Mara und der Feuerbringer. Tommy Krappweis

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Mara und der Feuerbringer - Tommy Krappweis

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die Echtheit einer Karnevalsmaske verlieh. Aber Mama schien die lahme Vorstellung trotz allem überzeugt zu haben. Sie nickte.

      »Na gut, aber bitte sei nicht so laut beim Üben. Du weißt doch, dass sich Herr Dahnberger von nebenan bei jeder Kleinigkeit beschwert. Und bitte mach den Lattenrost nicht kaputt, der war teuer.«

      Mit diesen Worten schloss sie endlich die Tür. Ja, manchmal hatte es fast den Anschein, dass Mama nur sah, was sie sehen wollte.

      Mara wartete, bis sich die Schritte ihrer Mutter durch den Flur entfernt hatten und sie die Tür zum Wohnzimmer anschlagen hörte. Erst dann wendete sie sich wieder ihrem Gast auf dem Schreibtisch zu.

      »Warum hast du das getan?«, fragte der Zweig.

      »Was hätte ich denn sonst tun sollen?«, entgegnete Mara. »Die Wahrheit sagen?«

      »Das meinte ich nicht«, sagte der Zweig. »Du hast dich gegen meine Botschaft gesperrt!«

      »Ja, das habe ich«, antwortete Mara scharf. »Und ich sage dir auch warum – und zwar, obwohl ich genau weiß, dass man sich mit Zweigen nicht unterhalten kann. Ich ignoriere das jetzt nur im Moment, weil ich nicht weiß, was ich sonst machen soll!«

      Der Zweig antwortete nicht, aber Mara war ja auch noch nicht fertig.

      »Es ist nämlich so: Ich will keine Visionen! Verstehst du das, äh … Zweig? Ich träum ständig irgend so einen Blödsinn und es nervt mich! Ich kann mich in der Schule kaum konzentrieren, weil ich immer wieder diese albernen Tagträume habe. Ich schau aus dem Fenster, sehe die Wolken und träum sofort irgendwas von einem Baum, der so hoch ist, dass er bis in die Wolken ragt, und wie ich daran hochklettere und die Zeit oberhalb der Wolken rückwärtsläuft. Ich schaue absichtlich woandershin, zum Beispiel auf das Hochhaus gegenüber, und sehe plötzlich den Wind, wie er lauernd um das Haus streicht, immer schneller wird und dabei zu einem Sturm anwächst. Alle in dem Hochhaus haben Angst vor ihm. Dabei will er nur das Feuer in der Wohnung eines alten Mannes ausblasen, bevor es auf die Vorhänge übergreift! Aber der Wind schafft es nicht, das Fenster zu öffnen, und wird deswegen immer stärker! Ich vertreibe auch das aus meinem Kopf, schaue auf die Straße und stelle mir im nächsten Moment vor, wie es wohl aussehen würde, wenn die Menschen von heute auf morgen verschwinden, und sehe, wie der VW Käfer von meinem Mathelehrer in hundert Jahren von Büschen und Bäumen überwuchert ist und darauf kleine Wolfsjunge fangen spielen! Und dann fragt mich der Lehrer irgendwas, und ich weiß plötzlich nicht einmal mehr, wo ich überhaupt bin!«

      Mara wusste, dass die Zeit knapp war, aber sie konnte trotzdem nicht aufhören zu reden.

      »Kein Wunder, dass mich alle komisch finden! Die halten mich für einen Freak! Und jetzt kommst du auch noch und erzählst mir, dass ich wirklich einer bin! Eine Dings nämlich, eine … Spákona, die mit Pflanzen spricht und wo du auch nicht weißt, ob du mir gratulieren oder Beileid wünschen sollst, und auch dafür vielen Dank! Auf jeden Fall steh ich dann ab morgen im Pausenhof vor irgendwelchen Bäumen, warte, bis die mit ihrer Begrüßung durch sind, merk nicht mal, wie sich alle über mich kaputtlachen, und setz langsam Moos an, während die anderen ihr Abi machen, oder was?! Ich will aber nicht so sein! Ich will nicht, dass alle denken, ich wär nicht ganz dicht! Ich will normal sein! So wie alle anderen, verstehst du? Ich will nicht mehr die sein, auf die Larissa mit dem Finger zeigt! Und ich will nicht so sein wie …« Sie unterbrach sich gerade noch rechtzeitig, bevor sie »meine Mutter« sagen konnte.

