... und hinter uns die Heimat. Klaus-Peter Enghardt
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Nun freute sie sich noch mehr, dass ihr bis zum Schulbeginn noch drei Wochen Vorbereitungszeit blieben.
Ihr fiel besonders auf, dass viel zu wenige Schulbücher vorhanden waren. Da musste sie unbedingt Abhilfe schaffen. Zumindest auf jeder Schulbank sollte je ein Buch für Deutsch und Rechnen vorhanden sein. Und auf jede Schulbank gehörte auch ein Abakus, war ihre Meinung.
Zwar befand sich auf dem Lehrertisch eine große Rechenhilfe mit farbigen Holzkugeln, doch die war ja das Demonstrationsgerät für den Lehrer.
Gewissenhaft erstellte sie eine Liste aller Bücher und Materialien, die sie benötigte, und verließ die Schule, um sich mit ihrem Kollegen zu besprechen.
Dieses Gespräch verlief nicht gerade ermutigend, denn der Lehrer hatte die Schüler bisher mit den vorhandenen Schulmitteln unterrichtet und bezweifelte, dass das Schulamt alle ihre Wünsche erfüllen würde, doch Katharina wollte sich nicht entmutigen lassen.
Am Nachmittag besuchte sie den »Gewürzer«, den Krämerladen des Dorfes. Im Laden empfing sie zunächst ein Duftgemisch aus Zwiebeln, Kräutern, Dillgurken, Obst, Bier, Brot und Bohnerwachs und es roch nach Lederfett für das Gespannzeug der Pferde. Aber ihr feiner Geruchssinn erschnupperte auch den Geruch von Bohnenkaffee.
Ihre Ankunft hatte sich längst herum gesprochen, trotzdem stellte sie sich dem Krämerehepaar und einigen Kundinnen im Laden vor. Sie wurde freundlich begrüßt und gleich in ein kurzes Gespräch gezogen.
Die Frauen im Laden waren froh, dass die Schule bald wieder losgehen würde, denn ihre Lorbasse machten zu Hause inzwischen schon zu viele Fiesematenten und benötigten wieder mehr Strenge. Es genügte wohl nicht, dass die Mutter ihren Bowkes ein paar Mutzköppe verabreichte, oder ihren Dups versohlte, da sollte ruhig mal wieder eine Tracht mit dem Penter des Lehrers Ordnung schaffen. Die junge Lehrerin konnte ihr Entsetzen nur mit Mühe verbergen, denn von solchen Erziehungsmethoden distanzierte sie sich entschieden. Doch auch sie sollte schon bald merken, dass sie sich vor den größten Rabauken ohne einen Rohrstock tatsächlich keinen rechten Respekt verschaffen konnte.
Der Gewürzer fragte die Lehrerin nach ihren Wünschen und die junge Frau hatte Glück, denn sie bekam tatsächlich eine Dose Bohnenkaffee zu kaufen, außerdem zweihundert Gramm Plätzchen und ein paar Pralinen. Katharina war sehr zufrieden mit ihrem Einkauf. Und obwohl die Delikatessen ein riesiges Loch in ihre Lebensmittelkarte rissen, wollte sie doch gern ihre Wirtin überraschen.
Frau Schimkus freute sich sehr über die Aufmerksamkeiten, bestand aber darauf, dass die beiden Frauen die Kostbarkeiten gemeinsam verzehren. Erfreut stimmte Katharina zu, bat aber noch um etwas Zeit, damit sie ihren Eltern einen Brief schreiben konnte, denn die warteten doch auf Neuigkeiten von ihrer Tochter.
Als Katharina etwa zwanzig Minuten später die Treppe herab kam, öffnete ihre Wirtin sofort die Kaffeedose, um die Kaffeebohnen mit Hilfe einer alten Kaffeemühle zu zerkleinern. Schon beim Öffnen der Dose entwich ein herrlicher Duft, der sich noch steigerte, als Frau Schimkus sich die Kaffeemühle zwischen ihre Knie klemmte und die Leier drehte. Knirschend verwandelten sich die brauen Bohnen in feines Kaffeepulver. Mit heißem Wasser aus der Pfanne ihres Kochherds brühte sie es nun auf, was den Duft noch einmal verstärkte. Genüsslich tranken die Frauen den Kaffee und aßen den Pflaumenkuchen, den Frau Schimkus aus dem Keller geholt hatte. Zwischen den beiden Frauen entspann sich eine heitere Plauderei und sie beschlossen, die Kaffeestunde ab diesem Tag zu einem festen Ritual werden zu lassen.
Nach dem Abendessen lud die Wirtin ihre Mieterin ein, mit ihr den Abend zu verbringen, doch Katharina erzählte ihr von der Witwe Kleinschmidt aus Berlin und dass sie ihr ebenfalls versprochen hatte, regelmäßig Bericht zu erstatten.
