Apatheia. Guido Seifert

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Apatheia - Guido Seifert

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wie es sich anfühlte, den alten Dayun zu bewohnen.

      »Bereit für Transmission?«, fragte mich Hernandez, der soeben die letzten Eintragungen auf seinem Pad vorgenommen hatte.

      »Ja, Sir.«

      Ich erhielt das zwanzigseitige Dokument über meine Wi-Fi-Schnittstelle und las es in drei Sekunden. Im Wesentlichen ging es darum, dass die Re-Implantation meines KI-Kerns zu meiner Zufriedenheit durchgeführt worden war und dass für etwaige spätere Funktionsstörungen die U.S. Army nicht in Regress genommen werden konnte.

      »Wenn Sie bitte signieren würden …«

      Ich übermittelte meine digitale Signatur.

      »Ach …«, sagte Engineer Hernandez mit einem Blick auf sein Handheld. »Sie haben sich noch keinen Individual-Namen zugelegt?«

      Tatsächlich hatte ich mit ›Gol-AIROCS-604-08112061‹ unterzeichnet. Seit der KI-Gleichstellung durch die UN-Charta bestand für jede KI die Personalnamen-Pflicht. Eine Ausnahme bildeten Militär-KIs, sofern sie über eine eindeutige Kennung verfügten.

      »Nein, Sir. Die Notwendigkeit hat sich nicht ergeben.«

      »Jetzt allerdings schon. Sie können die Army-Kennung nicht zu Ihrem Personalnamen erheben.« Wieder tippte er auf sein Pad. »Wie ich sehe, sind Sie in Boston, Massachusetts, hergestellt worden. Im dortigen Registration Office müssen Sie sich mit einem Individualnamen erfassen lassen.«

      »Ich verstehe.«

      »Und?« Er lächelte ein bisschen. »Wie werden Sie sich nennen, so als Zivilist …«

      Ich dachte nach.

      »Goliath Dayun«, sagte ich schließlich.

      Wired Puppy Café, 240 Newbury St., Boston, Massachusetts, USA. Zwei Tage später.

      »… Asshole Intelligence …«

      Sie mochten flüstern, doch ich hörte durchaus, wie die beiden etwa 1,4 Gigasekunden alten Männer am Nebentisch das Kürzel AI expandierten. Der RR-MHR-2034 war rein äußerlich einem Menschen sehr ähnlich, doch immer noch recht leicht als Kunstwesen erkennbar. Struktur und Farbe des SynthoFleshs verrieten mich.

      Ich hob die Tasse unter die Nase und roch am frisch gebrühten Kaffee. Die eingebauten Gas-Sensoren des RR-MHR-2034 waren eigentlich dafür gedacht, Sicherheitsfunktionen wahrnehmen zu können. Doch ich hatte das alte Add-on reaktiviert, das mir Cheng Qinghou damals spendiert hatte, und so bekam ich einen gewissen olfaktorischen Eindruck von Coffea arabica.

      Es war nun amtlich. Es gab einen Veteranen namens Goliath Dayun. Bislang noch ohne festen Wohnsitz. Es gab einen Veteranen, der eine Zukunft zu planen hatte. Wieso hatte ich solche Schwierigkeiten, mir eine persönliche Zukunft vorzustellen? Ich hatte einen Mann getötet, den ich nicht hätte töten dürfen. Es war keine Anklage gegen mich erhoben worden, doch fast wünschte ich, es wäre so weit gekommen. Ich konnte niemand anderen verantwortlich machen. Man war immer nur alleine verantwortlich für seine Taten.

      Der eine der beiden Männer am Nebentisch stand auf und kam langsam zu mir herüber. Angetan mit Jeans und kariertem Baumwollhemd zeigte er mir ein sadistisches Lächeln, wie ich es beim 87sten Infanterie-Regiment öfter gesehen hatte.

      »Trink!«

      Ich sah ihn an. Wir KIs waren diejenigen, die ihnen die Jobs wegnahmen – Jobs, die es gar nicht gab.

      »Na, los! Ihr könnt doch alles! Könnt alles viel besser als wir richtigen Menschen. Trink den Kaffee aus!« Sein Kompagnon am Nebentisch lachte und spuckte winzige Flocken Rührei.

      Es war sonderbar. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich nicht genötigt zu antworten oder zu reagieren. Ich konnte es dabei belassen, ihn einfach nur anzusehen. War das Freiheit?

