Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich

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Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich

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besseren Überblick zu haben.

      Die Tanzfläche war schon fast leer und spiegelte die beiden mächtigen Glaslüster, in Erwartung der Paare, die sich nach der Musik auf der Glätte des Bodens bewegen sollten. Die Logen hatten sich gefüllt, um jeden Tisch schloß sich ein Kreis der Gäste; rings schien kein Stuhl mehr frei. Die Kellner liefen umher und nahmen die Bestellungen entgegen. Mit leicht vorgeneigten Schultern und Köpfen unterhielten sich die Herren und Damen über die Tische hinweg, auf denen steife Weinkarten von möglichen Genüssen erzählten. Das Schwarz der Smokings und einiger Fräcke überwog. Die Damen waren in der Minderzahl und schieden sich für das Auge leicht in die beiden Gruppen der Berufstätigen – Stenotypistinnen, Sekretärinnen – und der Ehefrauen, die mit ihren Gatten gekommen waren. Trotz des gewagten Dranges, mit dem die Fülle der Lundheimer aus dem prall sitzenden großgeblümten Überzug hervorquellen wollte, trotz des stark geschminkten Gesichtes der kleinen Schmock überwog das Schlichte und Solide unter den Ballteilnehmerinnen durchaus.

      Neben netten jungen und älteren Frauen, denen die Lebensfrische der kleinstädtischen Herkunft anzusehen war, fand das Auge einige auffallend gute Erscheinungen.

      Die Musik intonierte den einleitenden Schlager. Der erste Geiger war ein feingliedriger, südländischer Menschentyp. Seine empfindsamen Hände schienen die Töne zu fühlen und mit ihnen zu spielen; durch seinen ganzen Körper ging der Rhythmus des Taktes; sein scheitellos gelegtes dunkles Haar begann bei der Bewegung zum Ohr zu fallen. Wichmann beobachtete ihn; er war selbst empfänglich für alles Rhythmische und nicht unmusikalisch.

      Die Kellner brachten Weinflaschen. Alles ordnete sich zum Beginn des Festes. Der einzige verzweifelte, störende, hilflosherumirrende Punkt war das kleine Mädchen Silvia. Sie preßte noch immer die Silberlamétasche vor den Leib. Auch am Tisch der Anneli Schmock schien man endlich das Peinliche der Lage zu empfinden, und Wichmann wurde zumute, wie ihm damals als achtjährigem Jungen zumute gewesen war, als das neu erworbene Kaninchen voll Todesangst ihm seine Hände und Hosen naß machte. Er war gereizt durch das Unnütze, Ungeschickte, hilflos und voll Mitleid zugleich. Pöschko am entfernten Tisch stand auf. Seine Gestalt ragte jetzt ebenso stramm wie die Schildhaufs, dem Panzerturm eines Kriegsschiffs gleich, über das Meer der Sitzenden. Er winkte dem einsamordnungswidrigen Lebewesen auf dem Parkett heranzukommen. Aber Silvia konnte den Befehl seiner Hand nicht mehr wahrnehmen, denn schneller noch, als Pöschkos Wink erfolgte, hatte sich von der anderen Seite des Saales her etwas anderes begeben. Ein Herr mit lichtgrauem Haar kam über das Parkett. Obwohl er groß und sehr schlank war, lag in seinen Bewegungen nichts Unverhältnismäßiges oder Schwächliches. Seine Schritte waren leicht, und sein Körper war von einer Geschmeidigkeit der sicheren und unauffälligen Bewegung, die elegant wirkte. Er sprach zu dem Mädchen herab, dessen Hände die Lamétasche krampfartig mißhandelten und das ihm dann hochrot und mit steifen Beinen in die Loge folgte.

      »Himmeldonnerwetter.« Wichmann fühlte, daß Schildhauf gern lauter geflucht und mit dem Fuße aufgestampft hätte. »Das mußte ja passieren.« Der Korpsstudent und Regierungsrat im Staatsministerium setzte sich. »Grevenhagen wird uns für Kaffern halten. Es war unsere Sache, dieses Mädchen rechtzeitig vom Parkett abzuräumen.«

      »Ha, wenn Sie ein Kaffernhäuptling gewesen wären, Herr Schildhauf, dann hätten Sie sich die Sach einfacher g’macht. Da hätten Sie das Mädche ganz einfach in Ermangelung sonstiger Sitzgelegenheit auf die Speisekarte g’setzt.«

      »Als Knochenbrühe«, schlug Korts vor.

      Schildhauf schenkte Wein ein, um seinen Ärger zu überwinden.

      »Ich find’ das ja wirklich übertrieben von Grevenhagen. Die Silvia konnte zu dem Pöschko gehen, wo sie hingehört.« Lotte Hüsch war giftig.

      Wichmann sah bei den Worten ihr Gesicht, das sich in Härte und Unzufriedenheit mehr entstellte, als sie selbst ahnen konnte.

