Exentanz. Stephan Steinbauer
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»Darf ich ihnen mein Jackett anbieten, gnädige Frau?«, fragte er, sprang behände auf und hielt ihr das Kleidungsstück hin.
»Zu freundlich, Herr Wenger. Aber ich werde dem Boy Anweisung geben, uns Decken zu holen«, antwortete sie und winkte den Ranger zu sich heran.
William Sutherland, der Ranger, war ein knochiger, gedrungener Mittsechziger, englischer Offizier alter Schule. Den Nationalpark kannte er wie seine Westentasche.
»Milady?« Er bewegte kaum seine steifen Lippen.
Frau Irmgard übermittelte ihm ihren Wunsch, den er umgehend an einen der schwarzen Boys weitergab, die sich stumm im Hintergrund hielten. Keine zwei Minuten später erschien der Boy mit einem Stapel Decken und reichte sie dem Ranger, der sie an seine Safarigäste verteilte.
Die Reisegruppe, die an dieser individuellen Flugsafari teilnahm, bestand nur aus fünf Personen. Neben Frau Irmgard und Herrn Thomas saßen ein älteres Ehepaar aus Düsseldorf und eine Witwe unbestimmbaren Alters aus Hamburg in der Runde. Eigentlich war die Zahl der Teilnehmer auf sechs Personen ausgelegt, aber diese sechste Person hatte kurzfristig abgesagt. Es war Josefine Karloff, die Tochter der Frau Irmgard, die sich geweigert hatte, ihre Mutter und ihren Bekannten aus dem Golfclub, Thomas Wenger, nach Südafrika zu begleiten.
Frau Irmgard ärgerte sich immer noch maßlos darüber, denn sie musste auch für ihre abwesende Tochter einen Großteil der Reisekosten bezahlen. Und sie hasste es, für etwas zu bezahlen, das ihr keinen Nutzen brachte.
Unterdessen loderten die Flammen des Lagerfeuers hoch auf und verströmten angenehme Wärme, allerdings nur von vorne. Für die innere Wärme sollte nun der südafrikanische Wein sorgen, den der Ranger jetzt aus dem Dekantiergefäß in bauchige Gläser goss. Er reichte jedem seiner Gäste ein Glas, dann hob er seines in die Höhe und blickte in die Runde.
»Cheers, Ladies and Gentlemen!«
Man trank einander zu. Der erlesene Tropfen kitzelte mit seinem fruchtigen Bouquet den Gaumen und erwärmte die Seele angenehm im Abgang.
»Nicht übel«, bemerkte Herr Thomas, spitzte die Lippen und ließ das Aroma aus dem Glas genüsslich in seine Nüstern steigen.
»Na ja, wir haben ja dafür bezahlt. Und angemessen, wie ich finde«, antwortete Frau Irmgard. »Da darf man schon das Exklusivste erwarten.«
»Sehr richtig!«, pflichtete ihr der Düsseldorfer bei. Die Witwe aus Hamburg beließ es bei einer zustimmenden Geste, ohne ihre vornehmen Gesichtszüge zu bewegen.
»Die Leute hier in Afrika sind doch angewiesen auf uns Touristen«, ergänzte die Gattin des Düsseldorfers. »Sonst haben sie ja nichts.«
»Nur Diamanten«, warf Herr Thomas ein.
»Die kann man nicht essen«, meinte der Düsseldorfer scherzhaft und erntete Gelächter.
Der Ranger verzog keine Miene.
»Very funny«, versuchte Herr Thomas, ihm die Situation zu erklären. Keine Reaktion.
»Ach wissen sie, Herr Wenger«, raunte Frau Irmgard ihm zu »der englische Humor ist für uns Kontinentaleuropäer schwer zu verstehen. Und umgekehrt.« Thomas Wenger nickte.
»Darf ich mal so unhöflich sein und fragen, ob sie ein Ehepaar sind?«, wandte sich der Düsseldorfer an Frau Irmgard.
