Apatheia. Guido Seifert
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Hatte es überhaupt Sinn, Erfahrungen zu durchdenken, die sich am Ende nichts anderem als der menschlichen Unstetigkeit und Unberechenbarkeit schuldeten? War es nicht vielleicht besser, meine komplette Militär-Karriere aus meinem Erlebnisspeicher zu löschen?
Man brauchte kein vollständiges Squad, um Befragungen durchzuführen. Es genügte ein Fireteam mit beigeordnetem AIROCS, um die nötige Sicherheit bei Befragungen von Zivilisten in ihren kleinen staubigen Dörfern zu gewährleisten. Tol Khel schien in meiner Erinnerung kleiner, staubiger und elender gewesen zu sein als all die anderen pakistanischen Dörfer. Ich überblickte die ungepflasterte Straße in beiden Richtungen zugleich. Zudem hatte ich meine rotierende Teleskopkamera fünf Yard in die Höhe gefahren und kontrollierte die nordöstlichen Hügel sowie die südliche Ebene. Kein Gegner weit und breit. Stilles, staubiges Land in der Nachmittagssonne. So still, dass wir sogar darauf verzichtet hatten, Ersatz für den erkrankten Private Larson anzufordern. Nur drinnen im Haus wurde es zunehmend lauter. ›I don’t know! I don’t know!‹, zeterte die Frau, und vielleicht wusste sie wirklich nicht, wo sich ihr als Mitglied des Hesbani-Netzwerks verdächtigter Mann aufhielt. Corporal Hanson brüllte immer wieder dieselbe Frage, und die Frau antwortete: ›I don’t know!‹. Das Geschrei eines Kindes verstärkte das akustische Tohuwabohu. Meine Frequenzanalyse ergab, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein Mädchen im Alter von 190 bis 250 Megasekunden handelte. Schreien und Weinen wechselten sich in unregelmäßigen Zeitintervallen ab – ein Muster war auf die Schnelle nicht erkennbar. Einmal hörte ich Jason sagen: ›Lass es gut sein, Matthew, die Frau weiß nichts.‹ Der erste Schuss beendete das Geschrei der Frau. Der zweite Schuss ließ das Mädchen verstummen.
Als sie aus der Tür traten, wischte Corporal Hanson mit einem Fetzen Stoff über seine rechte Hand und die in ihr befindliche Beretta 92FS. Zwei Yard vor mir blieben sie stehen. ›Es ist nichts passiert, oder?‹, fragte Hanson meinen Betreuer Jason Mayo. Der schwieg. Ich habe ihn nie so bleich gesehen. Hanson schleuderte den blutverschmierten Fetzen zur Seite. ›Sag mir, dass nichts passiert ist! Oder kann ich mich nicht auf dich verlassen?‹ Jason kniff für einen Moment die Augen zusammen und senkte den Kopf. Dann sagte er: ›Es ist nichts passiert.‹
Nichts war passiert. Das große Vorrecht des Menschen. Handlungen verschwinden im Nichts, ehe noch die kleinste Konsequenz zu keimen beginnt.
Ich wusste, ich würde es tun. Ich würde meine Erinnerungen an Pakistan löschen und nichts wäre jemals geschehen. Und auch Jasons Satz 1,2 Megasekunden nach Tol Khel wäre niemals gefallen: ›Ich hab’s getan. Sein Transponder ist in vierundzwanzig Stunden so tot wie die Frau und ihre Tochter.‹ Und ich hätte nicht genickt mit meinem wuchtigen Metallschädel. Nicken – eine vollkommen menschliche Geste.
Ein Leben für Alpha Centauri
Das erste Erwachen
Mission Longshot IV, Logbuch der DAEDALUS, Kommandant Joshua Feldmann, 5.12.2085 (Auszug)
8:00 – Die Kryostase der Crew wird planmäßig beendet.
14:30 – Dr. Mia Fournier, die bereits vor zwei Tagen von Paladin aufgetaut wurde, kümmert sich wie vorgesehen um die medizinische Betreuung der Crew. Dr. Logan Koschek und M.Sc. Jacob Guerin sowie meiner Person geht es den Umständen entsprechend gut. Bei M.Sc. Harry Cavanaugh allerdings kam es zu ernsthaften Problemen. Laut Mia führte ein beschleunigter Auftauvorgang zur partiellen Denaturierung der im Gewebe enthaltenen Eiweise. Harry wurde von Mia in ein künstliches Koma versetzt. Insbesondere ist die Funktionalität seiner Lunge in lebensbedrohlicher Weise beeinträchtigt. Paladin arbeitet an der Herstellung von Zellkulturen, zeigt sich aber wenig optimistisch im Hinblick auf Harrys Gesundung. Im Übrigen kann Paladin nicht erkennen, dass sich Mia eines Versäumnisses schuldig gemacht hätte. Sowohl die Beschleunigung des Auftauvorgangs als auch das Ausbleiben einer zeitnahen Rückmeldung müssen auf einen Fehler des technischen Systems zurückgehen. Paladin kann sich diesen Fehler nicht erklären und untersucht augenblicklich die Fehlfunktion.
