Das Mainzer Schloss. Группа авторов
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Über alle diese Räume sollte offensichtlich auch das Mainzer Kurfürstenschloss durch den Anbau zunächst des neuen Südostflügels von 1628 ff. verfügen und dabei nicht nur dem französischen Vorbild folgen, sondern in besonderer Weise auch dem Vorbild des kaiserlichen Hofes in Wien, der das französische Raumsystem bereits adaptiert und dabei zugleich modifiziert hatte. Wie ein Blick auf den aus der Zeit um 1700 überlieferten Grundriss (Taf. 24) des Mainzer Schlosses zeigt,44 befand sich im ersten Obergeschoss des Ostflügels neben dem Gardesaal (Salle des Gardes) und dem für die herrschaftlichen Essen vorgesehenen „Tafelzimmer“ auch das Appartement des Kurfürsten (Abb. 23)45, das, und darauf sei hier ausdrücklich hingewiesen, nicht einfach nur eine Privatangelegenheit war, sondern vor allem staatsrepräsentativen Zwecken diente. Dieses Appartement bestand aus insgesamt sieben Räumen, die sich in eine linke und rechte Raumfolge gliederten. Betreten wir das Appartement – wie es für die Gäste vorgesehen war – vom Tafelzimmer aus, dann betrat man zunächst das Vorzimmer, die Anti-Chambre, um von dort weiter in das Audienzzimmer zu gelangen, sofern der Kurfürst einen dort zu empfangen gedachte. Wer bis ins Audienzzimmer gelangt war, konnte – vorausgesetzt der Rang und die politische Bedeutung waren hoch genug – darauf hoffen, weiter in die Kabinetträume und das kurfürstliche Schlafzimmer vorgelassen zu werden, das nicht nur praktische, sondern auch zeremoniell-repräsentative Aufgaben zu erfüllen hatte. Linkerhand des Schlafzimmers befand sich der Raum für den Kammerdiener, was der französischen „Garderobe“ entsprach. Vom Schlafzimmer aus gelangte man in einen ersten exklusiven Kabinett-Raum, der den Gast zugleich – sofern er dort Zugang erhielt – auf den repräsentativen Höhepunkt dieser Raumfolge vorbereiten sollte: ein „Spiegel-Zimmer“. Entsprechend der damals in Frankreich aktuellen Mode waren die Wände dieses Raumes mit vielen kleinen Spiegeln verkleidet, auf denen, so darf vermutet werden, auf Konsolen wertvolle Stücke aus der Kunstkammer oder aber – in späteren Zeiten – auch ostasiatische Porzellane präsentiert wurden. Und noch eine weitere Auszeichnung erfuhr dieser Raum: Wie auch das benachbarte Oratorium besaß er einen Eckerker, aus dem sich einstmals sicherlich sehr schöne Aussichten auf den Rhein und den Burggraben boten, während man heute aus diesen Räumen auf die mehrspurige Rheinstraße blickt und der Rhein hierdurch und durch die anschließende Uferpromenade nur noch entrückt wahrgenommen werden kann. Ob das Mainzer Spiegelzimmer auch schon 1628 vorgesehen war oder erst eine Veränderung des späten 17. Jahrhunderts darstellt, lässt sich nicht mehr sicher rekonstruieren, da wir über keine Grundrisse des frühen 17. Jahrhunderts verfügen, sondern nur über diejenigen um 1700. Die von Lothar Franz von Schönborn gegründete Spiegelmanufaktur in Lohr kann jedenfalls nicht unbedingt als terminus post quem gelten, wäre es doch für den Fürstbischof möglich gewesen, Spiegelglas aus anderen Manufakturen (so etwa aus Paris) zu beziehen. Neben diesen vor allem zeremoniell genutzten Räumen gab es auch noch ein für Andachtszwecke vorgesehenes Oratorium, das entweder direkt vom Audienzzimmer aus oder über das Spiegelzimmer erreicht werden konnte.
