... und hinter uns die Heimat. Klaus-Peter Enghardt
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Feiner pulverartiger Sand wehte ihnen in ihre Gesichter und versetzte den Frauen tausende winzige Nadelstiche.
Wenige Meter unter ihnen fuhr ein Kurenkahn vorüber.
Zum Fischen würde er wohl nicht unterwegs sein, dafür war es bereits zu spät am Tag. Wahrscheinlich machte einer der Fischer mit einigen Sommerfrischlern eine kleine Rundfahrt. Das Großsegel blähte sich am Vordersteven und auch die Gaff am kleinen Mast war voll entfaltet. An der Spitze des Vorderstevens verriet der sogenannte »Kurenwimpel« schon von weitem die Herkunft des Bootes. Ein liebevoll aus Holz hergestelltes Banner mit farbigen Stoffwimpeln an den Seiten und die ersten drei Buchstaben des Ortsnamens am Bug verrieten den Heimathafen, die verschiedenen Motive ließen auf die einzelnen Fischer schließen.
Der Kurenwimpel diente zugleich auch als Wetterfahne.
Kleine silberne Wellen umspülten das Boot. Es sah fast wie auf einem Ölgemälde aus. Katharina wäre auch gern in so einem Boot gefahren, aber vielleicht könnte man das bei einem zweiten Besuch nachholen.
Schließlich entflohen die beiden Frauen dem Wind mit seinen Nadelstichen, stiegen von der Erhebung hinab zum Strand und spazierten mit nackten Füßen, die Schuhe in der Hand, im Wasser Richtung Nidden.
Frau Schimkus riet Katharina die Augen offen zu halten, die Strände an der Nehrung waren voll von Bernsteinen, wenn man genau hinschaute und sie erkannte. Und tatsächlich fand Katharina schon bald ein etwa vier Zentimeter großes Stück.
»Sehen Sie nur, so ein schöner Bernstein. Wenn ich noch mehr finde, lasse ich meiner Mutter eine Kette davon machen«, freute sich Katharina und zeigte ihrer Wirtin den Stein.
Die Frau betrachtete das Stück und sagte anerkennend:
»Da haben sie aber Glück gehabt. Das ist ein wunderschöner klarer Succinit. Oft ist der Bernstein roh und als solcher nicht leicht zu erkennen.«
Sie lächelte über die fast kindliche Gemütsbewegung ihrer Mieterin und sagte: »Trotzdem müssen wir leider zurückgehen. Zum Bernsteinsammeln haben wir heute keine Zeit mehr. Unser Dampfer fährt bald wieder ab. Wir könnten noch einen Kaffee trinken und ein Stück Kuchen essen, bevor wir nach Hause fahren. Bernsteine sammeln wir das nächste Mal.«
Katharina schaute auf ihre Armbanduhr und erschrak, wie schnell die Zeit vergangen war. Sie putzte ihren Bernstein trocken, hielt ihn in die Sonne und schaute durch ihn hindurch, wie es ein Kind machen würde. »Es sieht aus, als hätte er die Sonnenstrahlen eingefangen«, sagte sie.
»Ja, heben Sie den Stein gut auf, da haben Sie in dunklen Stunden immer etwas Sonne bei sich«, erwiderte Frau Schimkus weissagend.
Katharina lächelte, dachte aber über diese zweideutigen Worte nicht weiter nach. Sie bemerkte jedoch, dass ihre Wirtin traurig war.
»Habe ich etwas falsch gemacht?«, fragte sie.
»Nein, nein«, beeilte sich Frau Schimkus zu entgegnen, »ich dachte nur gerade daran, wie wir als junges Paar mit meinem Mann hier ebenfalls Bernsteine gesammelt hatten. Mir haben sie leider kein Glück gebracht.«
Katharina schaute auf den Boden und schwieg. Ihr tat es so unsagbar leid, dass die Frau in so jungen Jahren bereits ihren Mann verloren hatte, auch wenn tausende Frauen ihr Schicksal teilten. Tröstend schob sie ihre Hand beim Spaziergang in die Hand ihrer Wirtin.
Dankbar für diesen Trost, drückte Frau Schimkus die Hand der jungen Frau, hakte sich bei Katharina unter, und so, Arm in Arm, liefen sie bis ins Dorf.
