Mara und der Feuerbringer. Tommy Krappweis
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Mara bemerkte, dass sie unbewusst die Hände gefaltet hatte, blieb aber noch ein paar Minuten genauso stehen und schwieg.
Erst als sich irgendwann ihr ewig schlecht gelaunter Nachbar Herr Dahnberger mit zwei Mülltüten aus der Tür schälte und dabei unterdrückt schimpfend versuchte, seinen Hausschlüssel für das Mülltonnenhäuschen aus der Hosentasche zu fischen, drehte sie sich um und ging zurück ins Haus.
Was schade war, denn so verpasste sie das Lied, das die Blätter der Esche genau in dem Moment anstimmten, als sich hinter Mara die Haustür schloss …
Eine Esche weiß ich,
heißt Yggdrasil,
den hohen Baum netzt
weißer Nebel;
davon kommt der Tau,
der in die Täler fällt.
Immergrün steht er
über Urds Bunnen.
Schon auf der Treppe prasselten all die Gedanken auf Mara ein, die sich durch ihre Entdeckung im Internet ergaben – und zwar mit einer solchen Wucht, dass sie weiche Knie bekam.
Sie brauchte Hilfe. Aber von wem? Und wenn sie diesen Jemand gefunden hatte, was zum Teufel sollte sie ihm denn sagen? Hallo, ein Zweig schickt mich und ich muss einen Typen in einer Höhle fesseln. Oder was?!
Okay, es war auf jeden Fall eine ganz schlechte Idee, ihrer Mutter von alldem zu erzählen, denn zwei Dinge konnten passieren: Entweder Mama glaubte ihr kein Wort und das Ganze wurde peinlich. Oder Mama glaubte ihr alles, beschloss zu helfen, das Ganze wurde noch peinlicher und ging fürchterlich schief.
Nein, Mara musste woanders nach Hilfe suchen und klemmte sich dafür noch einmal hinter Mamas Notebook. Über die Seite mit den Wikinger-Übersetzungen gelangte sie schnell zu einem Wikipedia-Eintrag, in dem von germanischer Mythologie die Rede war.
Den Begriff Mythologie kannte Mara. Den hatte sie schon mal gehört, als sie in der Schule die alten griechischen Sagen von Herkules und Göttern wie dem Blitzeschleuderer Zeus und seiner Frau Hera durchgenommen hatten. Und germanisch hatte sicherlich was mit Germany, also Deutschland, zu tun. Ja klar! Also war germanische Mythologie so etwas wie die Göttersagen ihrer Vorfahren. Davon hatte Mara bisher allerdings noch nie gehört oder zumindest erinnerte sie sich nicht daran. Über den Griechen Herkules gab es ja immerhin schon mal einen Zeichentrickfilm, aber über germanische Götter?
Anscheinend sind diese Damen und Herren wohl ziemlich tief in der Versenkung verschwunden und haben heutzutage nichts mehr zu melden, dachte Mara. Doch wie um das Gegenteil zu beweisen, winkten ihr plötzlich zwei Wörter aus einer Liste mit germanischen Götternamen zu, die ihr wenigstens ein bisschen bekannt vorkamen: Odin und Thor.
Woher kenn ich das? Aus Asterix vielleicht? Nee, die sagen ja immer »beim Teutates«, überlegte Mara. Komisch, warum weiß ich mehr über die alten Götter der Gallier und Griechen als über die aus unserer Gegend?
Umso erstaunter war sie, als sie nur ein paar Mausklicks weiter erfuhr, dass diese alten Götter und ihre Kollegen auf jeden Fall vier bleibende Eindrücke hinterlassen hatten: Die Wochentage!
Genauer gesagt: die Namen der Wochentage. Wie Mara mit wachsendem Interesse lesen konnte, hieß der Donnerstag nicht etwa so wegen des schlechten Wetters, sondern wegen des Donnergottes Thor, auch Donar genannt. Eigentlich hieß es also Donars Tag! Oder im Englischen Thursday, also Thor’s Day!
Ein Gott namens Týr hatte wohl dem Týrsdag, dem Dienstag, seinen Namen gegeben. Dafür geht der englische Wednesday auf Wodan zurück, wie der Gott Odin auch genannt wird. Dessen Frau Frigg war wiederum Namensgeberin für den Freitag.
