... und hinter uns die Heimat. Klaus-Peter Enghardt
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Vom Bahnhof gingen sie zur Schiffsanlagestelle und fuhren schon bald gemeinsam mit zahlreichen anderen Sommerfrischlern mit einem Dampfer die Deime entlang in das kurische Haff ein, dessen Nehrung das Haff von der Ostsee trennte. Möwen umkreisten das Schiff, in der Hoffnung ein paar der leckeren Brocken zu erhaschen, die von den Reisenden in die Luft geworfen wurden.
Es war ein wunderschöner Morgen, doch eine kühle Brise bestätigte den Frauen, dass es richtig war, sich eine Strickjacke übergezogen zu haben.
Der Dampfer hielt auf Sarkau zu und machte dort kurz Halt, jedoch stiegen kaum Reisende aus. Das war beim nächsten Aufenthalt in Rossitten anders. Dort verließen zahlreiche Reisende den Dampfer und auch die beiden Frauen hatten überlegt, der Vogelwarte in Rossitten einen Besuch abzustatten, doch dann hatte Frau Schimkus ihrer Mieterin von der Schönheit des Künstlerortes Nidden und seinen hohen Dünen erzählt, von denen man weit auf die Ostsee schauen konnte und da war die Entscheidung für das malerische Fischerdorf gefallen.
Der nächste Hafen war Pillkallen, doch der überwiegende Teil der Reisenden stieg in Nidden aus.
Das Fischerdörfchen war sehr malerisch und es war kein Wunder, dass sich in jenem Ort eine regelrechte Künstlerkolonie angesiedelt hatte. Über dem Ort lag eben der Nimbus des Besonderen.
Den Frauen wehte der Geruch von Fisch und Brackwasser entgegen, aber das tat ihrer Unternehmungslust keinen Abbruch. In Nidden herrschte die typische Betriebsamkeit eines Kurendorfes.
Auf einer sandigen Anhöhe, inmitten zahlreicher Kiefern, stand eine trutzige Kirche aus roten Backsteinziegeln.
Auf dem Dach hatte es sich ein Storchenpaar mit ihren Jungen in einem großen Nest gemütlich gemacht. Ihr stets hungriger Nachwuchs klapperte laut mit den Schnäbeln und forderte gierig das Futter für sich ein. In wenigen Wochen müssten die Jungvögel kräftig genug sein, um den weiten Weg nach Süden antreten zu können.
Die Fischerhäuser, meist aus Holz gebaut und farbig angestrichen, waren mit Schilfdächern gedeckt.
Ihre leuchtenden himmelblauen Türen und Fensterläden waren weithin zu sehen. Über den Holzzäunen vor den Häusern hingen an eisernen Gestellen rostige Anker und warteten darauf bearbeitet zu werden.
Bärenstarke, wetterharte Männer hatten ihre Kurenkähne an Land gezogen.
Ein paar der Männer hatten außerdem auf der gegenüberliegenden Nehrungsseite Kielboote liegen, mit denen sie als »Ganzfischer« die Ostsee befuhren.
Die »Halbfischer« durften mit ihren flachkieligen Booten nur im Haff fischen.
Auf den Trockenplätzen spannten sie ihre Fischernetze auf und flickten sie an Ort und Stelle. Bei manchen alten Netzen lohnte sich allerdings das Flicken nicht mehr, sie mussten durch neue ersetzt werden. Diese wurden jedoch vor ihrem ersten Einsatz in einem Trog in Salzlake eingeweicht, damit sie den Geruch des Meeres annahmen.
Im Sommer wurde mit dem Keitelnetz gefischt, das ein einzelnes Boot zog, im Frühjahr und im Herbst schleppten zwei Kähne das große Netz, die sogenannte »Kurre«.
Im Hochsommer ruhte die Fischerei, denn dann war Schonzeit und die Fischer erledigten all die Arbeiten, die während der letzten Monate liegen geblieben waren, zum Beispiel das Heumachen oder Holzschlagen.
Das war eine umfangreiche Arbeit, denn das Holz für den Hausbau musste auf dem gegenüberliegenden Festland geschlagen werden. Dort wurde es mit dem Pferdewagen zum Wasser transportiert, über das Haff geschifft, am Ufer wiederum auf Pferdewagen umgeladen und schließlich an Ort und Stelle transportiert.
Alte Frauen trugen Wasser vom Ziehbrunnen in Holzeimern, an der Peede, dem Tragejoch, zu ihren Häusern.
