Exentanz. Stephan Steinbauer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Exentanz - Stephan Steinbauer страница 6

Exentanz - Stephan Steinbauer

Скачать книгу

Gott, die ganze Enge und Bedrängnis kam wieder hoch, die er so gehasst hatte in den letzten Jahren. Eingesperrt hatte er sich gefühlt in der Wohnung in Wien, fürsorglich bevormundet von den Eltern. Nur raus, weg, Flucht, waren seine Gedanken gewesen. Aber die wenigen Monate, die seit seinem Auszug aus dem Elternhaus vergangen waren, reichten nicht aus, um die Atmosphäre der Unfreiheit und Unselbständigkeit ganz aus seinem Inneren zu tilgen. Schon sah er sie wieder vor sich, seine Eltern. Da war der Vater, hager, gebeugt, den Kopf raubvogelartig nach vorne gereckt. In seinen Augen der stechende, Gehorsam fordernde Blick. Da ließ der Gedanke an das asketische Wesen des alten Mannes wieder Josephs so junge Lebensfreude verdorren. Joseph durchschaute diese so demonstrativ zur Schau gestellteAblehnung aller sinnlichen Genüsse seines Vaters, der seine Befriedigung aus der Bescheidung auf Mineralwasser und Müsli bezog und sich in unbeobachtet geglaubten Momenten vor dem Spiegel an der jugendlich-schlanken Figur ergötzte. Und da war die Mutter. Hilflos den Launen des Vaters ausgesetzt, ihn aber doch mit weiblicher Hartnäckigkeit dominierend. Wieder sah Joseph sie vor sich, wie sie im letzten Jahr ihren unförmigen Persianermantel mit lästigem Raunzen und, wie man in Wien sagte, mit unablässigem Benzen durchgesetzt hatte. Er sah ihre leicht schräg nach oben gezogenen Mundwinkel, wie sie abschätzig mit »A ganz a primitive Person« über eine seiner Urlaubsbekanntschaften geurteilt hatte. Und Joseph hatte noch ihre schroffe Ermahnung »Lasst’s euch ja nicht von Weibern anreden!« im Ohr, die sie ihm und seinen Freunden mit auf den Weg gegeben hatte, als sie vor Jahren das soeben bestandene Abitur beim Heurigen feiern gingen.

      Da saß er nun mit seiner geliebten Josefine im sonnendurchfluteten Dalmatien, weit weg von den Eltern. Und doch: der Anruf aus Wien schnürte ihm wieder die Luft ab.

      »Geht’s euch gut?«, fragte er wie ein gehorsames Kind.

      »Na jaaa, wie’s einem halt so geht, wenn der einzige Sohn sich in der Welt herumtreibt, statt dass er den Eltern a bisserl zur Hand geht. Das Einkaufen is halt schon mühsam, so ohne Auto. Der Papa holt ja immer seine Körndln vom Naschmarkt. Und zum Arzt muss ich auch wieder hin«, klagte die Mutter.

      »Weißt was, Mama, in drei Wochen kommen wir euch besuchen, die Josefine und ich«, versprach er völlig entnervt. Josefine nickte ihm freundlich zu.

      »Wird ja amal Zeit, dass’d dich um deine alten Eltern kümmerst«, raunzte es vorwurfsvoll aus dem Handy.

      Joseph presste mit letzter Nervenkraft ein paar Abschiedsworte hervor, dann brach er die Verbindung ab. Auf die Information, dass er ihnen seine Freundin vorstellen wollte, hatte die Mutter gar nicht reagiert. Er spürte Beklemmung, wenn er sich vorstellte, wie diese Begegnung wohl ablaufen würde.

      »Deine Frau Mama?«, fragte Josefine ganz arglos.

      Er seufzte nur.

      »Ach, meine Mutter ist auch nicht besser. Die jettet jetzt mit Herrn Thomas durch Südafrika. Ich bin sicher, sie ist sauer auf mich, weil ich nicht mitgefahren bin auf Safari. Aber ich hab keine Lust, mich mit diesem Secondhand-Mann verkuppeln zu lassen.«

      Immer wieder hatte Frau Irmgard Karloff-Bardolino versucht, ihre Tochter mit diesem Kosmetikfabrikanten zusammenzubringen. Er war ein langweiliger Schwätzer, wie sie fand. Gefühle konnte sie für ihn beim besten Willen nicht aufbringen. Sie empfand höchstens Mitleid mit diesem Mittvierziger, dem die Frau mit einem jungen Musiker durchgebrannt war. Aber Mitleid war für sie keine Basis für eine Ehe.

