Mara und der Feuerbringer. Tommy Krappweis
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Und was hatte sich Mama von diesen Typen nicht schon alles andrehen lassen! Die lächerliche Drahtpyramide zum energetischen Frischhalten von Obst hatte zum Beispiel irrsinnige 84 Euro gekostet! Und das war noch ein Schnäppchen gewesen im Vergleich zu der CD mit dem schlecht gemalten Dreieck darauf, die Mara eines Tages in ihrem Kopfkissenbezug gefunden hatte. Mama hatte ihr erklärt, es handle sich um eine sogenannte Celtic Energy Disc™ … Sie würde ihr helfen, traumatische Erlebnisse während des Schlafes besser zu verarbeiten. Ja, klar.
Mara wusste natürlich, dass das Mamas unbeholfene Art war, Hilfe anzubieten, weil Mara ihren Papa so schmerzlich vermisste.
Mara wusste aber auch, dass eine Celtic Energy Disc™ nur dann etwas bewirkte, wenn man ganz fest an sie glaubte und sich dabei nicht allzu blöd vorkam.
Mara wusste aber noch etwas, und zwar, dass sie ihre Mutter sehr traurig machen würde, wenn sie ihr erklärte, dass es sich bei den wahnsinnigen EINHUNDERTACHTUNDACHTZIG EURO für einen CD-Rohling mit draufgemaltem Dreieck um rausgeschmissenes Geld handelte …
Also steckte sie die Celtic Energy Disc™ wieder zurück in ihr Kopfkissen und bedankte sich bei ihrer Mutter so echt, wie es irgendwie ging, für das tolle Geschenk.
Nein, die kaufwütigen Tupper-Hühner vom Wicca-Café waren wirklich nicht die Art Hexen, die Mara jetzt weitergeholfen hätten.
Während sie so hin und her überlegte, hatte Mara gedankenverloren weiter nach unten gescrollt. Ohne wirklich zu wissen, warum, klickte sie nun auf einen Link zu einer Seite über Nordgermanische Religion und landete auf dem Wikipedia-Eintrag zu Germanischen Gottheiten.
Und dort fand sich etwas, das Mara auf eine Idee brachte: Namen! Aber nicht die irgendwelcher Wochentagspatrone, sondern die Namen von hundertprozentig real existierenden Personen, die sich mit diesem Thema beschäftigten! Deren Arbeiten hatten offensichtlich als Grundlage für die Online-Artikel gedient. Leute, die man fragen konnte! Natürlich, dachte Mara aufgeregt. Das ist doch viel besser, als wenn ich versuche, weiter das ganze Internet zu lesen! Ich frag’ einfach wen, der sich damit auskennt!
Doch Mara war etwas erstaunt, als sie den ersten Namen las: Jakob Grimm? Und tatsächlich: Nur einen Klick entfernt erfuhr sie, dass es sich tatsächlich um den »Märchen-Grimm« handelte, der zusammen mit seinem Bruder Wilhelm die berühmte Märchensammlung herausgegeben hatte. Und dieser Jakob Grimm hatte also ein Buch über deutsche Mythologie geschrieben? Interessant, aber im Moment nicht sonderlich hilfreich, denn Jakob Grimm war nicht nur eine ziemlich spannende Persönlichkeit, sondern leider auch ziemlich tot, und zwar seit knapp hundertfünfzig Jahren. Mist.
Der nächste Name auf der Liste lautete Karl Simrock. Immerhin erst seit hundertvierzig Jahren tot. Wir kommen der Sache schon näher, dachte Mara und scrollte durch die Liste, bis sie endlich auf einen Namen stieß, der zwar ein Geburtsdatum verzeichnet hatte, aber keinen Todestag! Dieser Professor Reinhold Weissinger war am 12. März 1954 geboren. Somit war er deutlich jünger als Jakob Grimm und allem Anschein nach auch deutlich weniger tot!
Maras Herz machte förmlich einen Sprung, als sie nur einen Mausklick später erfuhr, dass dieser Reinhold Weissinger Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München war!
