Die Vier-in-einem-Perspektive. Frigga Haug

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Die Vier-in-einem-Perspektive - Frigga Haug

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zu sein. Die Arbeit z. B. soll niemals nach Hause genommen werden – falls dies unbestreitbar doch der Fall ist, »retten« sie sich durch Umbenennung, indem sie nicht als Arbeit bezeichnen, was sie im Kopf nach Hause tragen. Wichtiger noch ist die Umkehrung: Die Privatperson bzw. das Private an ihr soll nicht in den Betrieb. Wesentlich wird die Kontrolle von Informationen über sich selbst.

      Wieder treffen wir auf das Phänomen zunehmender Vereinzelung. Da dies als eine neue Erfahrung berichtet wird, nehmen wir nicht an, dass es »nur« ein Problem der Produktionsverhältnisse ist, sondern etwas mit den Produktivkräften, also mit dem Computereinsatz zu tun haben muss. Wir fragten nach den spezifischen Anforderungen in den computerisierten Büros bzw. den Erfahrungen der Einzelnen mit diesen Anforderungen. Trotz unterschiedlicher Arbeitsplätze stimmten die Einzelnen zunächst darin überein, dass Qualifikationsanforderungen gestiegen seien, dass mehr Wissen und Können erforderlich sei, beurteilten dies aber negativ. Auf unsere Anschlussfrage, wie denn dieses erforderliche Wissen vermittelt werde, kam bemerkenswert wenig. Das Wenige verwies uns zudem auf die Geschlechterverhältnisse. Es gab Einführungskurse, insbesondere für die Männer. Frauen eigneten sich das erforderliche Know-how meist während der Arbeit an. Gibt es nennenswerte Formen der Weiterbildung für den Umgang mit Computern? Diese Frage stieß nahezu auf Unverständnis; d. h. die Anzahl derer, die nicht geantwortet haben, war besonders hoch. Da Weiterbildung bislang eine übliche Form des innerbetrieblichen Aufstiegs war, versuchten wir in Gruppeninterviews diese Form des Lernens zur Diskussion zu stellen. Dabei kamen wir zu dem überraschenden Ergebnis, dass die nächtliche Aneignung von Computerhandbüchern, das heimliche Lernen nach Feierabend von den Betroffenen überhaupt nicht als eine Form von Bildung begriffen wurde. Vielmehr erfuhren sie dies als Ausgleich von Charakterdefiziten, den sie vornehmen müssten, um auf dem enger werdenden Arbeitsmarkt verkäuflich zu sein bzw. im Betrieb nicht zu den Aussortierten zu gehören.

      Learning by Doing ist keine sehr gute Form des Lernens, wenn die Tätigkeitselbst nicht alltagsverständig strukturiert ist. Computerarbeit folgt einer anderen Logik als der des Alltags. Dies erfordert einen Umgang, der sich gewissermaßen theoretisch über die Arbeitsvollzüge erhebt, den Computer selbst als »dumm« erkennt und sich also zum Computer »denkend« verhält. Eingewiesen über unzureichende Einführungskurse, die sie zudem zu einem Zeitpunkt bekommen, zu dem die männlichen Kollegen schon das erforderliche Know-how besitzen, und da sie selbst abends meist keine Zeit haben, das Versäumte nachzuholen, reagieren die Frauen mit Panik. Sie lernen die Befehle auswendig mit der Konsequenz, dass sie wie in einem Gefängnis unverstandener, jederzeit drohender Katastrophen arbeiten. Wir fanden eine Menge Hinweise, warum es insbesondere die Frauen sind, die in den verschiedenen Ländern die alarmierenden Unverträglichkeiten melden.

      Sind Frauen vielleicht generell an den geringer qualifizierten Arbeitsplätzen und von daher belasteter als ihre männlichen Kollegen? Da wir in unserer Untersuchung einen relativ hohen Anteil an männlich besetzten Eingabeplätzen fanden und da die Frauen zudem den Bereich der Dialogbearbeitung fast zur Hälfte innehatten, waren wir nicht versucht, uns vorschnell mit diesem Argument zufriedenzugeben. Im Feld der Vorurteile prüften wir eine weitere gängige Erklärung: Frauen seien technikfeindlich. Eine Aversion gegen Technik überhaupt könnte sowohl Angst wie eine Schwierigkeit beim Lernen und ein allgemeines Problem mit Bildschirmarbeit begründen. Es gab in unserem – immerhin 240 Arbeitsplätze umfassenden – Sample nur sehr wenige Männer oder Frauen, die der neuen Technologie an ihrem eigenen Arbeitsplatz nicht positiv begegnet wären. Die praktische Selbsteinschätzung gleicht allerdings den Meinungen über das Verhältnis der Frauen zur Technik wenig. Die jüngeren Männer (unter 35) und die verheirateten Frauen sind durchweg der Meinung, dass Frauen der Technik nicht wohlgesonnen seien und dass dies von den Vorgesetzten auch entsprechend wahrgenommen und behandelt werde.6 – Einmal auf der Spur der Geschlechtsspezifik der in den automatisierten Büros auftretenden Probleme, stießen wir auf eine besondere Unzufriedenheit der weiblichen Arbeitenden mit sich selber, die vielleicht mit dem Charakter der Arbeit zu tun hatte. Sie beklagten sich darüber, häufig nichts geschafft zu haben. Sie wollten eine Auslastung der durch Rechnerstillstand verursachten Leerzeiten durch Mischarbeitsplätze. Wir hatten eigentlich angenommen, dass angespannte Alarmbereitschaft, Wartezeiten, Kritik und experimentelle Sorgfalt dem weiblichen Sozialcharakter besonders entgegenkommen müsse, da Frauen ähnliche Anforderungen in Haus- und Familienarbeit gewohnt sind. Tatsächlich aber waren sie es, die solchen Arbeitseinsatz als besonders unbefriedigend charakterisierten. Sie betrachteten sich mit den Augen von Vorgesetzten und empfanden solche Arbeit, die der häuslichen am meisten ähnelt, als unzureichend, ja im Grunde überhaupt nicht als Arbeit, sondern als vertane Zeit. Da hätten sie »gleich zu Hause bleiben können«. Es geschieht hier das Eigentümliche, dass die Frauen nicht so sehr versuchen, sich der Arbeit, da sie Lohnarbeit und entfremdete Arbeit ist, zu entziehen, sondern sie empfinden es als Privileg, überhaupt gegen Geld arbeiten zu können, und wollen von daher auch außergewöhnlich tätig sein.

