Mara und der Feuerbringer. Tommy Krappweis
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Doch anstatt eine Antwort zu geben, glitt ihr der Zweig kraftlos durch die Finger in das trübe Wasser und verstummte.
Mara konnte nicht sagen, wie lange sie danach noch an ihrem Schreibtisch gesessen hatte. Sie war einfach sitzen geblieben, unfähig, auch nur ein Glied zu bewegen. Und als die Sonne bereits hinter dem gegenüberliegenden Haus verschwunden war und auf der Straße die Laternen aufflackerten, war Mara an ihrem Schreibtisch eingeschlafen.
Kapitel 4
Es war Sonntag, als Mara wieder erwachte. Sie versuchte sich zu bewegen und stellte fest, dass jeder einzelne Körperteil außer ihrem Gehirn noch im Land der Träume weilte. Mara versuchte trotzdem, sich irgendwie von dem Stuhl zu erheben, und trat ein ins Haus der Schmerzen!
Kein Muskel, der sich nicht verkrampft hatte, kein Gelenk, das nicht über Nacht eingerostet war … Mara wäre fast ein drittes Mal in 24 Stunden vom Stuhl gefallen, als ihre tauben Beine den Dienst versagten. Doch sie konnte sich gerade noch an der Tischplatte festhalten. Nein, das war sicher nicht der richtige Platz, um sich nach einem anstrengenden Tag mal so richtig auszuschlafen! Es war ja nicht mal sonderlich bequem, hier zu sitzen …
Im selben Moment erinnerte sich Mara daran, was sie geträumt hatte. Im nächsten Moment sah sie den Zweig in seinem Wasserglas auf dem Schreibtisch und im direkt darauffolgenden dritten Moment wusste sie … ja, was eigentlich? Dass auf ihrem Tisch ein Zweig in einem Wasserglas schwamm. Mehr nicht. Da fiel ihr Blick auf die Schreibunterlage vor ihr und auf das Wort, das sie gestern in ihrem Traum hastig notiert hatte.
Spákona
Okay, selbst das konnte man zur Not noch erklären. Hab ich eben im Schlaf was aufgeschrieben, na und?, dachte Mara und zuckte dazu ganz besonders gleichgültig mit den Achseln. Andere Leute liefen auf Dächern herum oder fraßen den Kühlschrank leer, ohne sich am nächsten Tag daran zu erinnern! Dagegen war ein hingekritzeltes Fantasiewort doch echt harmlos …
Trotzdem. Mara musste sicher sein. Und der schnellste Weg, um herauszufinden, ob es so etwas wie eine Spákona wirklich gab, war: Mamas Laptop.
Sie fand das ramponierte Notebook im Wohnzimmer, halb vergraben unter Mamas Zeitschriften. Aber wo war das Kabel mit dem Netzteil? Der Akku war komplett leer.
Maras Mutter hatte den Laptop vor drei Jahren gekauft, um auch »drin« zu sein. Dann hatte sie aber schnell festgestellt, dass man sich dafür länger mit der Technik beschäftigen musste als ein paar Minuten, und nach einigen wirren Mausklicks hatte sie schlagartig das Interesse daran verloren.
Mara war darüber zuerst froh gewesen, weil sie sich natürlich Chancen auf das Gerät ausrechnete. Umso erstaunter war sie aber, als Mama ihr den Umgang mit dem Laptop strikt untersagte. »Finger weg von diesem Gerät, junge Frau! Das ist kein Spielzeug und am Ende lädst du dir noch irgend so ein Dings rein!«
Die Antwort, was für ein »Dings« sie eigentlich meinte und wo genau Mara es sich »reinladen« sollte, war Mama ihr schuldig geblieben.
Also konnte Mara den Computer nur dann benutzen, wenn Mama arbeitete, bei den Wiccas war, schlief oder meditierte. Kein Problem, denn einer dieser vier Fälle traf ja meistens zu.