Das ist ja nur ein paar U-Bahn-Stationen entfernt!, dachte Mara begeistert. Doch nun kämpfte sie sich erst einmal durch einen endlos scheinenden Kettensatz, in dem das Forschungsgebiet des Mannes beschrieben war: germanische Mythologie und Religion, mittelalterliche Sprachen und Kulturen Skandinaviens, Renaissance des 12. Jahrhunderts und ihre Literatur, religiöse, mystische und visionäre Texte des Hochmittelalters, volkssprachliche Wissenschaftstexte des Mittelalters mit besonderem Blick auf die Naturwissenschaften, spätmittelalterliche Reise- und autobiografische Literatur sowie Literatur in den geografischen Randgebieten des (heutigen) deutschen Sprachraums …
Puh. Na, wenn der nicht wusste, was man als frischgebackene Spákona so zu tun hatte und wie man dafür sorgte, dass ein mythologischer Halbgott gefälligst da blieb, wo er war – wer dann?
Mara fuhr den Laptop herunter, klappte ihn zu und deckte ihn wieder sorgsam mit den Zeitschriften ein. Dann verstaute sie auch das Netzteil wieder in dem ach so geheimen Versteck unter dem Fernseher. Und gerade als sie die Schublade zugeschoben hatte, hörte sie das bekannte Geräusch von Mamas Schlüssel an der Wohnungstür.
Einer Ahnung folgend verschwand Mara so schnell wie möglich in ihrem Zimmer und zog leise die Tür hinter sich zu. Kurz darauf hörte sie, wie ihre Mutter den Flur betrat. Was machte sie denn so früh wieder zu Hause?
Da klopfte es bereits an Maras Zimmertür, und ohne eine Antwort abzuwarten, steckte Mama auch schon ihren Kopf herein. So war sie eben.
»Mara? Maraschatz? Bist du wach?«
Mara drehte sich betont unschuldig auf ihrem Drehstuhl herum und klappte ein Heft zu. »Na klar, schon lange. Mach gerade Mathe«, sagte sie. »Wie war’s denn bei den Hexen?«
Dann stand sie auf und drängte sich an ihrer Mutter vorbei in den Flur, um davon abzulenken, dass außer dem Erdkundeheft auf ihrem Schreibtisch nichts lag als ein Bleistift und eine vollgemalte Schreibunterlage.
Mama setzte ein tadelndes Gesicht auf: »Nicht Hexen, Mara! Wie oft muss ich dir das noch sagen? Das Wort Hexen ist ein dummes Schimpfwort von Leuten, die Angst vor Frauen haben, die mehr können als kochen, putzen und bügeln! Wir nennen uns Wiccas, und das weißt du ganz genau!«
»Hm. Aber jede Frau kann doch mehr als kochen, putzen und bügeln, oder? Sind dann alle Frauen Wiccas?«, fragte Mara so unschuldig wie sie nur konnte, während sie sich einen Apfel unter der Drahtpyramide herausfischte.
War Mama verwundert, dass ihre Tochter sich plötzlich für die Wiccas interessierte? Wenn ja, dann ließ sie es sich nicht anmerken.
»Nein, natürlich nicht!«, antwortete sie. »Eine Wicca ist man nur, wenn man besondere Fähigkeiten hat!«
Mara schnitt von dem Apfel die braune Druckstelle ab, die die Drahtpyramide darauf hinterlassen hatte, und versuchte, möglichst beiläufig zu klingen, als sie fragte: »Besondere Fähigkeiten? Was für Fähigkeiten denn?«
Anscheinend war diese Frage für Mama gar nicht so einfach zu beantworten, was aber nicht hieß, dass sie es nicht trotzdem versuchte: »Na ja … also … eine Wicca kann zum Beispiel … sie spürt, wenn … sie spürt eben mehr als … mehr als ein Mann zum Beispiel.«
Na hurra! Mama hatte es also mal wieder geschafft, ohne viele Umwege auf ihr Lieblingsthema zu kommen: Männer. Und wie so oft würde sie auch gleich eine Überleitung zu ihrem zweiten Lieblingsthema finden: Papa.
Mara seufzte tonlos, während Mama weitersprach: »Weißt du, Maraschatz, Männer spüren im Vergleich zu Frauen sowieso sehr wenig und sind auch nicht so empfänglich für … Dinge. Insgesamt. Und dadurch kann eine Wicca … also dadurch ist sie … einem Mann überlegen. In vielen Dingen. Das kannst du mir ruhig glauben, und vielleicht sagst du das deinem Vater auch mal, aber der ruft ja eh nicht mehr an!«
Mama hatte ganze vier Sätze gebraucht, um von Wiccas über Männer allgemein bei Papa zu landen, und ganz nebenbei hatte sie auch noch das ewige Streitthema mit dem Anrufen mit eingebaut. Nicht schlecht.
Mara schluckte eine direkte Antwort