Meine europäische Familie. Karin Bojs

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Meine europäische Familie - Karin Bojs

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und als alle anderen Funde aus der Kultur des Aurignacien.

      Mindestens genauso alte Steinwerkzeuge – allem Anschein nach von modernen Menschen – wurden an einigen Orten im heutigen Ungarn und Tschechien entdeckt. Mutmaßlich unternahmen kleine Gruppen schon sehr früh Vorstöße nach Europa hinein, vielleicht schon vor 50.000 Jahren. Doch diese frühen Pioniere überlebten nicht. Erst mit der Kultur des Aurignacien erhielt Europa eine überlebensfähige Bevölkerung moderner Menschen.

      Auch mehrere Funde aus Italien und Griechenland werden modernen Menschen zugeordnet. Die betreffende Kultur, das sogenannte Uluzzien, wurde in den 1960er-Jahren entdeckt. Viele Jahre lang hielt sich die Auffassung, dass deren Werkzeuge und Schmuckstücke von einer Gruppe ungewöhnlich weit entwickelter Neandertaler stammten. Die Steinwerkzeuge wirken wie eine eigenartige Mischform aus der Produktion von Neandertalern und von modernen Menschen. Unter den Fundstücken befinden sich auch als Schmuckanhänger durchbohrte Schneckenhäuser und Zähne, Reste roter Ockerfarbe und Werkzeuge aus Knochen.

      Erst vor wenigen Jahren untersuchten italienische Wissenschaftler zwei Milchzähne aus der Höhle Grotta del Cavallo in Italien. Die Form dieser Zähne hat mittlerweile viele – wenn auch nicht alle – Experten davon überzeugt, dass sie tatsächlich einem modernen Menschen gehörten. Die Diskussion darüber geht weiter und DNAAnalysen liegen bislang nicht vor.

      Vor ungefähr 39 300 Jahren verschwinden alle Spuren des Uluzzien. Höchstwahrscheinlich besteht ein Zusammenhang mit dem großen Vulkanausbruch, der gerade zu dieser Zeit ganz in der Nähe stattfand.

      Bevor jedoch die Menschen dieser Kultur verschwanden, hatten sie ihr Umfeld maßgeblich verändert. Sie – oder andere Pioniergruppen moderner Menschen – führten neue Techniken in Europa ein.

      Schon bald ahmten die Neandertaler sie nach.

      Darüber hinaus existierte in Westeuropa noch eine weitere eigentümliche Kultur, die eine Mischform von Neandertalern und modernen Menschen zu sein scheint: das Châtelperronien, das in Nordspanien und Südwestfrankreich entdeckt wurde. Die Menschen dieser Kultur haben ihre Toten offenbar gelegentlich begraben – wenn auch in primitiver Form – und sie scheinen Schmuckstücke, Pfeile und auch Farbpigmente verwendet zu haben.

      In der Forschung ist viel darüber gestritten worden, welche Menschen sich hinter dem Châtelperronien verbargen. Doch dank neuer und exakterer Methoden der Radiokarbondatierung ergibt sich jetzt endlich ein klareres Bild.

      Alles deutet darauf hin, dass es sich um Neandertaler handelte, die moderne Menschen nachahmten. Von Neuankömmlingen in ihrer Gegend inspiriert, begannen sie Schmuck, Schminke und Wurfpfeile zu benutzen.

      Die neuen und präziseren Radiokarbondatierungen sind an der Universität Oxford unter der Leitung von Tom Higham durchgeführt worden. Sie lassen darauf schließen, dass sämtliche europäischen Neandertaler erst vor 39.000 Jahren verschwanden. Zumindest gibt es keine gesicherten Belege für das Vorkommen von Neandertalern in jüngerer Zeit.

      Die neuen Datierungen bestätigen jedoch auch, dass Neandertaler und moderne Menschen jahrtausendelang in Europa koexistiert haben müssen. Die Neandertaler hatten also reichlich Zeit, sich Neuerungen abzugucken.

      Der Leipziger Paläontologe Jean-Jacques Hublin ist wie gesagt davon überzeugt, dass die beiden Gruppen einander skeptisch gegenüberstanden und so viel Abstand voneinander hielten wie möglich. Er glaubt aber auch, dass sie einander manchmal aus der Ferne beobachteten. So konnten die Neandertaler sehen, dass die modernen Menschen Pfeile benutzten, die sie nach ihrer Beute warfen – eine geniale Erfindung, die die Jagd sowohl sicherer als auch effektiver machte. Die herkömmliche Vorgehensweise bestand darin, auf das Tier zuzulaufen und es abzustechen. Das hatten die Neandertaler mehrere Hunderttausend Jahre lang praktiziert. Natürlich war das lebensgefährlich, doch eine bessere Methode war ihnen nicht bekannt. Die Funde aus dem Châtelperronien belegen, dass sie ganz plötzlich, just als die modernen Menschen in Europa ankamen, begannen Wurfpfeile zu benutzen. Die Pfeile der Neandertaler waren den Waffen der modernen Menschen sehr ähnlich und konnten auch genauso verwendet werden. Ihre Steinwerkzeuge stellten die zwei Gruppen jedoch auf unterschiedliche Weise her. Diese Tatsache bestärkt Jean-Jacques Hublin in seiner Auffassung, dass die Neandertaler moderne Menschen aus der Ferne nachahmten und nicht etwa mit ihnen verkehrten. Unter Umständen könnte er sich vorstellen, dass sie bei seltenen Gelegenheiten Waren miteinander austauschten. Das würde erklären, warum die Fundschichten der Neandertaler Perlen enthalten, die an den Schmuck der modernen Menschen erinnern.

