Exentanz. Stephan Steinbauer
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Und wieder erspähte Joseph das flüchtige Schattenbild jener Blondine, von der er sich bereits bei dem Denkmal beobachtet gefühlt hatte. Wieder trafen sich die Blicke für einen Wimpernschlag, dann verschwand die Erscheinung hinter einer Gruppe von Passagieren. War es eine Sinnestäuschung? Er hatte das Gesicht nicht erkennen können, nur die hellen Augen, die Silhouette und den blonden Haarschopf. Wer war das? Er wusste es nicht.
Eine Glocke schlug an, eine Dieselwolke quoll aus dem Schornstein, der Kapitän beugte sich aus der Kommandobrücke, rief dem Uniformierten an Land etwas zu. Dieser löste die Trossen, das Fallreep wurde an Bord gezogen, der Anker rasselte hoch und das Schiff legte ab.
»Sitzt du einigermaßen bequem?«, fragte Joseph seine Begleiterin.
»Geht so. Wie lange dauert die Überfahrt?« Wohl fühlte Josefine sich nicht.
»Etwas mehr als eine Stunde«, antwortete er.
»Na, das geht ja’, sagte Josefine tapfer und hielt ihr Gesicht in den langsam aufkommenden Fahrtwind. Wenigstens etwas frische Luft!
Der Himmel war jetzt schwarz und das Meer bewegungslos und unsichtbar unter dem Schiffsrumpf. Nur am Stampfen der Motoren und an den Lichtern der Stadt, die kleiner wurden hinter ihnen, und an den Positionslichtern entlang des Hafenbeckens, an denen sie sachte vorüberglitten, merkte man, dass sich das Schiff bewegte.
Joseph betrachtete seine Geliebte, die mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit starrte, den Kopf auf ihren Arm geschmiegt. Wie schön sie war!
Das Schiff passierte die Leuchtfeuer an der Ausfahrt des Hafenbeckens. Die nahen Küsten warfen das Geräusch der Maschinen verstärkt zurück. Sie erreichten das offene Meer.
Plötzlich zuckte ein Blitz über den schwarzen Himmel, erleuchtete für einen Augenblick den schwefelgelben Spalt zwischen zwei Wolken. Es war kein Donner zu hören. Weitere Blitze folgten, ließen den dunklen Spiegel des bleiern daliegenden Meeres aufblinken. Dann klatschten die ersten Regentropfen aufs Deck und in ihre Gesichter. Die warmen, großen Tropfen waren lautlos gekommen, nun prasselten sie schnell und dicht herab. Ein Sturm heulte los, fegte über Bord, fing sich in ihren Haaren und Gewändern und peitschte die dicken Regenschnüre auf das Deck.
Josefine zog den Kopf ein. Joseph ergriff ihre Hand, half ihr auf die Beine, dann packte er beide Koffer und schloss sich den übrigen Passagieren an, die den Weg unter Deck suchten. Josefine hielt sich dicht hinter ihm. Sie stiegen die Treppe hinab ins Innere des Schiffes und kamen vor dem Eingang des Speisesaales zum Stehen. Hier ging nichts mehr weiter.
Jetzt erst kamen die Wellen. Das nicht übermäßig große Schiff hob sich, schlingerte und senkte sich in die wuchtig anrollenden Wogen.
»Geht’s dir gut?«, fragte er Josefine. Sie war so still. Er war ja seefest, aber sie?
»Es geht«, hauchte sie und schmiegte sich an ihn. Er nahm sie schützend in den Arm, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie wollte ihm auf keinen Fall zeigen, wie sehr sie unter den Unbequemlichkeiten dieser Reise litt. War sie denn wirklich so ein verwöhntes Prinzesschen? Nein, sie wollte tapfer sein, auch wenn es ihr schwerfiel. Joseph zuliebe.
Der Tourist im Khakianzug drängelte rücksichtslos an ihnen vorbei zur Treppe nach oben ins Freie. Er war grün im Gesicht und hielt sich eine Hand vor den Mund.
»Wollte der nicht eine Kreuzfahrt ins Bermudadreieck machen?«, flüsterte Joseph ihr zu. Josefine lächelte gequält.
Allmählich beruhigte sich das Gewitter. Die schwarzen Wolken hatten ihren Inhalt verströmt, lichteten sich. Als sie in den Hafen von Hvar einliefen, blinkten auf den nassen Dächern schon wieder die Strahlen der allmählich untergehenden Sonne.
Das Schiff legte an, man ging von Bord. Und da war sie wieder, diese rätselhafte Blondine. Joseph sah jetzt nur ihren Rücken, als sie dicht vor ihnen über das Fallreep schritt. In der Hand hielt sie eine kleine Reisetasche. Die Unbekannte beachtete sie nicht. Vielleicht hatte Joseph sich ja doch geirrt, als er glaubte, von ihr beobachtet zu werden?
Auf einer Bank vor der Anlegestellte saß ein älterer, hochgewachsener, schlanker Mann, braungebranntes Gesicht mit weißer Löwenmähne. Branko, der Gastwirt von Sveta Marija, dem kleinen Fischerdorf, wo sie ihren Urlaub verbringen wollten. Er erhob sich, ging den Ankommenden ein paar Schritte entgegen und breitete die Arme aus.
»Djanna!«, rief er strahlend, schloss die Blondine in seine Arme und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Dann nahm er ihr die Reisetasche ab, und die beiden gingen ein Stück die Mole entlang.
»Unser Gastgeber«, erklärte Joseph seiner Freundin. »Branko. Er geht zu dem kleinen Motorboot da vorne, das bringt ihn nach Sveta Marija. Das ist unser Urlaubsort. Wir müssen ihn einholen. Wir wollen auch mitfahren.«
Sie beeilten sich und erreichten Branko und die Blondine. Sie war schon in ein kleines Boot geklettert, in dem ein stoppelbärtiger Seemann hockte und den Motor ankurbelte. Branko stand noch an Land.
»Branko!«, rief Joseph. »Nimm uns mit!«
Der Angesprochene drehte sich um, erkannte Joseph und breitete abermals seine Arme aus. Er setzte ein strahlendes Lächeln auf und schloss ihn in seine Arme.
»Willkommen Josip, bravo, bravo!«, rollte er im Bass hervor.
»Das istmeine Freundin Josefine«, sagte Joseph und trat zur Seite. Branko umarmte auch sie.
Dann kletterten sie in das kleine Boot. Ivo der Seemann hatte unterdessen den alten Diesel in Gang gebracht. Sie setzten sich auf eine Bank an der Reling. Branko nahm gegenüber Platz, neben ihm saß die Blondine. Sie würdigte die Fremden keines Blickes.
Sie tuckerten los. In einer halben Stunde würden sie Sveta Marija erreichen.
2.
Heia Safari!
Mittwoch, 14. Juli
Lodernd war die riesige Scheibe der Sonne Südafrikas über der Savanne eingetaucht in eine gleißende, weißgelbe Wolke. Dahinter schimmerte sie nur noch wie erlöschendes Feuer, färbte die Wolke blutrot und verschwand dann sehr schnell, schneller als die europäischen Safarigäste dies erwartet hatten, hinter dem Horizont. Die Akazienbäume ragten noch eine Weile schwarz gegen den Himmel, der sich jetzt rasch verdunkelte und die Silhouetten der Bäume verschluckte.
Auf einer sandigen Rasenfläche vor den Lodges hatten sich die Teilnehmer der Flugsafari im Kreis auf bequeme Klappstühle gesetzt. In der Mitte des Platzes kümmerte sich der Ranger um das Lagerfeuer. Er warf klobige Stämme in die Flammen,