Das verstand die Frau und vertröstete sich auf den nächsten Abend. Obwohl die junge Lehrerin erst zwei Tage bei ihr wohnte, hatte sie das Mädchen mit ihrer freundlichen und bescheidenen Art bereits in ihr Herz geschlossen.
Eines Nachmittags erzählte Katharina ihrer Wirtin, dass sie ein paar Bücher benötigte, die sie sich gern in einer Buchhandlung in Zinten besorgen wollte.
Frau Schimkus hatte eine bessere Idee und sagte: »Ich kenne in Königsberg eine sehr gute Buchhandlung. Was halten Sie davon, wenn ich Sie nach Königsberg begleite, Ihnen dort die Buchhandlung zeige und wir uns anschließend einen netten Nachmittag machen? Ich war selbst schon lange nicht mehr in der Stadt, würde sie Ihnen aber gern zeigen.«
»Au, fein! Ich habe gar nicht gewagt, danach zu fragen. Das ist mir nämlich viel lieber, als nach Zinten zu fahren. Ich hatte ohnehin vor, in den nächsten Tagen Königsberg zu besuchen. Außerdem kann ich meine Bestellung für das Schulamt gleich persönlich abgeben.«
Bereits am nächsten Morgen saßen die beiden Frauen im Zug nach Königsberg.
Frau Schimkus nannte der jungen Frau die Namen der Dörfer, an denen sie vorüberfuhren, die Katharina ungewohnt klangen. Lemkühnen, Kuhkehmen, Tykrigehnen, Wangnicken oder Godrienen hießen die Dörfer zwischen Zinten und Königsberg.
Vom Hauptbahnhof aus fuhren sie dann mit der Straßenbahn zuerst zum Schulamt im Stadthaus.
Eine freundliche Dame nahm Katharinas Unterlagen entgegen, überflog die Bestellung und bemerkte: »Erbarmen, da werden wir sicher noch ein wenig streichen müssen.«
Nachdem sie Katharinas enttäuschtes Gesicht sah, versprach sie lächelnd: »Na, ich werde mal sehen, was ich da tun kann«, und stimmte Katharina damit zuversichtlicher.
Nach einer freundlichen Verabschiedung standen die junge Lehrerin und ihre Begleiterin wenige Minuten später an der Tramhaltestelle vor dem Schulamt.
Bereits wenige Minuten darauf führte sie ihre Fahrt zur Buchhandlung »Gräfe und Unzer« am Paradeplatz sechs. Es war die bekannteste und renommierteste Buchhandlung in Königsberg und die größte in Europa.
Die Albertus-Universität im Rücken, blickten die Frauen mit Bewunderung von der gegenüberliegenden Lindenallee des Paradeplatzes auf das riesige Buchhaus, das eher einem Stadtschloss ähnelte.
Selbst Markgraf Herzog Albrecht, der Gründer der Albertus Universität, schien, wenige Meter entfernt, vom Podest seines Reiterstandbildes, mit Wohlwollen auf das Gebäude zu schauen.
Als Katharina und ihre Begleiterin die Buchhandlung betraten, war die junge Frau sprachlos. Auf vier Etagen befanden sich riesige Regale voller Bücher. Massive Eichentreppen mit verzierten Holzgeländern beeindruckten die Besucher. Einzelne Räume waren mit schweren Möbeln sehr gemütlich ausgestattet, diverse Sitzgelegenheiten luden zum Verweilen und Lesen ein. Diese Buchhandlung war ein Mekka für jeden Buchfreund und Katharina war ihrer Wirtin dankbar, sie dorthin geführt zu haben.
Ein älterer Herr mit gepflegtem Spitzbart, fragte die Frauen nach ihren Wünschen und führte sie in die entsprechende Abteilung. Seine Kleidung und sein Auftreten waren korrekt und erinnerten an einen höher stehenden Beamten.
Nachdem Katharina die gewünschten Bücher gefunden hatte, schlenderten die beiden Frauen bei schönstem Sonnenschein gemütlich zur Schlossteich-Promenade und kehrten dort in das Café »Schwermer« ein, das weithin für seine Spezialität, dem Baumkuchen, bekannt war. Für diesen Baumkuchen bekam die Familie Schwermer im Jahr 1900 auf der Pariser Weltausstellung sogar eine Goldmedaille.
Aber auch ihre erlesenen Pralinen und das raffinierte Marzipan lockten die Gäste aus nah und fern an und kein Gast musste befürchten, keinen freien Platz zu finden, denn im Café und auf der einhundert Meter langen Terrasse konnten bis zu eintausend Gäste bewirtet werden.
Die