Frauen mit fein geschnittenen Gesichtern und tiefgründigen blauen oder grünen Augen, deren Blicke die Seele zu durchdringen schienen, saßen auf Holzbänken vor ihren Häusern und säuberten die Fische, die ihre Männer in der Nacht gefangen und mit ihren Kähnen heimgebracht hatten. Anschließend verarbeiteten die Frauen die Fische weiter, um sie auf dem Markt meist an die Fremden zu verkaufen, die den Ort besuchten.
Semmelblonde Kinder mit Rotznasen lugten durch die Lattenzäune, und bestaunten die Gäste in ihrer, für die Nehrungsbewohner eigenwilligen Kleidung oder sie waren in den nahen Kiefernwäldern unterwegs, um »Kienäppel« zu sammeln, die im Sommer zum Räuchern verwendet und im Winter im Ofen verheizt wurden und dann lustig knisterten.
Neugierige Augen begegneten sich zu beiden Seiten der Zäune, doch ein freundlicher Gruß der Gäste wurde von den Nehrungsbewohnern ebenso freundlich erwidert.
Auch Viehzucht wurde auf dem Haff betrieben. Meist war es Kleinvieh, wie Hühner, Enten, Gänse und Kaninchen, aber mitunter standen im Stall hinter dem Haus auch Schweine, Pferde oder sogar Kühe. Das Gras zum Verfüttern wurde auf der gegenüber liegenden Haffseite gemäht.
Oft übernachteten die Fischer ein oder zwei Nächte auf der Wiese, luden dann den Kahn voll und segelten mit ihrer Fracht nach Hause. Ebenso aufwändig wurde mit dem Heu für den Winter verfahren. Fuder für Fuder wurde zunächst auf Pferdewagen geladen und am Ufer auf die Kähne umgeladen. An der Nehrung angekommen wurde das Heu wieder auf bereitstehende Pferdewagen geschichtet.
Im Herbst gingen die Fischer allerdings einer ganz besonderen Tätigkeit nach, die ihnen auch ihren Spitznamen einbrachte. Man nannte die Männer der Nehrung »Krajebieter«- Krähenbeißer. Wenn die Vogelzüge im Herbst über die kurische Nehrung zum Haff flogen, dann zogen auch riesige Schwärme Krähen mit, die von den Fischern mit Schlagnetzen gefangen wurden. Diese Netze wurden aus einer getarnten Hütte bedient. Sechzig bis achtzig Vögel fing ein Fischer an einem guten Tag und tötete sie mit einem Biss in die Schädeldecke. Dann wurden die Vögel gerupft und eingepökelt und dienten als Winternahrung. Für die Bewohner der kurischen Nehrung war das Fleisch der Vögel eine Delikatesse. Sogar in guten Gaststätten und in Hotels wurde diese Spezialität angeboten.
Der jungen Lehrerin wurde allerdings allein bei der Vorstellung übel, so ein Tier essen zu müssen.
Beim Spaziergang durch den Ort erzählte Frau Schimkus auch, dass sie gemeinsam mit ihrem Ehemann bis zu seiner Einberufung ebenfalls eine Landwirtschaft betrieben hatte. Doch nach dem Tod ihres Mannes hatte sie knapp sechzig Morgen ihres Landes an den Herrn Baron verpachtet und mit ihm eine für sie zufriedenstellende Vereinbarung getroffen, die ihr, neben der Witwenrente ein bescheidenes Auskommen ermöglichte.
Kleine Lokale im Ort luden zum Verweilen ein und auch Frau Schimkus und Katharina suchten eines dieser Lokale auf, um sich zu stärken.
Die freundliche Wirtin riet ihnen zu einem Nationalgericht der Kuren, dass es so frisch nur in den Dörfern des kurischen Haffs gab.
Katharina gab sich vergebliche Mühe die Wirtin zu verstehen, denn die kurische Sprache, die in den Dörfern des Haffs noch immer gesprochen wurde, war für sie fremd. Sie war also gespannt, was die Wirtin ihnen auftischen würde, Krähen konnten es ja nicht sein, die gab es nur im Winter.
Nach wenigen Minuten erschien die Wirtin mit einer Schüssel voll gebratener kleiner Fische, so würde es Katharina bezeichnen. Es handelte sich bei diesem Gericht um eines der beliebtesten Gerichte der einfachen Menschen am Haff, es hieß »Stintenflinsen«.
Das waren kleine, etwa sechs bis acht Zentimeter lange Fische, in Mehl gewälzt und in Butterschmalz goldbraun ausgebacken, die mit Kopf und Schwanz verzehrt wurden. Die Fische dufteten köstlich und Katharina lief das Wasser im Mund zusammen.