Politische Justiz. Otto Kirchheimer

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Politische Justiz - Otto Kirchheimer

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als Differenzen und Spaltungen in den Reihen der herrschenden Partei. Hier wie dort machen die Behörden infolgedessen viel bewusstere Anstrengungen, das Forum des Gerichtsverfahrens für die Zwecke der inneren Mobilmachung auszunutzen. Von den letzten Tagen des ersten Weltkriegs bis zu Israels Versuch, die einzigartige Gelegenheit des Eichmann-Prozesses mit der Rekapitulation des Hitlerschen Ausrottungsfeldzugs gegen die Juden als Angelpunkt für eine demonstrative Bekräftigung der nationalen Staatsidee im Angesicht der anhaltenden äußeren Bedrohung der staatlichen Existenz zu benutzen, hat es eine lange Kette von Bemühungen gegeben, die Wirksamkeit der politischen Aktion durch die Entfaltung des Gerichtssaaldramas zu erhöhen.

      Im ideologischen Ringen um die Beherrschung der Köpfe sind die Gerichte Organe, die mit den öffentlichen Angelegenheiten aufs engste verbunden sind. Zum mindesten in den nichttotalitären Ländern bleiben sie der direkten Kontrolle durch die Staatsexekutive entzogen. Die besondere Vertrauensposition, die sie im öffentlichen Bewusstsein behaupten, macht die Art, wie sie politisch gefärbte Prozesse behandeln, zu einem entscheidenden Element des politischen Geschehens. Damit nimmt aber auch die Gefahr zu, die solchen Prozessen innewohnt: die Gefahr der Verfälschung und Entstellung durch das Parteiische sowohl in den akzeptierten Prämissen der Rechtsprechung als auch in der Verfahrenshandhabung. Mit der neuen Rolle des politischen Prozesses gewinnen darüber hinaus die Techniken des indirekten Druckes an Bedeutung, die einen wesentlichen Teil der Verwandlung der begrenzten öffentlichen Meinung des 19. Jahrhunderts in die gelenkte Massenmeinung der Gegenwart ausmachen.

      Geht man davon aus, dass die Justiz mit einem Maß an Toleranz arbeitet, das nicht durch die Befehle eines klar erkennbaren Souveräns bestimmt ist, sondern durch die richterliche Interpretation der obwaltenden Meinungstrends und der verbindlichen politischen und moralischen Maßstäbe, so muss man sich fragen, über welches organisatorische und geistige Rüstzeug das Gericht verfügen kann, wenn es solche Aufgaben zu bewältigen hat. Das ist eins der Hauptthemen der vorliegenden Untersuchung. Greifbare Unterschiede bestehen zwischen einer Richterschaft, die auch noch angesichts der lastenreichen Anforderungen des Zeitalters die Möglichkeit hat, eigene Antworten und Kompromisslösungen zu suchen und zu finden, und einer, die auf die Ziele und Forderungen der politischen Machtorgane eingeschworen sein muss.

      Dem westlichen Richter dienen die sichtbaren Tendenzen der öffentlichen Meinung als Mahnmale: Er muss sich dessen bewusst sein, dass seine Entscheidungen, wenn sie dem Verhalten der Gemeinschaft als Norm gelten sollen, am Halbdunkel, am Ungewissen der Möglichkeiten und Zufallssituationen des Tages nicht Vorbeigehen dürfen. Der östliche Gerichtsfunktionär hat es viel einfacher: Er braucht nur die Details einer politischen Linie zu entwickeln, für die das politische Herrschaftsgebilde die Maßstäbe des Handelns und Unterlassens festgelegt hat. Auch angesichts der Zufallsfügungen und konzentrischen Pressionen der modernen Gesellschaft funktioniert, was die Voraussetzungen und Methoden der richterlichen Tätigkeit angeht, die traditionelle Richterschaft, die sich von Ideen und Meinungen leiten lässt, anders als die neuere, die nur Parteidirektiven zu empfangen hat.

      Bis zu einem gewissen Grade ist das Handeln des Richters durch das Verhalten des Angeklagten bedingt. Freilich wird, soweit es sich um den Angeklagten im alltäglichen Strafverfahren handelt, die Vertauschung der Rollen zwischen Angeklagtem und Richter über die Sphäre der Tagträume nicht hinausgelangen; einer verständlichen menschlichen Neigung folgend, wird der Angeklagte bestrebt sein, sich in der Zufallsbegegnung mit dem Gericht von einer möglichst gefälligen Seite zu zeigen. Anders beim politischen Angeklagten: Hier tritt eine echte Rollenvertauschung ein; sofern er überhaupt gewillt ist, sich den Situationserfordernissen zu beugen, hält sich seine Anpassungsbereitschaft in engen Grenzen und bezieht sich allein auf die Taktik des Vorgehens. Unter Umständen kann sie davon abhängen, wie er sich zum psychologischen Lavieren des Verteidigers stellt, dem es vielleicht gelingt, die große Kluft zwischen taktischem Augenblickserfolg und der Ausrichtung nach dem unverrückbaren Leitstern des Angeklagten, seinem politischen Fernziel, zu überbrücken. Im Wesentlichen aber bleibt die Rechtfertigung des politischen Angeklagten sein Bekenntnis zu der Sache, der er zu dienen glaubt. Insofern richten sich im politischen Prozess die Züge und Gegenzüge aller Prozessbeteiligten nach dieser einen Grundkonstellation.

