, ob und inwieweit geschlechtertypisches Verhalten tatsächlich zwangsläufig ist, mit anderen Worten, wird es uns in die Wiege gelegt oder anerzogen oder, nochmal anders formuliert, ist »Geschlecht«, abgesehen von tatsächlichen biologischen Unterschieden, etwas Reales oder nur ein gesellschaftliches Konstrukt?

      Auch diese sogenannte Gender-Diskussion lässt sich bis in die 1960er-Jahre zurückverfolgen und fand neben theoretischen – und mitunter sehr abstrakten und akademischen – Diskussionen auch Eingang in die Literatur. Verwunderlich ist das, wenn man einmal genauer darüber nachdenkt, sicher nicht. Der Schriftsteller und Herausgeber Wolfgang Jeschke hat die Science Fiction einmal als »seismische Literatur« bezeichnet (eine wunderbare und ausgesprochen treffliche Definition), die stets mit feinem Gespür auf alle sozialen Erschütterungen reagiert. Und von diesen sozialen Erschütterungen gab es in den 1960er-Jahren reichlich. Es war eine Zeit des Umbruchs, ein Gemeinplatz, den man heute kaum noch wiederholen mag, der aber dennoch zutreffend ist. Veränderung lag in der Luft. The times they were a-changing. Nicht nur Frauen gingen zunehmend auf die Straße. Afroamerikaner organisierten sich in der Bürgerrechtsbewegung und forderten vehement Gleichberechtigung, und auch Schwule und Lesben hatten die Nase voll von Schikanen und Ausgrenzung, wehrten sich und gingen zunehmend selbstbewusster an die Öffentlichkeit. Weiße, heterosexuelle Konservative, die in den USA traditionell das Sagen haben, dürfte das alles bis ins Mark erschüttert haben.

      In dieser Zeit war eine der Grundanforderungen an die Literatur, dass sie gesellschaftspolitisch relevant zu sein und Stellung zu beziehen hatte, und so verzeichnen wir auch eine zunehmende Politisierung, wenn nicht Radikalisierung, der »seismischen Literatur« Science Fiction, die sich, da zunehmend Frauen das Genre für sich entdeckten, auch dem Feminismus zuwandte.

      Hortense Calisher (1911–2009) war eine amerikanische Schriftstellerin, deren Werk in Deutschland praktisch unbekannt geblieben ist. Sie schrieb vorwiegend realistische Romane (von denen nur ein einziger ins Deutsche übersetzt wurde). In ihrer Science-Fiction-Satire Journey from Ellipsia lässt sie einen geschlechtslosen Außerirdischen vom Planeten Ellipsia, Angehöriger eines kollektiven Volkes, das keine Vorstellung von Individualität hat, im Rahmen eines intergalaktischen Austauschprogramms die Erde besuchen, wo er sich mit der menschlichen Gesellschaft, dem Krieg der Geschlechter und Fragen sexueller Identität auseinandersetzen muss.

      Eine der Schriftstellerinnen, die sich im Science-Fiction-Genre besonders radikal mit feministischen Thematiken auseinandersetzten, ist Joanna Russ. In ihrer Kurzgeschichte »When It Changed« (1972) entwirft sie die Welt Whileaway, eine Gesellschaft der fernen Zukunft, in der alle Männer schon vor Jahrhunderten durch eine Seuche ausgestorben sind. Als Astronauten (männliche) von der Erde den Planeten besuchen, empfinden sie die reine Frauengesellschaft als unzulänglich und verkünden, dass sie sich mit den Frauen paaren möchten, um den »natürlichen Zustand« wiederherzustellen. (Ähnlich geht Alice B. Sheldon, die den größten Teil ihrer Science Fiction unter dem Pseudonym James Tiptree Jr. veröffentlichte, in ihrer preisgekrönten Story »Houston, Houston, Do You Read?« (1976) vor: Hier werden Astronauten (männliche) der NASA mit ihrer Raumkapsel durch eine Sonneneruption in eine Zukunft geschleudert, in der nur noch Frauen auf der Erde leben. Sheldon schildert das Unvermögen der Männer, sich mit der Situation zu arrangieren oder die sexuellen Identitäten, die man ihnen ihr Leben lang eingebläut hat, zu hinterfragen, wenn nicht zu überwinden, besonders eindrucksvoll.)

      In dem 1975 veröffentlichter Roman The Female Man (in deutscher Übersetzung unter den etwas unglücklich gewählten Titeln Planet der Frauen und Eine Weile entfernt veröffentlicht) kehrt Joanna Russ noch einmal auf den Planeten Whileaway zurück. Hier geht es um die Schicksale von vier Frauen auf vier Welten, deren Lebenswege sich kreuzen. Eine dieser Welten ist der Erde der 1970er-Jahre nachempfunden, wo die Protagonistin Joanna sich selbst als »female man« bezeichnet, da sie glaubt, dass sie sich in der männerdominierten Gesellschaft nur dann Respekt verdienen kann, wenn sie ihre weibliche Identität aufgibt; eine andere Welt präsentiert eine dystopische Zukunft, in der der Krieg der Geschlechter tatsächlich handgreiflich ausgefochten wird; eine ist eine Parallelwelt, in der der Zweite Weltkrieg nicht stattgefunden hat; und zuletzt Whileaway mit seiner von lesbischen Beziehungen geprägten Frauengesellschaft. Als die Frauen in die jeweils anderen Welten versetzt werden, zwingen die Begegnungen sie, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was sie, ihre Persönlichkeit und ihre Identität (auch die sexuelle) ausmacht.

      Sowohl Hortense Calisher wie auch Joanna Russ waren Schriftstellerinnen, die von der literarischen Kritik und oft von Kollegen hoch geschätzt wurden, deren Bücher aber wenig Breitenwirkung entfalteten und vom Publikum nicht immer geschätzt, bis heute weitgehend vergessen wurden und bestenfalls noch Gegenstand akademischer Diskussionen sind. »Geschlechterfragen, Geschlechterfallen kannte sie gut. Missverstanden wurde sie oft: falsch gelesen, falsch nacherzählt,

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