Politische Justiz. Otto Kirchheimer

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Politische Justiz - Otto Kirchheimer

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ausgewählter Angehöriger der Volksmasse an einigen Phasen des gerichtlichen Verfahrens, das zur Urteilsfindung führt. (Die kontinentaleuropäische Praxis schließt die Geschworenengerichte von der richterlichen Voruntersuchung aus und ist nach und nach zu einer Regelung übergegangen, bei der die Laienbeisitzer gemeinsam mit den Berufsrichtern an allen Phasen der Urteilsfindung teilnehmen; sowohl in der kontinentaleuropäischen als auch in der englisch-amerikanischen Praxis liegt die Prozessleitung in den Händen des Berufsrichters, und das englisch-amerikanische Verfahren überlässt dem Berufsrichter alle Rechtsfragen ebenso wie die Verhängung der Strafe.)

      In diesem Mischtyp volksrichterlich-berufsrichterlicher Gerichtsbarkeit ist das Volkselement schwächer als das berufliche; das liegt daran, dass dem Geschworenen die fachliche Ausbildung fehlt und das Schwurgericht nur in begrenztem Umfang repräsentativ ist. Anders als das politische Staatsorgan, das über politische Gegner zu Gericht sitzt, vertritt dieser eigens ausgesuchte »Querschnitt« des Volkes, der den Berufsrichtern zur Seite steht, in der Tat Meinungen, die unter dem Volk in Umlauf sind; aber er hat nicht den meinungsintegrierenden und meinungsbildenden Charakter einer echten politischen Vertretung.

      Gerichte, die speziell und ausschließlich für politische Komplexe zuständig sind, können für die Aburteilung besonderer politischer Vergehen ohne Berücksichtigung besonderer Kategorien von Tätern oder nur für die Aburteilung politisch hochgestellter Personen bestellt sein. Je nach den Umständen überwiegt in ihnen das politische oder das berufsrichterliche Element. An dem einen Ende der Skala kann man sich das französische Revolutionstribunal von 1793 denken, dessen fünf richterliche und zwölf Laienmitglieder gleichermaßen vom Konvent berufen wurden, und am andern die obersten Gerichte oder Verfassungsgerichte der heutigen westeuropäischen Länder, in denen das politische Element auf diese oder jene Form der Beteiligung des Parlaments an der Berufung der Richter, die Berufsjuristen sein müssen, reduziert ist. Zwischen diesen Extremen hat es mancherlei Mischformen gegeben.

      Äußerlich scheint das Auf und Ab eines langwährenden Kampfes mit dem wenigstens zeitweiligen Sieg des bürokratisch-richterlichen über das politisch-demokratische Element geendet zu haben. Die Gerichte werden mit Berufsrichtern besetzt, und die Laien bleiben draußen oder können nur am Rande an der Urteilsfällung teilnehmen. Aber trotz dieses Triumphes des Berufsprinzips in der Besetzung der Gerichte und in der Auswahl des richterlichen Personals haben Veränderungen, die in den letzten hundert Jahren vor sich gegangen sind, der Rolle des Berufsrichters einen abgewandelten Sinn gegeben: Dem berufsrichterlichen Prinzip sind in gewissem Umfang politische Gegengewichte beigegeben worden.

      Am leichtesten vollzog sich der Übergang zum Richter der nachabsolutistischen Zeit in der englisch-amerikanischen Atmosphäre. Hier hatte der Richter, der aus den Reihen der erfolgreicheren Anwälte und Politiker kam, Gelegenheit genug, den im öffentlichen Bewusstsein vorherrschenden Strömungen überaus intensiv und mit viel Verständnis zu lauschen. Zwar konnte diese Art Aufnahmebereitschaft für vorherrschende Meinungen der Sache dieser oder jener energischen und hartnäckigen Minderheit, die sich zur übrigen Gesellschaft in Widerspruch setzte, nicht wenig schaden; dieser Schädigung besonderer Gruppeninteressen wirkte indes zweierlei entgegen: einmal der große Spielraum, den eine sorglos-nonchalante und dem Erwerb mit Erfolg ergebene Gesellschaft der persönlichen Freiheit konzedierte, und zum andern die gewohnheitsmäßige Neigung der Richter, den Folgen ihres eigenen Tuns und Lassens, die sich in den verschiedensten Gesellschaftsschichten am Wahltag einstellten mochten, Aufmerksamkeit und Beachtung zu schenken. Wo es – wie etwa im Chicagoer Haymarket-Prozess – zu ernsten Zusammenstößen kam, zeigte sich sogleich, dass in einer Gesellschaft, die vom Meinen beherrscht wird, eine wirklich unparteiische Haltung schwerlich über das Äußerliche, Technische hinausgehen kann; es zeigte sich aber auch, dass dem modernen Gerichtsprozess, der im Scheinwerferlicht der internationalen Publizität stattfindet, die sehr bedeutsame Fähigkeit zuwächst, weithin ausstrahlende Symbolbilder zu prägen.

      In den konstitutionellen Monarchien Kontinentaleuropas wurde der Richter zu einer Art Puffer zwischen der öffentlichen Meinung und dem Eigenbereich der Bürokratie. Mit einem Fuß im bürokratischen Bereich und mit dem andern im gemäßigt liberalen Lager der Zeit, zugleich aber von der eigenen Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit überzeugt, besah sich der Richter skeptischen Auges sowohl das Betragen der gerade entstehenden Massenparteien als auch die Anstrengungen der Exekutive, sie zu unterdrücken oder, wenn das nicht gelang, mit Nadelstichen zu traktieren. Oft genug gab sich der Richter große Mühe, den politischen Inhalt des Konflikts zwischen dem Staat und den neuen Massenorganisationen auf seine reine Rechtsform zu reduzieren. Dabei hielt er sich strikt an seinen ureigensten Amtsbereich: Er erfüllte weder die Erwartungen der Exekutivgewalt, die seine tätige Mitwirkung bei der Unschädlichmachung der Hydra des »Umsturzes« forderte, noch die Hoffnungen der Gegner des Regimes, die von ihm verlangten, dass er ihnen helfe, das anzuprangern, was ihnen als Niedertracht und Verrottung der Machthaber erschien.

      Wo die ständigen Scharmützel zwischen den Staatsorganen und ihren Feinden immer weiter zunahmen und sich zu einem Konflikt von solcher Ausdehnung und solcher Schärfe auswuchsen, dass seine Zurückführung auf den niedrigsten juristischen Nenner nicht mehr möglich war, fand sich der Richter in einer schwierigen Lage: Jede Stellung, die er bezog, musste ihn vielen als parteiisch und voreingenommen erscheinen lassen. Unter solchen Umständen konnte es leicht passieren, dass die Richterschaft selbst von dem Gegensatz zerrissen wurde, der sich

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