Das Science Fiction Jahr 2020. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Science Fiction Jahr 2020 - Группа авторов страница 8

Das Science Fiction Jahr 2020 - Группа авторов

Скачать книгу

also das Anpreisen von Produkten mit dem Zusatz »für Männer« oder »für Frauen«, welches schon bei Spielzeugen, Kleidungsstücken etc. für Säuglinge und Kleinkinder beginnt. In erzählten Geschichten liegt die Heteronormativität, wie oben erwähnt, scheinbar auf der Hand: Heterosexuelle Figuren sind die Norm, queere Figuren und Liebesgeschichten werden oft behandelt, als seien sie nur für ein bestimmtes Zielpublikum gedacht.

      Doch die Heteronormativität von Erzählungen zeigt sich noch in vielen anderen Punkten. Ein Beispiel hierfür ist die Idee von Protagonist*innen, die sich stets verbessern und, wenn auch mit Rückschlägen, dem eigenen Erfolg entgegenstreben. Ein stetiges Vorankommen, ein stetiger Gewinn an Fähigkeiten, Wissen und Reichtum, gespeist aus dem eigenen Willen und den eigenen Talenten, ist schon in sich eine heteronormative Idee. Die allermeisten queeren Personen – und das gilt auch für alle anderen marginalisierten Gruppen – erfahren ihr ganzes Leben lang Diskriminierung und müssen sich mit sehr viel mehr Hindernissen herumschlagen, um voranzukommen, während gleichzeitig das von der Mehrheitsgesellschaft propagierte Bild von Erfolg (gutes Einkommen, Eigentum, Heirat, eigene Kinder) etwas ist, was sie nicht oder nur schwer erreichen können und vielleicht auch gar nicht wollen. Hinzu kommt, das queere Communities sich oft gegenseitig stark unterstützen und erlangter Reichtum und geknüpfte Beziehungen aneinander weitergegeben werden, sodass auch deswegen die einzelne Person weniger für sich behält.

      Auch die eigene Agenda, die Protagonist*innen antreibt, das Streben nach bestimmten Zielen oder größerer Macht, ist etwas, was sich mit marginalisierten Identitäten schwer vereinbaren lässt. Die Vorstellung, etwas verändern zu können, ist nicht nur ganz praktisch abhängig von Geld, Zeit und Energie, die queere Personen oft schon im Alltag nicht haben, sondern auch von dem Selbstbewusstsein, das eigene Schicksal in die Hand nehmen zu können. Hinzu kommt, dass auch die Idee, die Macht würde schon denjenigen zufallen, die sie auch verdient haben, von derselben heteronormativen Zuversicht geprägt ist. Wenn am Anfang der Geschichte böse Tyrann*innen herrschen, dann wird alles besser werden, wenn die Held*innen sie erst einmal gestürzt haben. Im Gegensatz hierzu steht die Lebensrealität von queeren Menschen, die oft ungeachtet politischer Machtwechsel denselben diskriminierenden Strukturen ausgeliefert bleiben.

      Schlussendlich ist auch die Gewissheit der eigenen Identität eine heteronormative Sichtweise. Zwar sind auch Enthüllungen über die wahre Herkunft von Protagonist*innen oder deren Rolle als Auserwählte ein gern verwendetes Element von Geschichten, doch dabei wird selten die grundlegende Identität einer Figur infrage gestellt. Im Gegensatz dazu ist das Finden, Verfestigen und Verteidigen der eigenen Identität für queere Personen oft allgegenwärtig. Das Hinterfragen des eigenen Selbstbilds, das ständige Aushandeln der eigenen Wahrnehmung und das stetige Verhandeln darüber, dass diese Wahrnehmung valide und korrekt ist, begleiten queere Menschen oft ihr Leben lang. Der oder die Auserwählte einer phantastischen Geschichte wird oft nach kurzer Zeit als solche*r akzeptiert – auch dies wieder eine heteronormative Erfahrung, die von beispielsweise trans Personen, die jahrelang mit Gutachten, Gerichtsverfahren und komplizierten Behördengängen kämpfen müssen, leider nicht geteilt werden kann.

      Heteronormatives Denken prägt also nicht nur die Auswahl der Protagonist*innen einer Geschichte, sondern die Geschichte selbst. Deshalb kann die Repräsentation nur der erste Schritt auf einem Weg zu queeren und queerfeministischen Geschichten und Welten sein. Queere Science Fiction zu schreiben bedeutet nicht, die immer gleichen Geschichten zu erzählen, und nur, wie es die kanadische Spieldesignerin Avery Alder nennt, »’nen Schwulen draufzupappen«. Alder hat in einem Talk über queeres Spieldesign aufgezeigt, wie sehr Heteronormativität auch Grundlage von Spielmechaniken ist und wie man diese aufbrechen kann. Viele der von ihr genannten Aspekte lassen sich ebenso auf Erzählstrukturen und Weltenbau in der Literatur anwenden.