      Stille trat in Maras Zimmer ein. Obwohl sie ihren gesamten Monolog im Flüsterton eher gezischt als gesprochen hatte, schien es ihr, als hätte der Zweig ihre Worte durchaus verstanden. Nur die Antwort war etwas anders, als Mara sich nach dieser Erklärung erhofft hatte. Denn der Zweig sagte nur: »Man bleibt, wer man ist.«

      Mara schluckte. »Damit willst du sagen, dass man sich nicht verändern kann? Auch wenn man das unbedingt will?«

      »Unsinn«, antwortete der Zweig. »Ich verändere mich jeden Herbst, und jeden Frühling wachsen mir neue, andere Blätter. Und doch bin ich im Sommer derselbe Zweig wie im Jahr davor, egal wie sehr ich mir manchmal wünsche, eine Steckrübe zu sein.«

      »Du wünschst dir manchmal, eine St…«

      »Scherz.«

      »Ah, okay.« Mara war einfach nicht in der Stimmung für Scherze.

      »Und du«, setzte der Zweig wieder an, »du kannst dein einzigartiges Talent so lange niederkämpfen, bis es sich anfühlt, als hättest du es nie besessen. Und vielleicht wirst du dir dann sogar vorkommen, als wärst du ein anderer Mensch. Aber wisse dies, Mara, und wähle dann weise: Wenn du jetzt nicht alles tust, um deine Gabe zum Wohl von uns allen einzusetzen, wirst du später keine Gelegenheit mehr haben, dich für oder gegen irgendetwas zu entscheiden. Denn dann wirst du zusammen mit uns allen aufhören zu sein.«

      Mara hatte bereits den Mund geöffnet, um etwas zu entgegnen, aber mit dem letzten Satz hatte sie nicht gerechnet. Sie sollte ihre Gabe einsetzen, um zu verhindern, dass alle aufhörten zu sein?

      Das klang so unscheinbar, so einfach und direkt. Aber gerade deswegen war Mara so erschrocken. Sie bemerkte, dass ihr linkes Bein begonnen hatte, hektisch auf- und abzuwippen, und befahl ihm, dies zu unterlassen. Zu ihrem Erstaunen schien das Bein nicht auf sie zu hören und hopste weiter nervös auf und ab, als würde sie einbeinig Fahrrad fahren.

      »Also kann ich dich nur bitten, dich nicht zu verschließen, Mara«, beendete der Zweig seine Ansprache in eindringlichem Tonfall.

      Mara schwieg. Was konnte man schon erwidern, wenn ein Zweig mit einem in kursiven Buchstaben sprach?

      Und dann tat sie das Einzige, was ihr in dem Moment sinnvoll erschien. Sie streckte die Hände aus, berührte noch einmal die Blätter des Zweigs und hieß die Bilder mit offenen Türen herzlich willkommen.

      Zu ihrem Erstaunen wartete diesmal kein schmerzhafter Bildersturm hinter der Berührung. Stattdessen flossen die Eindrücke sanft in ihr Bewusstsein und fügten sich dort sofort zu einem Ganzen zusammen, dessen Echtheit ihr schier den Atem raubte …

      Sie spürte steinernen Boden unter ihren Füßen … einen leichten Windhauch, der ihr über die Augen strich. Mara musste blinzeln. Sie sah sich um. Sie stand in einer Art Höhle oder eher Grotte, weiße Kalksteine hingen von der Decke und verloren sich nach oben in unergründliche Schatten. Tropfen kalkweißen Wassers rannen an ihnen herab und trafen viele Meter weiter unten auf ihre spitzen Zwillingsbrüder, die sich nach ihren steinernen Verwandten an der Decke zu strecken schienen. Ein einziger heller weißer Lichtstrahl fiel von oben in den ansonsten dunklen Raum. Er beleuchtete eine Stelle, an der man ein paar der dicken Kalksteine offenbar mit roher Gewalt schräg abgeschlagen hatte. Die schroffen Kanten wirkten so scharf, als könnten sie den Himmel von der Hölle trennen.

      Plötzlich tanzten Schatten über den Boden und in der nächsten Sekunde blickte Mara in das Gesicht eines blonden Mannes mit den wildesten und dunkelsten Augen, die sie jemals gesehen hatte. Sie standen in starkem Kontrast zu seiner hellen Haut und dem lockigen strohblonden Haar, das so lang war, dass es bis auf den Boden hinunterreichte.

      Der Mann trug einen geflochtenen Kinnbart, dessen Spitze nach oben gebogen war und ihm einen seltsam frechen Ausdruck verlieh. Außerdem lächelte er schief, und das, obwohl er wahrlich keinen Grund dazu hatte: Denn er wurde von mehreren starken Händen auf die scharfkantigen Steine gedrückt, während an seinen Armen und Beinen etwas langsam emporkletterte. Schlangen? Oder Würmer? Die seltsam nass glänzenden Bänder wirkten, als wären sie lebendig, als sie sich fast sehnsüchtig um den Körper des Mannes legten. Und darum schien es Mara auch fast wie ein Verrat,

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