Apatheia. Guido Seifert

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Apatheia - Guido Seifert страница 9

Apatheia - Guido Seifert

Скачать книгу

Womöglich ist es aber genau diese Erfahrung des Paradoxen, die mich dazu bringen muss, den Begriff der ›Unwägbarkeiten‹ zu überdenken. Vielleicht gibt es doch mehr zwischen Erde und Alpha Centauri, als unsere Physik sich träumen lässt. Der Raumfahrer hätte sich dann dem scheinbar Unmöglichen in der gleichen Weise zu stellen wie dem Möglichen. Die Maxime müsste lauten: Handle auch angesichts des Widersinnigen besonnen; lasse dich von ihm niemals aus der Bahn werfen. Dies ist es vielleicht, was wir zu lernen haben.

      Mia suchte mich heute Nachmittag in meiner Kabine auf, um mir von einem Widerspruch zwischen den ContempFiles Nr. 40 und Nr. 53 zu berichten (angeregt durch mein Abstract für die Jahre 2046 bis 2050 hat sie den heutigen arbeitsfreien Samstag dazu genutzt, sich mit dieser geschichtlichen Phase beschäftigen). Tatsächlich ist es so, dass die Friedenskonferenz die den sogenannten Wasserkrieg von 2049 beendete, in dem betreffenden Bericht mit einem unmöglichen Datum versehen wurde. Laut dieses Datums hätte die Konferenz ein Jahr zuvor stattgefunden, und zwar auf dem Höhepunkt des Krieges. Ich entgegnete Mia, dass der naheliegendste Grund, nämlich ein Flüchtigkeitsfehler des Kompilators, wohl auch der zutreffende Grund sein dürfte (ein immerhin auflösbares Paradoxon im Gegensatz zu den technischen Mysterien, mit denen uns die DAEDALUS konfrontiert). Diese Erklärung schien Mia nicht zu überzeugen. Ich gewann den Eindruck, dass sie einen dunklen Verdacht hegt, und dieser Eindruck ist für mich überhaupt der Grund, unser Gespräch aufzuschreiben. Glaubt Mia denn wirklich, dass man uns manipulieren könnte? Dass man uns die wahre Geschichte der vergangenen fünfunddreißig Jahre vorenthielte und uns mit Erfindungen versorgte? Wozu? Abwegig, möchte ich meinen.

      Jacob hat Zegramulrob das Ballspiel beigebracht. Und es war nun wirklich putzig anzusehen, wie unser Zero Gravity Multipurpose Robot seine kleinen vergitterten Propeller schwenkte, um mit seinen Greifern an den an ihm vorbeischießenden Ball zu gelangen. Jacob befand, dass Zegs Propellerleistung zu gering sei, um relativ schnelle Richtungsänderungen zu bewerkstelligen. Also fragte er unseren handkoffergroßen Helfer, ob es ihm gefiele, zusätzlich mit CO2-Düsen ausgerüstet zu werden. Zeg zeigte sich begeistert, sofern man das von einem Roboter sagen kann.

      Logan ist ausgesprochen eigenbrötlerisch. Er ist der Unkommunikativste von uns allen. Er ist sicher ein brillanter Wissenschaftler, aber so sehr mit Astronomie und Planetologie beschäftigt, dass er für andere Problemstellungen keinen Sinn aufbringt. Als ich ihm von den technischen Ungereimtheiten unseres Fission-Fragment-Triebwerks berichtete, nickte er nur geistesabwesend und erklärte mir, als ob ich danach gefragt hätte, dass, falls der Planet Proxima Centauri b jemals eine nennenswerte dichte Atmosphäre gehabt habe, sie längst aufgrund seines schwachen Magnetfelds und der starken koronalen Massenauswürfe seines Muttergestirns hinweggefegt worden sei.

      Mia sucht oft die Krankenstation auf, obwohl sie nichts für Harry tun kann (die von Paladin kontrollierte automatisierte Behandlung ist nicht zu verbessern). Ihr Verhältnis zu Harry war immer das engste von uns allen. Die beiden verstanden sich hervorragend. Ich kann nicht sagen, ob auch tiefere Gefühle füreinander eine Rolle spielten, aber undenkbar ist das nicht.

      Mission Longshot IV, Logbuch der DAEDALUS, Kommandant Joshua Feldmann, 9.12.2085 (Auszug)

      11:15 – Ein Meteorit von vermutlich ursprünglich einigen Zentimetern Größe durchschießt die zweihundert Kilometer vor der DAEDALUS installierte Partikelwolke und besitzt immer noch genügend kinetische Energie, um die sieben Millimeter starke Beryllium-Schutzplatte des Schiffs zu durchschlagen. Splitter wiederum reißen ein mehrere Zentimeter großes Leck in die doppelte Wandung des GreenhouseLabs, in dem sich Mia aufhält. Paladin gibt Alarm und verriegelt das Schott zum GreenhouseLab. Ich bewegte mich, so schnell es mir möglich ist, zum Unfallort und hörte Mia von innen an das Schott schlagen. Ich fordere Paladin auf, das Schott für zwei Sekunden zur Hälfte zu öffnen, und er kommt meinem Befehl ohne zu zögern nach. Ich ziehe Mia durch den Spalt, während die Atemluft mit einem schrillen Pfeifton ins Vakuum schießt und ihr Sog ein Chaos im GreenhouseLab anrichtet.