Ganz in der Nähe der Dampferanlegestelle gingen die beiden Frauen in ein Lokal, tranken Tee und aßen jeder ein Stück saftigen Kirschkuchen mit Pudding. Danach liefen sie mit weit ausholenden Schritten zur Anlegestelle.
Es war an diesem Tag der letzte Dampfer und entsprechend viele Gäste fuhren nach diesem Tagesausflug zurück.
Es war zugleich der letzte Ausflug für Katharina, bevor ihre Zeit als Lehrerin anbrach.
Sie hatte nun noch drei Tage Zeit die letzten Arbeiten zu Ende zu bringen, bevor am Dienstag die Einschulung stattfinden würde und gleichzeitig für alle Schüler wieder der Schulbetrieb begann.
Am Morgen der Einschulung war Katharina genauso aufgeregt wie ihre Schüler. Zum wievielten Mal stand sie nun wohl schon vor dem Spiegel, um festzustellen, dass ihre Frisur sitzt und dass ihre Kleidung in Ordnung ist. Trotzdem zupfte sie hier noch eine vermeintliche Falte glatt und ordnete dort noch eine Haarsträhne.
Noch hatte sie bis zur Einschulung eine Stunde Zeit. Ihr Kollege war noch nicht angekommen und eigentlich ließ nichts darauf schließen, dass an diesem Tag nach den Sommerferien der Unterricht wieder aufgenommen wird. Einige Frauen des Dorfes hatten eine Girlande aus grünen Zweigen am Türrahmen befestigt und der Schreiner hatte darunter ein Schild angebracht, auf dem »Herzlich Willkommen« stand.
Über beides hat sich Katharina sehr gefreut, zumal das für sie selbst eine Überraschung war.
Eine Viertelstunde vor Schulbeginn trafen nach und nach die ersten Schüler ein. Keines der Kinder hatte es sonderlich eilig, denn Ferien sind doch für die meisten das Schönste an der Schulzeit und da musste sogar die allerletzte Minute ausgekostet werden.
Die siebzehn Erstklässler wurden zum Teil von ihren Müttern begleitet, doch einige Kinder kamen allein, obwohl es ihr erster Schultag war. Offensichtlich gab es dafür triftige Gründe, denn die meisten Mütter mussten wohl ihrem Broterwerb nachgehen.
Als der Herr Bürgermeister seine Rede hielt, konnte die neue Lehrerin ihre Schüler heimlich mustern.
Manche kamen in Lederschuhen in die Schule, das waren die Kinder der Großbauern, andere kamen in zum Teil abgeschabten oder ausgetretenen Schuhen, das waren die Kinder der einfachen Bauern, die dritte Gruppe jedoch, die mit »Klompen« an den Füßen erschienen, waren sicher Kinder von Knechten und Mägden, die sich selbst nichts anderes als Holzschuhe leisten konnten. Auch an der Kleidung konnte man die Standesunterschiede ablesen, doch eines war allen gleich. Sie waren sauber und ihr Haar war gekämmt, zumindest am ersten Schultag.
Als nächster Redner übte sich ihr Kollege, Herr Graudenz, der den Schülernin kurzen Worten erklärte, wie wichtig die Schule für sie war. Dann übergab er das Wort an die neue Kollegin. Katharina hatte sich in den letzten Tagen eine kleine Rede zurechtgelegt, doch das meiste war nun bereits gesagt, so beschränkte sie sich darauf, die Anwesenden zu begrüßen, sich selbst vorzustellen und allen Kindern eine schöne Schulzeit zu wünschen.
Zur Einschulung gehörten natürlich auch Schultüten, doch nicht für alle Kinder waren von den Eltern Schultüten abgegeben worden. Die Kinder des Gutsgesindes standen meist mit leeren Händen da, ihre Väter waren im Krieg und die Mütter trugen die Last auf ihren Schultern, die Familie zu ernähren, da reichte es eben nicht für Bonbons.
Ganz ohne Süßigkeiten sollten aber auch die armen Kinder nicht bleiben, denn zu ihrer Überraschung hatte der Kutscher der Familie des Baron von Lübzow am Vortag einen ganzen Karton voller Süßigkeiten und Schokolade in der Schule abgegeben,