      Die neuen Techniken, die die Neandertaler übernahmen, verlängerten womöglich ihre Existenz ein wenig. Dennoch waren sie dem Untergang geweiht, als Menschen unserer Art Europa besiedelten.

      Einer von vielen Erklärungsversuchen dafür, dass die Neandertaler ausstarben, während wir überlebten, besagt, dass wir beim Essen weniger wählerisch gewesen wären. Wir hätten mehr Gemüse wie zum Beispiel stärkehaltige Wurzeln gegessen. Neuere Forschungsergebnisse, wie die von Amanda Henry vom Max-Planck-Institut in Leipzig, widerlegen das jedoch. Henry hat mikroskopisch kleine Reste von fossilen Zähnen untersucht und kann bestätigen, dass auch die Neandertaler durchaus Stärke aus Pflanzenwurzeln zu sich nahmen. Es stimmt also nicht, dass sie zugrundegingen, weil sie sich zu einseitig von Fleisch ernährten.

      Es könnte allerdings zutreffen, dass wir erfolgreicher bei der Jagd auf Fische und kleine, schnelle Tiere wie Hasen und Vögel waren. Denkbar ist auch, dass wir geschickter darin waren, aus Pflanzenfasern Netze zu knüpfen. Mit solchen Netzen zu fischen und zu jagen, hätte uns große Vorteile verschafft. Unsere Ernährungsgrundlage wäre dadurch sowohl abwechslungsreicher als auch verlässlicher geworden. Blieben die großen Beutetiere aus, konnte man immer noch zum Fluss hinuntergehen und ein paar Fische fangen. Außerdem bekam so ein größerer Teil der Gruppe die Möglichkeit, seine Arbeitskraft einzubringen. Die Jagd auf große Säugetiere war oft gefährlich und anstrengend. Das schafften nur starke, gesunde Menschen. Aber Netze auslegen und einholen konnten auch schwächere, ältere oder behinderte Personen.

      Die Kunst des Fischens und der Jagd auf Hasen und Vögel könnte also durchaus für unser Überleben in Europa entscheidend gewesen sein.

      Vielleicht setzten wir uns gegen die Neandertaler mit effektiveren Jagdmethoden durch. Womöglich erschlugen wir sie auch einfach, wenn sich die Gelegenheit bot. Ich glaube, Jean-Jacques Hublin hat recht mit seiner These, dass den Klimaveränderungen und Nähnadeln nur eine eingeschränkte Bedeutung zukommt, während Sprache, Kunst, Musik und größere soziale Netzwerke den Ausschlag gaben.

      Dass die Neandertaler schon während der letzten Eiszeit, bevor wir auftauchten, stark in Bedrängnis geraten waren, begünstigte uns sicher zusätzlich.

      Einige DNA-Untersuchungen belegen, dass die Neandertaler vor ihrem Ende massiv von Inzucht geprägt waren. Ein Neandertalerjunge in der Denisovahöhle im südlichen Sibirien wies eine so geringe genetische Variation auf, dass seine Eltern Halbgeschwister gewesen sein oder zumindest einen ähnlichen Verwandtschaftsgrad aufgewiesen haben müssen. Zusätzlich müssen die Eltern ihrerseits das Resultat vieler Generationen von Inzucht in einer kleinen, in sich geschlossenen Gruppe gewesen sein. Einer schwedischen Studie zufolge lebten zum Schluss in ganz Europa nur noch ein paar Tausend Neandertaler. Ihre Anzahl verminderte sich vor ungefähr 50.000 Jahren signifikant – das verrät die abnehmende Variationsbreite ihrer DNA.

      Die Ankunft des modernen Menschen, die Kälteperiode sowie der Vulkanausbruch in Italien wären demnach die Sargnägel für eine bereits stark gefährdete Gruppe gewesen.

      Einige Forscher vertraten früher beharrlich die Ansicht, dass die Neandertaler durchaus die mentalen Kapazitäten besessen hätten, um ihre neue Kultur aus eigener Kraft zu entwickeln. Diese Überzeugung wird heutzutage immer seltener geäußert. Es ist unübersehbar, dass die Neandertaler mehrere

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