Wie sehr es für die Mainzer Kurfürsten notwendig war, die Raumfolgen stets auf einem für die Staatsgeschäfte aktuellen Niveau zu halten, belegt im Übrigen die Planungsvariante eines Grundrisses für das erste Obergeschoss des erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts realisierten Nordflügels. Dieser Grundrissentwurf (Taf. 30) stammt aus einem größeren nicht verwirklichten Projekt von 1749, für dessen zeichnerischen Entwurf Anselm Franz Freiherr von Ritter zu Groenesteyn verantwortlich zeichnete. Bei diesem Projekt war auch für die Martinsburg ein Neubau vorgesehen, der aber – vermutlich aus den oben genannten Gründen – nie umgesetzt wurde.46 Wer sich in diesen Grundriss vertieft, wird feststellen, dass hier um die Mitte des 18. Jahrhunderts komplette Parade-Appartements vorgesehen waren, die einen Vergleich mit den zeitgleichen Parade-Appartements der kaiserlichen Wiener Hofburg nicht zu scheuen brauchten. Das Parade-Appartement im Nordflügel (Abb. 24)47, dem ein als Kurfürstliches Tafel-Zimmer bezeichneter Raum vorgelagert werden sollte, war als Appartement des Kurfürsten vorgesehen und sollte offensichtlich das ältere Appartement im Ostflügel ersetzen. Im Unterschied zu diesem verfügt das neue, im Nordflügel vorgesehene Appartement nun gleich über zwei Anti-Chambres und zwei Kabinetträume (ein Sommer- und ein Winter-Kabinett) sowie – neben Audienz- und Schlafzimmer – auch über ein eigenes Wohn-Zimmer. Wie auch schon beim Ostflügel kennzeichneten die beiden Kabinett-Räume Eckerker mit entsprechend schönen Ausblicken, die in diesem Fall auf den Schlossgarten ausgerichtet werden sollten.
Abb. 23: Mainz, Martinsburg und neuer Schlossflügel, Grundriss des 1. Obergeschosses, um 1700, Ausschnitt mit dem Appartement des Kurfürsten
Abb. 24: Anselm Franz Freiherr von Ritter zu Groenesteyn, Ausschnitt (kurfürstliches Appartement) aus dem Grundrissplan des 1. Obergeschosses (vgl. Taf. 30) für die nicht realisierte Erweiterung des Mainzer Schlosses, um 1749
Abb. 25: Anselm Franz Freiherr von Ritter zu Groenesteyn, Ausschnitt (Gäste-Appartement?) aus dem Grundrissplan des 1. Obergeschosses (vgl. Taf. 30) für die nicht realisierte Erweiterung des Mainzer Schlosses, um 1749
Doch nicht nur der gesteigerte Raumaufwand des kurfürstlichen Appartements im Nordflügel fällt bei der Analyse der Entwurfszeichnung von Anselm Franz Freiherr von Ritter zu Groenesteyn ins Auge (vgl. Taf. 30), sondern auch die Raumfolge des gegenüberliegenden Flügels, der anstelle der mittelalterlichen Martinsburg neu entstehen sollte. Dieser vom Nordflügel durch den Garde-Saal getrennte Bereich des Schlosses (Abb. 25)48 besitzt im Prinzip die gleiche Raumfolge wie das kurfürstliche Appartement, nur sind hier alle Räume hintereinandergeschaltet. Da wir nicht annehmen können, dass der Mainzer Kurfürst gleich über zwei für zeremonielle Anlässe geeignete Appartements verfügte, stellt sich die Frage, wer für dieses zweite Parade-Appartement als Nutzer vorgesehen war. Das Vorhandensein von zwei Parade-Appartements erinnert an die Doppelstrukturen in anderen bedeutenden fürstbischöflichen Residenzen, wie das kurz zuvor nach Plänen von Balthasar Neumann und Lukas von Hildebrandt erbaute Residenzschloss der Würzburger Bischöfe. Dort existiert neben dem fürstbischöflichen Appartement noch ein solches für den Kaiser. Ich möchte daher auch für Mainz einen hochstehenden Gast, möglicherweise den Kaiser selbst, dessen Stellvertreter im Reich immerhin der Mainzer Kurfürst als Erzkanzler war, zur Diskussion stellen, selbst wenn sich in den Quellen dazu keine entsprechenden Hinweise finden lassen. Doch diese weitreichenden Neubaupläne des Anselm Franz Freiherr von Ritter zu Groenesteyn wurden nie realisiert, und so fand unter Kurfürst Johann Friedrich Carl von Ostein nur der Nordflügel zwischen 1750 und 1752 zu seiner Vollendung. Als neues Gästeappartement könnte daher das bisherige Appartement des Kurfürsten im Ostflügel genutzt worden sein.
Die alte Martinsburg hingegen blieb auch die folgenden Jahrzehnte als Sinnbild und architektonische Verkörperung des Mainzer Erzstifts bestehen und sollte zuletzt unter Kurfürst Friedrich Karl Joseph von Erthal im späten 18. Jahrhundert sogar nochmals aufwendig im Inneren umgebaut49 und auf diese Weise den Anforderungen der beiden letzten in Mainz amtierenden und residierenden Kurfürsten – nach Friedrich Karl Joseph von Erthal folgte noch Karl Theodor von Dalberg, bevor Napoleon das Erzstift auflöste – angepasst werden. Erst nach der Aufhebung des Mainzer Kurfürstentums im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 und nach der Umwandlung des Mainzer Residenzschlosses in ein Zollfreilager unter Napoleon war das Schicksal der Martinsburg besiegelt und musste 1809 der Anlage eines Zollfreihafens am Rhein weichen.