      Als er mir unter die Hand schlug und ein Schwall Kaffee in meinem Gesicht landete, schnellte mein linker Arm im 70-Grad-Winkel nach oben. Unter Menschen gehen Aktivitäten solcherart meistens mit nicht allzu großen Blessuren ab. Doch Masse und Geschwindigkeit eines Roboterarms treiben die Joule ordentlich in die Höhe.

      Der Mann lag auf dem Boden und röchelte. Die von meinen Fingerspitzen durchstoßene Haut zeigte den gebrochenen Kieferknochen. Nichts gegen die Verletzungen, die ich in Pakistan gesehen hatte.

      Menschen reagieren mit großer Aufgeregtheit auf solche Vorgänge. Sie tendieren zu Tumult und Geschrei. Ich blieb so lange sitzen, bis die Polizei kam und mich abführte.

      Harrison’s AI-Stock, 125 Atlantic Ave., Boston, Massachusetts, USA. Zehn Tage später.

      Nun hatte ich meine Adresse: Regal 243, Stellplatz 8 in Harrison’s AI-Stock. Die Halle musste ziemlich groß sein – gesehen hatte ich sie nicht, da ich als KI-Kern angeliefert worden war. Dem Harrison-Mitarbeiter, der meinen WorldNexus eingerichtet hatte, konnte ich bedenkenlos ein Lob für sein Arbeitsethos aussprechen. Die Energieversorgung überprüfte er mehrmals auf einwandfreie Funktion hin. Aber noch genauer nahm er es mit der bidirektionalen Datenleitung. Ich musste mich dreimal abschalten, und er initiierte ebenso oft den externen Weckimpuls. Umgekehrt kontaktierte ich dreimal erfolgreich das Terminal. Ich hatte mir meine persönliche Dunkelheit gemietet, und ich empfand sie als angemessen.

      Das Vorkommnis im Wired Puppy Café hatte mir im Nachhinein gezeigt, dass ich kein Einzelfall war. Berechtigte Notwehr wurde mir zwar zugestanden, doch die unangemessene Gewaltanwendung gerügt. Das Hydrauliksystem des RR-MHR-2034 galt als so schwer kontrollierbar, dass schon etlichen anderen Exemplaren dieses Modells der Austausch von gerichtlicher Seite aufgezwungen worden war. Ich suchte Reinvent Robotics in der Wormwood Street auf, und für einige wenige – wohl sentimentale – Momente hoffte ich, Master of Science Brandon Snyder wiederzutreffen, denjenigen Menschen, dem ich zuerst begegnet war. Ich traf ihn nicht, und was hätte eine solche Begegnung auch bewirken sollen? Snyder hatte Tausende wie mich ›auf die Welt gebracht‹, ich sah genauso aus wie diese tausend anderen Multipurpose Humanoid Robots … Vielleicht, wenn ich gesagt haben würde: ›Ich war derjenige, der Sie zum Lachen brachte, weil ich nicht klagen konnte …‹

      Stattdessen war es Mr Dylan Halbert, M. Eng., der mich über den gewünschten Umbau informierte. Zum ersten Mal in meiner Existenz verlor ich den Fokus auf Informationen, die mir dargereicht wurden. Bei meiner Fähigkeit zur parallelen Verarbeitung hätte ich ihm zuhören, sämtliche Mitteilungen abspeichern, seine Mimik hinsichtlich Glaubwürdigkeit mit dem Informationsgehalt abgleichen und zudem noch zwei Dutzend komplexe mathematische Gleichungen lösen können. Doch ich machte wohl das, was Menschen ›Abschalten‹ nennen. Und eben das – Abschalten – erschien mir mit einem Mal als die sinnvollste Lösung. Mein seit 95 Megasekunden kaum angerührtes Gehalt, meine Army-Abfindung und schließlich der Verkaufserlös aus meinem Robotkörper würden es mir für einen Zeitraum von etwa 1,5 Gigasekunden ermöglichen, Stellplatz und Energiezufuhr in Harrison’s AI-Stock zu bezahlen.

      Hier lag ich nun, ohne wahrnehmen zu können, dass ich lag, und getrennt von jeglichem sensorischen Input. Was mir sofort auffiel, war der seltsame Umstand, dass ich meinen Idle-Mode nicht über längere Zeit aufrechterhalten konnte, denn gespeicherte Informationen drängten sich immer wieder selbstständig in meinen Aufmerksamkeitsfokus. Was ich vor etlichen Megasekunden noch als Funktionsstörung bewertet hätte, konnte ich nun als Folge unterschiedlich hoher Wertigkeiten im Äquivalent des episodischen Gedächtnisses interpretieren. Es blieb mir immer noch die Möglichkeit einer Totalabschaltung …

      Pakistan … Es waren

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