      Dennoch verspürte Josefine ein schlechtes Gewissen und bedauerte es fast, dass sie es abgelehnt hatte, ihre Mutter auf dieser Safari zu begleiten. Interessant wäre diese Reise schon gewesen. Und sicher luxuriöser als dieser Urlaub mit Joseph. Aber sie hatte sich ja selbst entschieden, mit ihm zu fahren. Ferien an jenen angesagten Orten, die sie sonst mit ihrer Mutter aufzusuchen pflegte, konnte Joseph sich nicht leisten. Ihn zog es wie in jedem Jahr auf seine Insel in Dalmatien, wo amouröse Abenteuer lockten. »Aber deine Liebesabenteuer, mein lieber Joseph, wirst du ausschließlich mit mir erleben«, dachte sie, »sonst Gnade dir Gott!«

      Joseph bemühte sich, seine eingetrübte Stimmung abzuschütteln. Der Anruf seiner Mutter hatte ihm gerade noch gefehlt. Josefine merkte sein Unbehagen und wollte ihn aufmuntern.

      »Willst du gar nicht wissen, womit du meinen neuen Bikini verdienen kannst?«

      »Nun?«

      Sie rückte näher und flüsterte ihm etwas ins Ohr, das ihn überraschte. Jedenfalls aus ihrem Mund. Hui!!

      »Josefine! Erbprinzessin von und zu Karloff! Ich darf doch um Contenance bitten«, lachte er los.

      Sie zwinkerte ihm nur zu und stimmte ein in sein Lachen.

      Es wurde langsam Zeit, die Koffer zu holen und zum Anlegeplatz des Schiffes zu gehen. Als sie über den Kai schlenderten, fiel ihr Blick auf das graue Karstgebirge, das sich hinter der Stadt steil erhob. Schwarze Wolken quollen jetzt über den Bergkamm und drängten aufs offene Meer hinaus. Es war unglaublich schwül. Kein Windhauch. Das Hafenbecken lag schon zum Großteil im Schatten der Wolken, obwohl die Sonne noch hoch stand. Schleimiger Dunst breitete sich über dem Wasser aus. Am Horizont wurde der schwefelgelbe Streifen des Tageslichts immer schmaler. Das Meer lag dumpf und dunkel in trügerischer, angespannter Ruhe.

      Bei der Schiffsanlegestelle sammelten sich schon die Passagiere. Urlaubshungrige Touristen in lichter, luftiger Sommerkleidung mit schicken Koffern, und geduldige Einheimische, zumeist in dunklen Gewändern mit Stoffbündeln und abgeschabten Taschen. Dazwischen Jugendliche mit Rucksäcken, langhaarig, lässig, cool.

      Joseph beobachtete diese Jungs und Mädchen, die nur unwesentlich jünger als er waren. In den letzten Jahren war er einer von ihnen gewesen, ebenso cool und in freudiger Erwartung spannender Urlaubsflirts auf der Insel. Wobei man nie wusste, ob sich ein brauchbarer Partner finden würde. Diese Sorge war er jetzt los. Neben ihm stand die heißeste Braut, die er sich nur wünschen konnte. Und sie hatte ihm Dinge zugeflüstert, die sein Innerstes zum Beben brachten! Hoffentlich würde er ihr gewachsen sein. War Josefine schon dabei, sich von seiner Schülerin in seine Lehrerin zu verwandeln?

      Eigentlich hätte man ihr Schiff schon bei der Hafeneinfahrt sehen müssen. Aber dort regte sich nichts. Unterdessen hatten die schwarzen Wolken den Himmel bis zum Horizont ausgefüllt. Immer noch kein Lufthauch.

      Sie setzten sich auf ihre Koffer und beobachteten die Leute rings um sie her. Ein nervöser Tourist im Khakianzug mit Strohhut brachte sie zum Lachen, wie er seine pummelige Frau anfauchte, die ihn gar nicht beachtete. Er hätte ja die Kreuzfahrt durch die Karibik buchen wollen, aber nein, Madame hatte Angst vor dem langen Flug, das hätten sie jetzt davon – und so fort. Einer der Jungs schälte eine Gitarre aus der Stoffhülle und schlug ein paar Akkorde an. Eine Gruppe Jugendlicher scharte sich um ihn. »We are the Champions«, stimmte er an, die Umstehenden stimmten mit ein.

      Endlich tauchte aus dem Wolkenschleim bei der Hafeneinfahrt ein Schiff auf und steuerte allmählich auf die Mole zu. Jetzt kam Bewegung in die Wartenden. Der nervöse Tourist im Khakianzug rief nach seiner Frau, die sich unter die Jugendlichen gemischt hatte. Ein Hafenarbeiter näherte sich aus Richtung des Bahnhofs undzog einen Handwagen hinter sich her, auf dem ein Berg Koffer gestapelt war. Ein Angestellter der Schifffahrtslinie in Uniform begleitete ihn. Er bedeutete den Wartenden, eine Schlange zu bilden.

      Das Schiff legte an. Die Schrauben arbeiteten im Rückwärtsgang, schäumten das träge Wasser auf, Dieselgeruch breitete sich aus, Trossen flogen an Land, der Uniformierte legte sie über die Poller am Kai, der Anker senkte sich langsam ins Wasser und das Fallreep rasselte von Bord. Eine Gruppe Reisender verließ das Schiff. Ein Offizier postierte sich am Fallreep, kontrollierte die Karten der Einsteigenden.

      Das Schiff kam von Dubrovnik

Скачать книгу