Meine europäische Familie. Karin Bojs
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Einige der ältesten und herausragendsten Funde stammen von dem russischen Grabungsplatz Kostenki, 400 Kilometer südlich von Moskau am Fluss Don gelegen. Dort ist es den Forschern gelungen, die DNA aus dem Skelett eines jungen Mannes zu analysieren, der den Namen „K14“ erhielt.
Er lebte vor ungefähr 38 500 Jahren und war bei seinem Tod circa zwanzig Jahre alt. Er wurde in zusammengekrümmter Haltung begraben und war mit großen Mengen von rotem Ocker bedeckt.
Seine Mitochondrien-DNA gehört zur Gruppe U2 – einer Schwestergruppe meiner eigenen Haplogruppe U5. Heutzutage ist U2 ziemlich selten, kommt aber immer noch in ganz Europa sowie in Zentralasien und in Indien vor. Detaillierte Analysen der Kern-DNA dieses Mannes haben ergeben, dass er mit den heutigen Europäern verwandt ist. Er untermauert die Vorstellung, dass eine Menschengruppe aus Afrika vor ungefähr 55.000 Jahren in den Nahen Osten wanderte. Dort vermischten sich einzelne ihrer Mitglieder mit Neandertalern. Kurz darauf trennte sich die Gruppe. Einige wanderten weiter nach Osten, wo sie schließlich Südostasiaten und Australier wurden. Andere blieben im Nahen Osten und in Kaukasien. Und wieder andere wanderten in Richtung Europa. K14 gehörte eindeutig zu diesem letzten, dem europäischen Zweig.
Sein Grab mit dem gut erhaltenen Skelett wurde in den 1950er-Jahren entdeckt und schon bald darauf bemühten sich russische Wissenschaftler um eine Rekonstruktion seines Aussehens anhand der Knochen. Museen in Moskau, St. Petersburg und im Dorf Kostenki besitzen Kopien dieser Rekonstruktion.
Die Modelle zeigen einen schmächtigen jungen Mann mit breiter, gerader Nase, ungewöhnlich kräftigen Augenbrauen und vollen Lippen. Er war nur 160 Zentimeter groß und hatte einen auffallend kleinen Kopf. Seine breiten Zähne sind etwas abgenutzt, aber ansonsten gesund und makellos, mit einer kleinen Lücke zwischen den Schneidezähnen. In diesen Darstellungen hat er dunkles, krauses Haar und dunkle Haut. Das sind naheliegende Vermutungen, doch werden in keiner der bisher veröffentlichten DNA-Untersuchungen Details dieser Art erwähnt.
Aus der gleichen Periode stammende Funde aus der Umgebung verraten, dass Wildpferde die häufigste Jagdbeute der Menschen von Kostenki waren. In dem untersuchten Grab wurden außerdem einige Hasen- und Mammutknochen gefunden.
Da sich das Klima nach einem der eiszeitlichen Kälteeinbrüche neuerlich erwärmt hatte, wuchsen zu dieser Zeit allmählich wieder Gehölze in der Steppe auf, vornehmlich aus Weidenbäumen. Nach der schlimmsten Katastrophe der letzten Hunderttausend Jahre war das Leben in Europa wieder leichter geworden.
Das Auftreten von Eiszeiten hängt in erster Linie mit zyklischen Veränderungen der Umlaufbahn der Erde um die Sonne zusammen. Der Neigungswinkel der Erdachse kann variieren, die Achse kann in verschiedene Richtungen geneigt und die elliptische Form der Erdbahn kann mehr oder weniger stark ausgeprägt sein. Bestimmte Konstellationen, bei denen die nördlichen Breiten besonders wenig Sonne abbekommen, könnten eine neue globale Eiszeit auslösen. Diese Veränderungen nennt man nach dem serbischen Physiker, der sie zuerst beschrieb, die Milankovic-Zyklen.
Das Klima ist jedoch auch noch von weiteren Faktoren abhängig, sowohl global als auch regional. Ein solcher Faktor sind Vulkane, deren Aschewolken die Sonne verdunkeln und damit die Erde abkühlen.
Vor ungefähr 39 300 Jahren brach das Verhängnis in Form eines Vulkanausbruchs über die Gegend um Neapel herein. Dabei trat etwa achtzigmal so viel Lava aus wie bei dem bekannteren Ausbruch im Jahr 79 n. Chr., der die antike Stadt Pompeji verschüttete.
Die Eruptionswolke war vierzig Kilometer hoch. Die Asche verbreitete sich vor allem in östlicher Richtung, über das heutige Griechenland und Bulgarien, das Schwarze Meer und Russland. In Kostenki können die Archäologen deutlich eine dicke, von Asche dominierte Schicht erkennen, was ihnen die Datierung ihrer Funde erleichtert.
Aller Wahrscheinlichkeit nach verdunkelte sich der Himmel für einige Jahre, das Klima wurde kälter und der Boden war über weite Gebiete mit Asche bedeckt – vielerorts in dezimeterdicken Schichten, sodass die Tiere nicht mehr grasen konnten.