In Abhängigkeit vom Fortschritt unserer Rekonvaleszenz und Assimilation werden wir morgen oder übermorgen unsere Arbeit aufnehmen.
Die Bordsysteme funktionieren mit Ausnahme des Kühlsystems einwandfrei. Uns allen fiel sofort die hohe Raumtemperatur von 26 Grad Celsius auf. Paladin erläuterte mir, dass das Fission-Fragment-Triebwerk, das seit zwanzig Jahren für die negative Beschleunigung der DAEDALUS sorgt, deutlich mehr Wärme produziert, als die Thermal Louvers abstrahlen können. Dies hat in der Vergangenheit mehrfach zum vorzeitigen Ausfall von Elektronikelementen geführt, die aber repariert beziehungsweise ersetzt werden konnten. Eine grundsätzliche Diskrepanz bei der Kalkulation von Triebwerksleistung und Radiatorenfläche kann Paladin nicht feststellen. Er arbeitet an dem Problem.
16:30 – Paladin gibt mir einen kurzen Überblick über die astronomischen Fortschritte, die während unseres 40-jährigen Kälteschlafs gemacht wurden, insbesondere über neue Erkenntnisse das Alpha-Centauri-System betreffend. Eine Erkenntnis ist aber bereits jetzt der Mission Longshot IV zu verdanken: Proxima Centauri besitzt einen Gesteinsplaneten, der seine Sonne in einem Abstand von 0,041 AE umkreist und eine gebundene Rotation aufweist. Wir werden ihn in sieben Tagen passieren. Im Übrigen schloss Paladin bereits vor zwanzig Jahren, auf dem Höhepunkt der Acceleration, auf das Vorhandensein dieses Exoplaneten. Wiederholte Messungen der periodischen Radialgeschwindigkeit von Proxima Centauri überzeugten Paladin von der Existenz dieses Himmelskörpers, und er setzte eine Meldung an das ESA-Kontrollzentrum ab. Somit hat die Mission Longshot IV ihre Bedeutung der Erde bereits vor achtzehn Jahren bewiesen.
Persönliches Tagebuch von Joshua Feldmann, Kommandant der DAEDALUS, 06.12.2085
Die Crew, insbesondere Jacob, zeigte sich sehr gerührt, als uns Zegramulrob jeweils einen kleinen Schokoladennikolaus zum Frühstück servierte. Er bestand aus einer speziellen krümelfreien Schokolade, die allen mundete (obschon butterweich, bei der Wärme hier an Bord). Ich glaube, unsere Ergriffenheit gründete vor allem in der Rührigkeit, mit der sich der Longshot-IV-Planungsstab offenbar solchen Details widmete.
Das Frühstück selbst ist mit einer gemütlichen Mahlzeit auf der Erde natürlich nicht zu vergleichen. Aber wir alle sind dies ja von unserem Training her gewohnt, das wir vor vierzig Jahren in der Schwerelosigkeit absolvierten.
Unbefangene Heiterkeit kam allerdings nicht auf, da uns der Zustand von Harry doch alle bewegt, zumal Paladin seine negative Prognose von gestern bestätigte. Als er uns anbot, die neuesten Teleskop-Aufnahmen von Proxima Centauri b auf den Monitor zu legen, schien es mir, als ob er beabsichtigte, unsere Stimmung aufzuhellen, und ich fragte mich, ob eine Schiffs-KI tatsächlich Motivationen dieser Art entwickeln kann. Die gezeigten Fotos waren allerdings nicht dazu angetan, Begeisterungstürme auszulösen. Natürlich war dies zu erwarten gewesen, da die DAEDALUS immer noch rund 45 AE von Proxima Centauri b entfernt ist. Wir bekamen eine rötlich-braune Halbkugel ohne irgendwelche Strukturen zu sehen. Leider befindet sich der Planet mit seinem Abstand von 0,041 AE zum Zentralgestirn knapp außerhalb der habitablen Zone.
Da waren die nachfolgend präsentierten Bilder von Proxima Centauri selbst doch deutlich beeindruckender. Wir bestaunten Aufnahmen eines hellrot glühenden Balls, wie sie noch kein Mensch zu Gesicht bekommen