      Es wäre verwunderlich, wenn der Einbruch der Männer in die computerisierten Büros ohne nennenswerte Kämpfe vor sich gehen sollte. Die Charakterisierung der Büroarbeit folgt durchweg Kriterien von »Weiblichkeit«: Sie ist körperlich leichte Arbeit; sie ist sauber; sie ist Tipparbeit und nicht schwer, schmutzig oder vorwiegend technisch, wie dies für Männerarbeit angemessen wäre. In unseren Gruppendiskussionen arbeiteten die männlichen Teilnehmer zunehmend eine Art Angst vor der weiteren Entwicklung der Technologie heraus. Ihre Auffassung war: Die Zukunft der Arbeit gehört den Frauen, weil die Technologie selber verweiblicht werde. Das ging bis zur Vision des »rosaroten Computers«. Solche Einschätzung wurde schließlich auf dem ideologischen Feld neutralisiert; es gab zugleich eine Umwertung der Arbeit. Am Ende einigten sie sich, Computerarbeit sei eigentlich doch nicht vorwiegend Tipparbeit, sondern eine technische Arbeit und gebühre von daher den Männern. Dieser Kampf um die geschlechtsspezifische Bedeutung von Arbeit und damit von Arbeitsplätzen findet überall statt. Es sieht so aus, als würden die Frauen ihn verlieren, wenn sie nichts Eingreifendes tun.

      Die unzulänglichen Lernmöglichkeiten können in der Arbeit schlecht kompensiert werden und müssen es gleichwohl. Wir fragten in diesem Zusammenhang nach der Kooperationsmöglichkeit mit Kollegen: nach dem Einholen und der Notwendigkeit von Ratschlägen anderer. Die Antworten zeigen kulturelle Ausgrenzungen von Frauen. Während 80 Prozent von ihnen die Notwendigkeit solcher Ratschläge betonen, gibt es offensichtlich Männersolidarstrukturen der Informationsweitergabe, von denen Frauen weitgehend ausgeschlossen sind. Dabei hatten – zumindest in unserem Sample – Frauen einen eigentümlichen Einfluss auf die Solidarstrukturen überhaupt: Wo immer der Frauenanteil unter der Belegschaft hoch war, gab es kaum individuelles Konfliktlöseverhalten, während die kollektiven Formen von zuvor 20 auf 70 Prozent stiegen. Die wechselseitige Information in den Männer- und Frauennetzwerken wird übrigens von ihnen nicht als geschlechtsspezifische Solidarstruktur gesehen und nicht als spezifischer Zusammenhalt ausgesprochen. Von daher können wir wohl davon ausgehen, dass es praktisch geübte Solidarstrukturen gibt, die noch nicht als solche bewusst sind und von daher keine strategische Zielorientierung entfalten.

      Der kurze Durchgang durch veränderte Arbeitsbedingungen nach der Einführung von Computern zeigte uns eine Reihe von Unverträglichkeiten, Widersprüchen, Paradoxien:

      – Eine Arbeit, welche die vertikalen Hierarchien und die zwischen den Geschlechtern ermäßigen könnte, die gewissermaßen egalisierend ist, wird als verschärfte Spaltung erfahren: männliche Arbeitskulturen grenzen Frauen aus. Wo beide Geschlechter nahezu paritätisch vertreten sind, bei den Sachbearbeitern, bilden sich neue Arbeitsteilungen heraus. Frauen lassen sich abschieben oder begeben sich »von selbst« in die weniger anspruchsvollen Aufgaben oder in solche, die weniger Anerkennung finden. Sie übernehmen zudem durchweg das Blumengießen, Kaffeekochen, Kopieren, Botengänge und die Ablage.

      – Die höhere Qualifikation, die als Erfordernis inzwischen allgemein anerkannt ist, wird nicht durch eine entsprechend allgemeine Ausbildung für alle vorbereitet. Zwar wird Informatik in verschiedenen Bundesländern ein Fach an allgemeinbildenden Schulen; aber auch hier sind es die Jungen, die diesen Zweig offensiv ergreifen. Zweifel an der Angemessenheit von Koedukation mehren sich.

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