Einige Forscher glauben, dass dieser Vulkanausbruch den Neandertalern den Todesstoß versetzt hat. Es gibt viele Spuren von Neandertalern, die älter als 39.000 Jahre sind, aber keine gesicherten Belege jüngeren Datums. Eine These besagt, dass – im Gegensatz zu den Neandertalern – zumindest ein paar von uns modernen Menschen die Anpassung an die neuen, härteren Bedingungen nach der großen Katastrophe bewältigt haben. So sind zum Beispiel einige Wissenschaftler der Überzeugung, dass wir genau zu jener Zeit begannen, Nähnadeln aus Knochen zu verwenden. Diese revolutionäre Technik habe uns geholfen, Fellkleidung herzustellen, die warm und dicht war und es uns ermöglichte, die kältesten Jahre zu überleben.
Die ältesten bekannten Nadeln mit Öhr wurden in Kostenki und an zwei weiteren russischen Fundorten entdeckt: in Mezmaiskaya im Norden des Kaukasus und im Altai im südlichen Sibirien. Das Alter dieser Nadeln wird auf 35.000 bis 40.000 Jahre geschätzt.
Natürlich können uns Nadeln und gut gearbeitete, warme Kleidung von Nutzen gewesen sein, doch sind sie mit Sicherheit nicht die einzige Erklärung dafür, dass wir überlebten, während die Neandertaler ausstarben. Wir sollten nicht vergessen, dass die Neandertaler während mehrerer Eiszeiten viele harte Kälteperioden überstanden und sich immer wieder erholt hatten. Erst als wir modernen Menschen auf der Bildfläche erschienen, waren sie zum Untergang verdammt. Das Muster wiederholt sich an vielen Orten im Nahen Osten, im Kaukasus, in Sibirien und Europa. Die Neandertaler lebten dort jahrtausendelang, dann kamen wir und sie verschwanden. In einigen Regionen waren die Neandertaler schon verschwunden, bevor wir eintrafen. So stellt es sich in Hohle Fels dar. Andernorts lassen die Grabungen Überschneidungen von mehreren Tausend Jahren erkennen, während derer mehrere Gruppen gleichzeitig gelebt haben könnten – wenn auch in gebührendem Abstand voneinander. Außerdem gibt es Beispiele von Ausgrabungen, wo alle Neandertalerspuren abrupt aufhören und unmittelbar darauf Spuren von uns modernen Menschen sichtbar werden.
In der Nähe des Grabes von Kostenki und in Erdschichten aus derselben Periode haben Archäologen außer Nadeln auch eine Reihe anderer Gegenstände gefunden, die für das Aurignacien typisch sind: Werkzeuge aus Knochen und Horn, außerdem Steine, die von einhundertfünfzig Kilometer weit entfernten Felsen stammen.
Die Aurignacien-Menschen in Kostenki stellten auch Schmuckstücke aus Eckzähnen von Polarfüchsen und aus Schneckenhäusern her, die vom fünfhundert Kilometer südlich gelegenen Schwarzen Meer stammen. Sie fertigten sogar längliche Perlen aus Fuchs- und Vogelknochen mit spiralförmigen Rillenmustern an.
Ähnliche Perlen sind überall dort gefunden worden, wo die Aurignacien-Menschen ihre Spuren hinterlassen haben. Der Grabungsplatz Abri Castanet in der Dordogne in Frankreich war ehemals eine regelrechte Fabrik, wo Perlen aus Mammutzähnen, Rentiergeweihen sowie aus Speckstein in Serie hergestellt wurden. Speckstein kam lokal nicht vor, sondern muss aus der Gebirgskette der Pyrenäen, viele Kilometer weiter südlich, herangeschafft worden sein. Die Menschen in den Bergen der Dordogne schmückten sich auch mit Schnecken aus dem Mittelmeer und von der Atlantikküste. Entweder legten sie selbst Strecken von bis zu zweihundert Kilometern zurück, oder sie unterhielten gut ausgebaute Netzwerke, innerhalb derer sie Waren mit anderen Gruppen austauschten.
Mutmaßlich kamen die Aurignacien-Menschen über die Türkei aus dem Nahen Osten. Mit Sicherheit wanderten sie vor gut 43.000 Jahren an der Donau entlang nach Westen. Lassen wir einmal die Frage außer Acht, ob sie Flöten und Kunstgegenstände aus Elfenbein in ihrem leichten Gepäck hatten, auch wenn ich glaube, dass es sich so verhielt. Auf jeden Fall waren ihre Kleider mit Schmuck verziert.
Doch es lebten sogar noch früher anatomisch moderne Menschen in Europa – Menschen wie wir.
Die ältesten Hinterlassenschaften in Kostenki stammen vermutlich von Neandertalern. Aber in den letzten 45.000 Jahren scheinen