Politische Justiz. Otto Kirchheimer

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Politische Justiz - Otto Kirchheimer

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führen indes dazu, dass sich in der Art, wie die Machthaber die Gegebenheiten und die Anforderungen des Augenblicks behandeln, gleichwohl bestimmte, des Öfteren wiederkehrende Gefüge herausbilden. Bei näherem Zusehen zeigen sich drei Wege, auf denen die Aufgabe der Authentifizierung des politisch Legitimen besorgt wird:

      1. Über das Charisma der Einzelperson: des Stammeshäuptlings, des Priesters und (sowohl in der Theorie als auch – in stark wechselndem Maße – in der Praxis) des Herrschers des Altertums, des mittelalterlichen Königs oder des Monarchen der absolutistischen Zeit. Da hier jede Entscheidung unmittelbar dem Urquell des Rechts entspringt, beruht sie auf der überragenden Bedeutung ihres Ursprungs und leitet daraus auch ihre sachliche Berechtigung ab.

      2. Über die politischen Körperschaften des Staates, ob aristokratischer, ob demokratischer Abkunft. Charakteristische Beispiele: im aristokratischen Zweig der Areopag in Athen, der Senat von Rom, das englische Oberhaus, der Senat in Frankreich; im demokratischen Zweig die athenische Volksversammlung, die römischen Zenturiatkomitien, die englischen Körperschaften, die über Karl I., und die französischen, die über Ludwig XVI. zu Gericht saßen, oder – in einer verkleinerten Form – die athenische Helia und die englisch-amerikanischen Schwurgerichte. Während der Quell der Autorität in diesen Fällen die dominierende und möglicherweise repräsentative Position des mit der politischen Rechtsprechung betrauten Organs ist, beruht jede einzelne Entscheidung auf der Abwägung der gebräuchlichen gesellschaftlichen Normen und der Bedürfnisse des Gemeinwesens; in die Waagschale fallen dabei intuitive, gefühlsmäßige und rationale Momente, die mit Vor- und Nachteilen für die Allgemeinheit und für das von der Entscheidung betroffene Individuum zu tun haben.

      3. Über die Entscheidung des Berufsrichters: des römischen Quästors aus der Zeit der Republik, des Mitglieds des kaiserlichen Rates im späten Römischen Reich, des in Padua oder Bologna ausgebildeten Mitglieds eines kontinentalen Gerichts, des auf Grund seiner Anwaltserfahrung berufenen englischen Richters oder des von der Pike auf dienenden beamteten Richters der heutigen kontinentaleuropäischen Gerichtsverfassungssysteme. Das Organ, in dessen Namen das Urteil ergeht: Der Herrscher oder das Volk, tritt hier in den Hintergrund; entscheidend ist die inhaltliche Rationalität, der Zweck, dem das Urteil dient, und die formale Rationalität, das Geflecht der feststehenden Regeln, durch deren Vermittlung das Urteil zustande kommt.

      In manchen Fällen kann die Autorität der Einzelperson oder der politischen Körperschaft oder der von ihnen ausgehende, wenn auch nur kurzfristig überwältigende nackte physische Zwang mächtig genug gewesen sein, die Vollstreckung des Urteils durchzusetzen. Aber ob es sich um den Kaiser in Rom oder in Byzanz oder um den französischen König aus der Ära des werdenden Nationalstaats handeln mochte: Das direkte persönliche Interesse des Herrschenden am politischen Rechtsfall stimmte nie ganz mit den Lehrsätzen vom Ursprung der richterlichen Autorität überein, auch dann nicht, wenn das Bedürfnis nach Einheit und Kontinuität eine willkommene Brücke vom Ausgang des Justizverfahrens zu seiner rationalen Rechtfertigung schlug, eine Brücke, die oft und gern benutzt wurde. Je nebelhafter aber auch noch dazu die Autorität war, umso unsicherer musste die Aussicht auf die Vollstreckung des Urteils sein.

      Die aufgezählten drei Grundformen der politischen Gerichtsbarkeit treten in vier Hauptkombinationen auf. Die erste, die längst schon Geschichte geworden ist, stellt sich als Kräftegleichgewicht zwischen monarchischen und aristokratischen oder monarchischen und berufsrichterlichen Elementen dar. Das Kräfteverhältnis, das im Mittelalter zwischen dem Monarchen und seinen wichtigsten Vasallen bestand, gab dem Urteil eine Vollstreckungschance nur, wenn die Vasallen an der königlichen Gerichtsinstanz beteiligt waren. Die spätere berufsrichterlich-bürokratische Balance zwischen der königlichen Gewalt und dem Gewicht der rechtskundigen Richter, von der im Spätabsolutismus nur die Urteilsbestätigungsbefugnis des Monarchen übrigblieb, wurde zu einer der wesentlichen Voraussetzungen für das wirksame Funktionieren des Territorialstaates.

      Der Geschichte gehört auch die zweite Kombination an, das Gleichgewicht zwischen der Zuständigkeit des Territorialstaates und der Zuständigkeit der Kirche. Diesem Versuch der Herstellung eines Zuständigkeitsgleichgewichts kommt indes gerade in unserer Ära größere Beachtung zu, in der der Territorialstaat an Bedeutung verliert, während überstaatliche Fachbehörden im Aufstieg sind und internationale Bewegungen in zunehmendem Maße, wenn auch ohne förmliche Anerkennung, Ansprüche auf Gefolgschaft und Treue anmelden. Der bewegten Geschichte der Kompetenzteilung zwischen Staat und Kirche lässt sich jedenfalls entnehmen, dass es in der Theorie leichter war als in der Praxis, Bereiche ausschließlicher Zuständigkeit auszusondern und die in Inquisitionsverfahren erforderliche Zusammenarbeit zu erreichen. Von der Gefangennahme Papst Martins I. (653 - 656) bis zu den Tagen der Jeanne d’Arc führten auseinanderstrebende Interessen und Veränderungen im gegenseitigen Kräfteverhältnis immer wieder dazu, dass die Zuständigkeitsgrenzen durchbrochen wurden. Bald lag der Konflikt offen zutage, bald verschleierten ihn mehr oder minder durchsichtige Fiktionen.

      Umgekehrt lagen die Dinge bei der Anklage gegen William Laud, Erzbischof von Canterbury, und Thomas Wentworth Earl of Strafford, die beiden Hauptstützen Karls I. von England: Nachdem sich das Oberhaus geweigert hatte, der vom Haus der Gemeinen beschlossenen Anklage gegen sie Folge zu leisten, gingen die Gemeinen aus eigener Machtvollkommenheit mit einer bill of attainder gegen die verhassten Würdenträger vor. Dieser revolutionäre Akt von 1640 brachte zum Ausdruck, dass das alte Gleichgewicht der Gewalten nicht mehr bestand: Das demokratisch gewählte Unterhaus nahm sich das Recht, über politische Fälle selbst zu Gericht zu sitzen.

      Die vierte Kombination, das Gleichgewichtsprinzip der Gegenwartsgesellschaft, geht von der Allgegenwart des fachlich vorgebildeten Berufsrichters aus, der an seine Aufgabe mit spezialisierten Kenntnissen und spezialisierter Erfahrung herangeht. Charakteristisch für ihn sind Professionalisierung, Spezialisierung, gesicherte Amtsausübung mit Versorgungsvorrechten und die Berufung auf das Gesetz, ein dem äußeren Anschein nach neutrales Bezugsschema, das jedoch die Gegenforderung

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