Wow!, dachte Mara erstaunt, warum sagt einem das eigentlich keiner? Kann mich nicht erinnern, das in der Schule mal von irgendeiner Overhead-Folie abgeschrieben zu haben.
Also hatte es wohl doch nichts damit zu tun, ob man am Dienstag Dienst oder am Freitag frei hatte. Und bedeutete dann wohl auch, dass am Samstag nicht das Sams kam. Eigentlich schade.
Auf jeden Fall wusste sie jetzt, dass sie nach den Begriffen germanisch, Mythologie und Seherin zu suchen hatte. Gedacht, getan, und so stieß sie ziemlich schnell auf einen Text, in dem von einer sogenannten Völva die Rede war. Okay, das war zwar erst einmal nur ein weiteres Wort für die Unbekannten-Liste, aber Mara spürte, dass sie auf der richtigen Spur war. Darunter standen gleich mehrere Bedeutungen: Schamanin, Zauberin, Prophetin, Wahrsagerin … und Hexe!
Hilfe! Was macht Mamas verrückte Frauengruppe in meinen Nachforschungen! Bitte sag, dass die nix mit mir zu tun haben!, dachte Mara, ohne zu wissen, an wen sie diese Bitte eigentlich gerade gerichtet hatte.
Wer-auch-immer war aber offensichtlich nicht bereit, Mara diesen Wunsch zu erfüllen. Denn etwas weiter unten in dem Text war doch tatsächlich von einer Spákona die Rede: Weit verbreitet war dagegen »die Frau, die sieht«, eine Seherin – die etwas schwächer begabte Spákona.
Eine Spákona war also so was wie eine Seherin und eine Art Vorfahrin der Hexen? Mara blickte von dem Bildschirm auf. Ihr Atem ging plötzlich schneller. Sie sollte eine Hexe sein? Gerade sie? Eine Hexe?
Bedeutete das, dass sie ab sofort mit ihrer Mutter ins Wicca-Café gehen, alberne Flatterklamotten tragen, Trommelstunden und Auren-Kurse durchleiden musste?
Mara stützte den Kopf auf beide Hände und stierte aus dem Fenster, während sie grübelte. Mamas Frauengruppe, die Wiccas von der Au, betonten immer wieder, dass die Hexen der sogenannten »alten Zeit« keine zauberkräftigen Schrumpelweiblein mit Hunger auf gemästete Hänsels gewesen seien, sondern weise Frauen, die sich auskannten mit Kräutern und Naturheilverfahren. Denen habe allerdings die Kirche aus Furcht vor Konkurrenz irgendwann allerlei Teufeleien angedichtet. Auch die schrecklichen Hexenverbrennungen im Mittelalter waren eine Folge davon.
Mara hatte sich anfangs auch für die Wiccas und ihre Geschichte interessiert. Doch dann hatte Mama sie mal zu einem der Treffen mitgenommen und ihr Interesse hatte sich schnell verwandelt in eine Art mitleidige Fassungslosigkeit.
Abgesehen von samstäglichen Hirni-Seminaren, montäglichem Chakra-Trommeln und diversen wöchentlichen Einzelkursen traf man sich nämlich auch noch jeden Donnerstagnachmittag im »Auer Wicca-Café«. Unter anderem, um sich dort von seltsamen Heinis für viel zu viel Geld irgendwelchen wertlosen Esoterik-Plunder andrehen zu lassen. Mara war auch hier gezwungenermaßen ein paarmal mit dabei gewesen. Für sie wirkte das Ganze wie eine Art Kaffeekränzchen mit Showeinlage und anschließendem Shoppingzwang: Jeden Donnerstag luden die Wiccas einen neuen Klangschalen-Schamanen, Wünschelrutengänger, Aus- oder Einpendler zu sich ins Café ein. Dem hörten sie dann eine Stunde lang mit aufgerissenen Augen andächtig zu. Sie saßen einfach nur da, tranken komischen Tee mit zu viel Schwebeteilchen und nickten wissend, während der Schwätzer der Woche seinen ganz speziellen Einblick in die Mechaniken des Multiversums mit ihnen teilte. Und ganz am Ende zauberte jeder dieser Laberkekse natürlich irgendein einzigartiges Kleinod aus seinem Koffer, das einem die gleiche Weisheit ermöglichen würde. Natürlich zum Vorzugspreis.
Mara