Die lachte vornehm, aber freundlich auf und verneinte. »Nein, nur flüchtige Bekannte. Wir golfen zusammen.«
Sie wandte sich wieder Herrn Thomas zu und senkte die Stimme. »Apropos flüchtig. Ich darf doch auch so unhöflich sein, Herr Wenger, und fragen, ob sie Neuigkeiten von ihrer gewesenen Frau Gemahlin haben?«
Thomas Wenger errötete. Da hatte Frau Irmgard einen ganz wunden Punkt getroffen. Aber sie hatte ihre Frage so dezent gestellt, so unausweichlich direkt, aber doch mit dem Charme einer geradezu mütterlich Vertrauten, dass er sich um die Antwort nicht drücken konnte.
»Ich vermute sie in Portugal«, murmelte er.
Hass stieg in ihm auf, denn die Scheidung hatte ihn viel Geld gekostet. Der Scheidungsrichterin, offenbar eine Emanze, war es ganz egal gewesen, dass seine Frau ihn böswillig verlassen hatte und mit einem jungen Musiker durchgebrannt war. Es lag kein Ehevertrag vor. Also hieß es zahlen, und nicht zu knapp. Die Ausweitung seines Kosmetikunternehmens auf internationale Ebene musste er vorerst auf Eis legen. Er war froh, den Betrieb überhaupt einigermaßen unbeschadet weiterführen zu können. Aber sein Kreditlimit war ausgeschöpft, wie sein Bankier ihn höflich und mit Bedauern in der Stimme, aber mit unerschütterlicher Bestimmtheit wissen ließ. Er müsste eine neue Geldquelle auftun, darüber war Herr Thomas sich im Klaren.
Und nun bohrte Frau Irmgard auch noch in dieser Wunde!
»Scheidungen können ja so unverschämt teuer sein«, sagte sie leichthin, ohne ihn direkt anzusehen. »Mir blieb dieses Schicksal ja gottlob erspart.«
»Nun ja, gnädige Frau, nicht jedem ist es vergönnt, seine Ehepartner zu überleben«, gab Herr Thomas ärgerlich zurück und hoffte, Frau Irmgard getroffen zu haben.
Die aber lachte glockenhell. »Drum prüfe, wer sich ewig bindet – das sagte schon unser Schiller so treffend, lieber Herr Wenger.« Und sie nahm kichernd einen Schluck Rotwein.
Darauf hatte Herr Thomas keine Antwort mehr. Zunächst jedenfalls. Aber halt! Drum prüfe, wer sich ewig bindet? Wie war das denn mit Frau Irmgards Tochter?
»Das gnädige Fräulein Josefine, wenn ich nicht irre, verbringt ihren Urlaub gerade mit einem jungen Mann«, sagte er nach kurzer Pause. »Wie war doch der Name?«
»Doktor Hofstätter«, antwortete Frau Irmgard trocken. Das Lachen war aus ihrem Gesicht gewichen.
»Aus guter Familie?«, stieß er nach.
»Natürlich. Und Akademiker, Jurist«, antwortete sie, aber ihre Stimme klang eine Nuance zu schrill. Herr Thomas wusste Bescheid.
»Eine Jugendliebe muss ja nicht gleich vor das Standesamt führen«, meinte er beruhigend.
Jetzt war der Moment gekommen, in dem Frau Irmgard ihre klassische Bildung ins Spiel bringen konnte. »Wie sagt schon unser Goethe im Faust: Wenn sich der Most auch ganz absurd gebärdet, es gibt zuletzt doch einen ganz passablen Wein. Zum Wohl, Herr Wenger!« Und sie prostete ihm zu.
»Ja, aber man sollte den stürmischen Most besser im hölzernen Fass gären lassen, unsichtbar sozusagen, und nicht im gläsernen Krug«, gab Herr Thomas spitz zurück. »Der zukünftige Genießer könnte sonst abgeschreckt werden.«
Oh ja, Frau Irmgard verstand wohl, was er meinte. Ein guter Ruf ist schnell ruiniert. Doch sie beschwichtigte sich selbst. Josefine tobte sich weit weg aus, da unten in Dalmatien auf einer Insel. Und wenn sie wieder zurück nach Frankfurt kommt, dann wird Frau Irmgard aber ganz energisch einschreiten. Sie wusste nur noch nicht, wie. Auf keinen Fall durfte Josefines Zukunft an der Seite eines standesgemäßen Ehemannes gefährdet werden.
Der Düsseldorfer hob nun an, eine