      Die Rolle der Gemeinschaft

      Ein erstes Beispiel ist die Berücksichtigung der großen Rolle, die die Gemeinschaft spielt, und das Teilen der eigenen Ressourcen mit dieser. Eine solche Erzählung findet sich beispielsweise in dem Cyberpunk-Roman The Tiger Flu von Larissa Lai. Dieser entwirft eine Gemeinschaft geklonter Frauen, unter denen die sogenannten Starfish eine besondere Rolle spielen: Sie können Organe und Gliedmaßen nachwachsen lassen und geben diese an andere Mitglieder der Community weiter. In einem Interview zum Buch gibt Lai an, dass eine der Inspirationen für den Roman die Idee war, dass Menschen in einer Gemeinschaft biologisch voneinander abhängig sind. Das Weitergeben der Organe nimmt außerdem Bezug auf die Geschichte Those Who Walk Away from Omelas von Ursula Le Guin. Während dort ein Kind, das unter der Stadt gegen seinen Willen gehalten wird, leidet und alles Negative für die Gesellschaft aufzusaugen scheint, befindet sich die Starfish in The Tiger Flu in einer Liebesbeziehung mit einer anderen Frau der Gemeinschaft und sieht das Versorgen der anderen Frauen mit Teilen ihres Körpers als ihre Pflicht an.

      Gemeinschaft und schwierige, komplizierte Beziehungsgeflechte sind ein weiteres Merkmal von queerem Weltenbau. Eine der am häufigsten vorkommenden unrealistischen Darstellungen von queeren Figuren ist diejenige, die sie allein auftreten lässt. Eine einzige queere Person in einem ansonsten heteronormativen Personenkreis mag sich als Konzept interessant anhören, ist aber völlig lebensfern gedacht. Queere Menschen suchen und finden einander, und oft ergeben sich dabei Gemeinschaften, die davon geprägt sind, aufeinander angewiesen zu sein und deshalb auch trotz größerer Differenzen zusammenzuhalten. Die bekanntesten Formate über queeres Leben, beispielsweise Serien wie Queer as Folk, The L Word oder Pose, beinhalten stets auch diese Gruppendynamik. Im Gegensatz dazu beginnen viele klassische Heldengeschichten damit, dass eine Gemeinschaft zurückgelassen wird oder verloren geht, wenn das Abenteuer ruft. Gerade beim freiwilligen Aufbruch der Held*innenfigur geht damit auch die Annahme einher, dass sich eine neue Gemeinschaft schon finden wird oder in die alte zurückgekehrt werden kann. Dies ist eine Annahme, die queere Menschen in der Realität nicht ohne Weiteres treffen können. Das Festhalten an einer Gemeinschaft trotz Differenzen zwischen ihren Mitgliedern, die Abhängigkeit voneinander und das stetige Aushandeln der Bedingungen des Zusammenlebens sind also weitere Elemente, die Erzählungen und fiktive Welten weniger heteronormativ machen. Solche Gemeinschaften finden sich beispielsweise in der Roman-Dilogie Semiosis und Interference von Sue Burke, in der von der Erde stammende Menschen einen neuen Planeten besiedeln und sich hierbei mit intelligenten Pflanzen arrangieren und mit diesen kommunizieren müssen. Auch in der WAYFARER-Trilogie von Becky Chambers geht es immer wieder um das Zusammenleben von verschiedenen Kulturen und Spezies. Die MADDADDAM-Trilogie von Margaret Atwood entwirft sowohl die Gardeners als Gemeinschaft, die nur gemeinsam gegen die Umweltkatastrophen anarbeiten kann, als auch die Idee von mehreren Spezies, die sich nach dem Untergang der Zivilisation miteinander arrangieren müssen.

      Einen weiteren Aspekt von queeren Erzählstrukturen bezieht The Stars Change von Mary Anne Mohanraj mit ein. In dieser Sammlung von Kurzgeschichten, die zusammen eine übergreifende Romanhandlung ergeben, werden aus unterschiedlichsten Perspektiven die Ereignisse eines Bombenangriffs auf eine Stadt auf einem fremden Planeten erzählt, die von menschlichen Siedelnden und verschiedenen Aliens bewohnt wird. Das Besondere hierbei ist, dass all die unterschiedlichen Protagonist*innen der einzelnen Erzählungen durch verschiedenste Formen sexueller oder romantischer Beziehungen verbunden sind. Auch dies ist ein Merkmal queerer Gemeinschaften, die sich dadurch auszeichnen, dass auch Ex-Geliebte, ehemalige Affären oder Ehepartner*innen immer noch Teil derselben Gemeinschaft bleiben. The Stars Change thematisiert zudem auch das Konfliktfeld zwischen Herkunftsfamilie und Gemeinschaft – mal auf ganz deutliche Weise, indem eine der Protagonist*innen die Beziehung zu ihrer Freundin aus Angst vor der Reaktion ihrer Familie beendet, mal eher verklausuliert, indem ein Angehöriger einer Alienspezies lieber den Freitod wählt als sich, wie es seine Aufgabe wäre, seiner Familie als Nahrung zur Verfügung zu stellen.

      Vom Suchen nach Identität

      Die Suche nach der eigenen Identität, die tiefer geht als die Frage nach Herkunft oder Rolle in einer Gruppierung, ist eine weitere Möglichkeit, queere Geschichten zu erzählen. Die wenigstens cis-heterosexuellen Menschen denken darüber nach, ob sie auch wirklich heterosexuell sind, ob sie sich wirklich als cis bezeichnen dürfen, ob sie wirklich Teil der

Скачать книгу