Mara überlegte. Es war Sonntag und die Uhr zeigte 10:12. Das bedeutete, Mama war unterwegs zu ihrer Aura-Stunde. Also mindestens noch zwei Stunden Zeit. Sehr gut! Schließlich fand sie auch das Netzteil in der Schublade unter dem Fernseher und es konnte endlich losgehen.
Einschalten, ins WLAN ihres Nachbarn einwählen (er hatte ihr das Passwort gegeben und dabei verschwörerisch in Richtung von Maras Mutter gegrinst), Internet-Browser öffnen und im Suchfenster Spákona eingeben …
Mara musste ein bisschen herumprobieren, bis sie es geschafft hatte, dass das kleine Strichlein direkt über dem a erschien und nicht etwa davor oder dahinter. Ihr Finger zitterte ein wenig, als sie mit dem Touchpad den Cursor auf Suche starten bewegte. Sie atmete einmal tief ein, hielt die Luft an und klickte.
Am liebsten hätte sie gleich noch einmal eingeatmet, denn vor ihren Augen erschien tatsächlich eine Liste mit Treffern: über 10 000! Doch weil sie dann geplatzt wäre, atmete Mara erst einmal wieder aus.
Na gut, was heißt das schon?, dachte sie. Das Wort gibts also. Na und? Es gibt viele Wörter auf der Welt und zufällig eben auch das da.
Die Frage war doch, was es bedeutete! Und da wurde die ganze Sache schon kniffliger, denn die erste Seite der Treffer war voller Wörter in fremden Sprachen. Allerdings nicht ein bisschen fremd wie zum Beispiel Englisch, sondern fremd.
Mara musterte die ungewohnten Buchstaben und ihre Kombination mit wilden Häkchen, Strichlein und Kreuzchen: væri, góðri, LÆKNAMIÐILL, und es gab kaum Hinweise, aus welchem Land diese Texte stammten.
Liest sich eher wie ein IKEA-Katalog, murmelte Mara als sie mit zusammengekniffenen Augen weiter durch die Ergebnisse scrollte.
Doch dann endlich, ganz unten auf der Seite, stieß sie auf eine Website mit deutschen Übersetzungen alter isländischer Texte über die Wikinger!
Jetzt wird’s spannend, dachte Mara, als sie die Page aufrief und fand, was sie gehofft und gleichzeitig befürchtet hatte:
Eine Frau war da in der Siedlung namens Thorbjörg.
Sie war eine Seherin …
Und darunter stand das isländische Original:
Sú kona var þar í byggð, er Þorbjörg hét.
Hon var Spákona …
Mara verglich die beiden letzten Zeilen miteinander:
Hon var Spákona …
Sie war eine Seherin …
Verdammt.
Seltsamerweise dachte Mara nicht zuerst an die Konsequenzen, die das für sie selbst hatte, sondern lief zurück in ihr Zimmer zu dem Wasserglas. Dort fischte sie den Zweig vorsichtig aus dem trüben Wasser, wickelte ihn behutsam in eine rote Serviette und trug ihn dann hinaus ins Freie.
In dem kleinen Hinterhof, den sie von ihrem Fenster aus sehen konnte, grub sie mit den Händen ein kleines Loch in die Erde neben der großen Esche. Dort hinein legte sie den eingewickelten Zweig und deckte das Loch sorgfältig wieder zu. Sie gab sich Mühe, die Grasbüschel wieder so festzudrücken, dass man nicht mehr erkennen konnte, ob jemand hier etwas vergraben hatte. Man wusste ja nie …
Danach stand sie eine Weile vor dem unsichtbaren Grab und schwieg. Sie sah hinauf in die Blätter der Esche und irgendwie war ihr, als hörte sie ein leises, unglaublich tiefes Brummen. Melodisch irgendwie und auch beruhigend. Die Blätter raschelten leise im Wind, aber sie sprachen nicht mit ihr. Schließlich war dies ja auch ein Begräbnis und Mara war gerade nicht nach Konversation zumute.