      11:40 – Mia befindet sich auf der Krankenstation, kann aber wieder entlassen werden. Mit Ausnahme des unvermeidlichen Schocks hat sie keine Schäden davon getragen.

      12:05 – Ich führe mit Paladin ein Gespräch über den Unfall. Ich hänge die von ihm routinemäßig erstellte Audio-Datei an:

      (Joshua:) »Hättest du Mia sterben lassen?«

      (Paladin:) »Selbstverständlich nicht.«

      (Joshua:) »Du hast das Schott verriegelt, während sie sich noch im Lab befand.«

      (Paladin:) »Dieser Vorgang wird durch eine Subroutine geregelt und findet sozusagen außerhalb meines Aufmerksamkeitsfokus statt.«

      (Joshua:) »Aber du bist in der Lage, jederzeit einzugreifen.«

      (Paladin:) »Das ist korrekt. Und dies habe ich auch getan. Ich forderte Dr. Fournier auf, sich sofort zum Schott zu bewegen. Vermutlich hörte sie mich nicht aufgrund der immensen Lautstärke des pfeifenden Luftstroms. Meine Aufgabe war es nun zu beobachten, ob Dr. Fournier so sehr in Panik geriet, dass sie den einzig rettenden Weg verfehlte, oder ob ihr Verstand beziehungsweise Instinkt mächtig genug sein würde, sich zum Schott zu hangeln. Eben Letzteres tat sie glücklicherweise. Ich wartete ihren ersten Schlag gegen das Schott ab, um sicher zu sein, dass sie bereit war, sich rasch durch den Spalt zu ziehen, den ich öffnen würde. Im selben Augenblick kamst du hinzu. Deine Aufforderung an mich wäre also gar nicht nötig gewesen.«

      (Joshua:) »Ich verstehe.«

      12:20 – Durch die Sichtluken der Backbordseite sind auch jetzt noch Flocken gefrorenen Sauerstoffs auszumachen. Sie wirken wie Schnee im Weltall.

      Persönliches Tagebuch von Joshua Feldmann, Kommandant der DAEDALUS, 10.12.2085

      Mia geht es wieder gut. Sie ist wirklich eine zähe Frau; ich bin froh, dass sie Mitglied unserer Crew ist. Das GreenhouseLab ist dagegen verwüstet und augenblicklich noch dekomprimiert. Paladin teilte mir mit, dass es vor etlichen Jahren, während die Crew im Kälteschlaf lag, zu zwei Unfällen ähnlicher Art gekommen ist, und zwar als die DAEDALUS die Oortsche Wolke des Alpha-Centauri-Systems durchflog. Paladin konnte die Schäden mithilfe von Robotern einigermaßen beheben. Eben das versuchen Jacob und Mia augenblicklich – sie steuern einen Crawler über die Außenhülle, um das Leck in Augenschein zu nehmen und nach Möglichkeit zu reparieren.

      Die DAEDALUS führt einen ausreichenden Vorrat an Lebensmittelkonzentraten und Vitaminen mit sich, so dass die Produktion von Salat und Gemüse nicht zwingend erforderlich ist. Wenn ich aber bedenke, dass wir noch sechs Jahre unterwegs sein werden, ehe wir Alpha Centauri erreichen, so bin ich dankbar für jedes grüne Blättchen. Frische Lebensmittel heben die Stimmung, das ist bekannt.

      Heute ist die erste Nachrichtenmeldung von der Erde seit Beendigung unserer Kryostase eingetroffen, nämlich das ContempFile Nr. 416, das die wichtigsten zeitgeschichtlichen Ereignisse vom September 2081 für uns bereithält. Ich habe die Nachrichten zwar nur überflogen, konnte aber bereits mit Befriedigung zur Kenntnis nehmen, dass ESA und Roskosmos ihre Zusammenarbeit noch weiter verstärken wollen. Zurzeit mache ich mir Gedanken über unsere erste persönliche Rückmeldung an die Erde (automatische Status-Reports werden dagegen permanent von Paladin rausgefunkt). Neben einem schriftlichen Bericht erwäge ich ein kurzes Video abzuschicken, das ich vielleicht von Zeg aufnehmen lassen werde, damit wir auch einmal alle zugleich im Bild sind. Im Übrigen warten wir noch auf ein personenbezogenes File, das uns Aufschluss über das Schicksal unserer Familienangehörigen gibt. Ich möchte schon gerne das Todesdatum meiner Eltern wissen, während Mia beispielsweise, deren Eltern noch leben dürften, erfahren möchte, was aus ihrem Neffen geworden ist, der heute zweiundvierzig Jahre alt und damit, physiologisch betrachtet, fünfzehn Jahre älter als seine Tante ist.

      Die

Скачать книгу