      Wichmann aber ließ mit den anderen das gehobene Glas anklingen, und während er trank, wirkte er schon wieder wie geistesabwesend.

      Das Erscheinen des Fräulein Sauberzweig wurde zu einer Fügung der Fäden spinnenden Schicksalsgöttinnen.

      Als das Eingangsstück der Musik verklungen und der erste Onestep, an dem nur wenige Paare teilnahmen, trotz dünnen Klatschens der Tanzenden nicht wiederholt wurde, wartete Wichmann darauf, daß Schildhauf Fräulein Hüsch zu dem zu erwartenden Boston auffordern werde. Der Regierungsrat erhob sich auch schon bei dem ersten Anzeichen, daß das Orchester seine Klang erzeugende Arbeit wieder aufnehmen wolle, und machte eine Verbeugung, die zwei Zentimeter tiefer war, als echte Hochachtung verlangt hätte. Aber Fräulein Hüsch gefiel sie; mit einem geübten Lächeln des Wohlgefallens schloß sie sich dem Kavalier an. Es war kein schlechtes Paar; beide waren stattlich und gut gewachsen. Nur ein klein wenig zu kurz für die Mode schien das Spitzenkleid, das die anziehend geformten Knie der Trägerin freigab.

      Auch Wichmann stand auf. Er spürte die neugierigen Blicke von Korts und Casparius hinter sich, als er quer durch den Saal steuerte, während die tanzwilligen Paare sich mehr im äußeren Rund gruppierten. Das Licht begann vor seinen Augen zu flimmern, der rote Samt der Logen schloß sich ihm zu einem einzigen dunklen Purpurleuchten zusammen, dennoch hielt er die Richtung unfehlbar genau.

      Der Ton, den ein stimmender Geigenbogen hervorlockte, verriet ihm, daß auch seine Seele eine gespannte Saite war, die singen oder zerreißen wollte. Er gewann den Gang, der hinter den Logen durchführte. Es waren vielleicht nur noch Sekunden, bis der Tanz einsetzen mußte. Das Geschwätz wurde schon leiser.

      Wichmann wußte, daß er die sechste Loge aufsuchen wollte; er hatte längst gezählt. Die Logen, gegen den Tanzsaal hin durch die Brüstung abgeschlossen, waren dem hinteren Gang zu offen. Wichmann stockte.

      Ein tief herabhängendes Tischtuch, Gläser mit goldenem Wein, dunkelgrüne hochmütige Flaschen, die über ihren Etiketten die Hälse reckten – eine mächtige Masse im Frack, gleich einem Ballvater –, daneben Grevenhagen, dessen schmales Gesicht überlegen spöttisch wirkte, und andere noch, Herren und Damen, die Wichmann jetzt nicht mehr erkennen konnte … und sie …

      Ein gedämpft geführtes Gespräch wurde abgebrochen.

      »Ah, Herr Assessor! Darf ich Sie meiner Frau vorstellen. Herr Dr. Wichmann, mein junger und hoffnungsvoller Mitarbeiter. Der Name ist dir nicht mehr unbekannt.«

      Dir … dir. Wie ein Blitzstrahl, leuchtend und erschreckend. Draußen intonierte die Musik. Die Klänge schwollen und schmolzen. Paare bewegten sich.

      Wichmann zitterte, als er die Schultern aus der Verbeugung wieder hob.

      Frau Grevenhagen hatte angenommen, daß er gekommen sei, sie zum Tanze aufzufordern er … sie … zum ersten Tanz … Wahnsinn! Schande des falschen Schritts! Er hatte geglaubt, daß sie mit ihrem Gatten oder einem der Würdenträger tanzen würde – und er wollte das Fräulein Sauberzweig … Fräulein Sauberzweig … und sie nur mit einem einzigen Blick streifen … Oskar Wichmann war nicht selbstbewußt genug und zu unerfahren, um zu durchschauen, daß Frau Grevenhagen ihn absichtlich mißverstanden hatte.

      Sie erhob sich. Irgendein Tier, das den Platz auf ihrem Nacken lieben mußte, war herabgeglitten und hütete jetzt den Stuhl, bis sie wiederkam. Sie neigte den Kopf, eine Bewegung, in der Wichmanns Vernunft erstarb. Er sah den Gatten nicht, der lächelnd aufgestanden war und den Weg für die Tänzerin freigab. Er sah Boschhofer nicht, dem der Zwicker von der Nase fiel, so daß er ihn wieder aufsetzen mußte, um die Weinkarte weiterzustudieren. Nischan sah er nicht und nicht den halb offenen Mund der Silvia. Er sah das alles nicht und sah es doch; es waren nur die Hintergründe, die dem Schöpfer heute zu ihrem Bild gefielen.

      Er ging neben ihr, den Rhythmus ihres Schrittes

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