      Sollte politische Justiz in diesem Sinne ihre letzte Rechtfertigung in den unergründlichen Zwecken der Geschichte finden, in deren Licht die Niederlagen, Missbräuche und Leiden von gestern die Gewähr für den größeren Ruhm von morgen sein mögen? Gemessen an der Zahl verkrüppelter und zerstörter Menschenleben, ist der Wert solcher Erwartungen hypothetisch und ungewiss. Wie viele Menschen, die sich zu einer politischen Sache nicht bekennen oder sich mit einer politischen Sache nicht mehr identifizieren, sind in den Mahlstrom der politischen Justiz hineingerissen worden? Wie viele politische Pläne bleiben ohne Verschulden ihrer Träger für immer zum Fehlschlag verurteilt? Soll in alledem kein Sinn mehr gesucht werden? Soll man sich damit bescheiden, dass die Autorität des jeweiligen Regimes aufrechterhalten werden müsse, und in jedem Gerichtsurteil, weil es ein Urteil ist, auch schon den Beweis dafür sehen, dass es notwendig und legitim gewesen sei? Aber ein Gericht hat – wenigstens offiziell – mit dem wirklichen Bedürfnis nach politischer Strafverfolgung, die im Ermessen der Exekutive liegt, kaum etwas zu schaffen; es befasst sich nur – nach Maßgabe der geltenden Gesetze – mit der Zulässigkeit und Beweiskraft des vorgelegten Anklagematerials. Wichtiger noch: Wer kann je verbürgen, dass sich die Sache des Regimes, das den Beistand des Gerichts anruft, als verteidigungswert erweisen werde?

      Selten findet die Erkenntnis Anklang, dass Asylgewährung und Gnadenerweis unzertrennlich zur politischen Justiz gehören. Schon die Gleichheit des Stils ordnet sie diesem Bereich zu: hier herrscht dieselbe Zufälligkeit, dieselbe Regellosigkeit des Vorgehens. Aber auch wenn man von diesen äußeren Merkmalen absieht, gibt es eine innere Logik, eine innere Notwendigkeit, die Asyl und Gnade an den Streitwagen der politischen Justiz kettet. Je weiter sich die Praxis der politischen Justiz auch vom blassesten Abklatsch der Gerechtigkeit entfernt, umso mehr bedarf es dieser außerordentlichen Aushilfsmittel, die miteinander in keinem Zusammenhang zu stehen scheinen, umso mehr ist ihre Anwendung geboten.

      Ob ein politisch Verfolgter Asyl findet, ist purer Zufall. Der flüchtige Regimegegner muss zweimal Glück haben: Er muss seinen Verfolgern entkommen, und er muss ein unbeteiligtes Land ausfindig machen, das ihm Zuflucht gewährt. Die Gründe dafür, dass Asyl zugestanden oder abgeschlagen wird, die Vorschriften, die über die Asylgewährung entscheiden, oder das Fehlen solcher Vorschriften, die Prüfung der dem Asylsuchenden zur Last gelegten Handlungen und seiner Beweggründe: Das alles fällt in den Wirkungsbereich der politischen Justiz.

      Ist die Asylgewährung ein Glücksfall, der sich vielleicht zu einer für die Verfolgten günstigen Politik ausweitet, so ist der Gnadenerweis der Verzicht auf Strafverfolgungsansprüche, der vielleicht nicht zugegeben werden darf. Unter welchen Umständen wird ein politisches System zur Geste der Milde bereit sein? Wie sehr beruhen solche Gesten darauf, dass das Regime es müde ist, sich immer wieder mit den unabsehbar anmutenden Folgen dessen, was es einst getan hatte, herumzuschlagen? Muss jeder Versuch sinnlos sein, das, was die jeweiligen Machthaber zu bewilligen geneigt sein mögen, in ein System zu bringen? Und wenn ein System darin liegt, wird es nicht von neuem ein Gefüge zusätzlicher Gewinne für diejenigen offenbaren, die das Räderwerk der politischen Justiz in Gang setzen, als ob ihnen aus einer zweifelhaften Kapitalanlage vermehrte Erträge zuflössen? Muss jedes Bemühen um eine rationale Erklärung an dieser Stelle ein Ende finden? Haben wir nur ein bloßes Ablassventil vor uns, das ebenso verwirrend funktioniert wie die politische Justiz selbst?

      Wenn aber alle politische Justiz in Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit oder, wie man in weiter östlich gelegenen Gefilden abschätzig meint, in »Praktizismus« gehüllt ist, wozu dann der Aufwand? Wäre es nicht klüger, sich achselzuckend abzuwenden? Doch auch Unbestimmtheit kann, wenn es eine klare und eindeutige Regel nicht gibt, ihre Vorteile haben: Der politische Angeklagte und seine Freunde werden der Niedertracht und Misswirtschaft eines Systems, das sie zu Fall gebracht hat, nicht weniger moralische Genugtuung abgewinnen als der Ankläger und der Richter, die einander Rechtschaffenheit und Amtstreue bescheinigen dürfen.

      Oder

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