Streben nach der Erkenntnis. Klaus Eulenberger

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Streben nach der Erkenntnis - Klaus Eulenberger

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reden – du mit deiner Mutti, ich mit meiner und auch mit Vater, da er ja nun wieder da ist. Wir müssen erreichen, dass das nicht passiert, was Oma vorhat.“

      „Genauso machen wir das, Klaus!“ Leider zogen Tante Friedel, Onkel Herbert, Helga und Lothar am nächsten Tag auf die Juchhé in Kleinwaltersdorf. Die Juchhé war der Bahnhof Klewado, welcher mindestens zehn Kilometer fernab, nach einer unbebauten Straße Richtung Hainichen, lag. In der Nähe dieses Bahnhofs waren eine Handvoll Häuser und in eines davon zog die Familie Schulze. Gleich nebenan war auch ein relativ großer Betrieb Müller und Straßburger als Landhandelsfirma, wo mit Holz, Kohle, Getreide und Düngemitteln gehandelt wurde. Das bot sich bei der Nähe des Bahnhofs an, denn hier war der Transport auf Gleisen günstig. Offensichtlich hatte mein Onkel, der Schulze, Herbert, eine Arbeit gefunden. Uns Kindern wurde ja auf diesem Gebiet recht wenig erzählt. Nun war ich also allein mit meinem Kummer zu den negativen Plänen von Oma gegenüber Opa. Ich konnte ja auch nichts weiter tun. In meiner Not erzählte ich es dem Kornblume, Erik, der aber auch nicht recht weiter wusste und den es offensichtlich auch nicht sehr interessierte. Also besuchte ich, außer Frida, vor allem unseren Opa und versuchte, auf ihn einzuwirken, dass er alles etwas sauberer und weniger gefährlich gestalten sollte. Er hörte sich auch meine Ratschläge wohlwollend an, schaute lächelnd und gütig auf mich. „Du bist ein guter Junge, Klaus. Komm nur mal öfter zu mir. Du wirst schon sehen – es wird nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird, und ich versuche schon, den Priem nicht mehr an der Jacke abzuwischen. Mach’s gut – bis zum nächsten Mal, mein junger Freund.“ Ich freute mich über seine Bemerkungen, wollte dies gern Lothar mitteilen, er war ja aber weg und ich konnte ihn nicht einmal per Telefon erreichen. Eine Woche später hatte ich ein teuflisches Erlebnis. Ich war bei Oma, sie hatte mir gerade Erdbeerkompott gegeben und nebenbei erwähnt, dass dann meine Eltern und die Friedel kommen würden. Ich freute mich und das war so etwas von falsch. Sie kamen auch wirklich, auch Tante Friedel, wie angekündigt. Allerdings war in ihrer Begleitung Frau Dr. Erler-Dieda, die ich ja schon von meinem Nabelbruch her kannte. Sie klopften an, kamen herein und sprachen mit Oma. Ich verstand nicht alles, sie flüsterten geheimnisvoll, und ich war, wie immer, zu zurückhaltend, hatte aber begriffen, dass Opa von der Frau Doktor eine Spritze erhalten sollte. Plötzlich kam in mir Angst und Misstrauen hoch. „Verzeihung, weshalb soll Opa eine Spritze bekommen?“ Freundlich wandte sich die Ärztin zu mir hin. „Dein Opa ist sehr krank und aus diesem Grunde muss er ein Medikament gespritzt bekommen.“

      „Damit er wieder gesund wird?“ Frau Dr. Erler-Dieda schniefte etwas unsicher. „Na ja, so richtig gesund wird dein Opa nicht wieder. Wir wollen aber das Beste für ihn. Nun geh mal zur Seite. Wir wollen jetzt rüber zu ihm gehen.“ Ich räumte das Feld, ging aber hinterher. Opa lag im Bett und schlief. Mutti sagte zu ihm: „Vater, da du krank bist, gibt dir jetzt die Frau Doktor eine Spritze.“ Opa schaute zu Mutti, sah die Ärztin und drehte sich willig um, nachdem sie ihm gesagt hatte, dass die Spritze in den Po gegeben würde. Mit gemischten Gefühlen sah ich Opas Hintern. Bereitwillig zog er die Schlafanzughose nach unten und ich sah seinen blanken Popo. Er war weiß, fast wie ein Blatt Papier und ich war sehr erstaunt, denn Opa sah immer sehr braun aus. Auf der Stelle kamen in mir starke Mitleidsgefühle hoch, denn ich ahnte Schlimmes. Und Opa, das kleine Dummerle, tat immer alles, was höher gestellte, in diesem Fall sogar eine Frau Doktor, von ihm verlangten. So was aber auch! Die Ärztin knallte brutal und rücksichtslos die Spritze in eine Backe hinein und bat Opa, aufzustehen und sich anzuziehen, was dieser, leider Gottes, auch sehr devot und bereitwillig tat. Misstrauen und Angst stiegen richtiggehend, wie eine Welle von unten beginnend, in mir hoch. „Da soll nun wohl Opa in ein Krankenhaus?“, wollte ich mit ziemlich erregter Stimme wissen. Jetzt schaltete sich Tante Friedel ein. „Der Junge (so anonym hatte meine nette Tante noch nie von mir gesprochen, ich wurde immer unruhiger) sollte doch mal von hier weggehen!“ Prompt kam Mutti auf mich zu, legte mir eine Hand auf die Schulter und wollte mich wegschieben. Jetzt wurde ich aber doch zickig. „Mama, komm! Lass das! Ich will hier dabei sein und den guten Opa betreuen. Nicht, dass hier etwas Falsches passiert!“ Plötzlich rief Vater draußen vom Gang: „Klaus, komm doch mal schnell her – du sollst mal runter zur Selma Kornblume kommen. Die hat für Erik und dich etwas Leckeres gebraten.“ Nun wurde ich doch ziemlich unsicher, vor allem deshalb, weil alle mich so komisch anschauten. Das konnte ich noch nie leiden und machte mich immer verlegen und unsicher. Also ging ich zu Frau Kornblume und sah, dass sie eben erst etwas in die Pfanne legte. Es war also noch nichts gebraten und einfach eine Lüge von Vati. Voller negativer Gefühle rannte ich auf den Hof und konnte gerade noch sehen, wie Opa in ein weißes Auto mit rotem Kreuz, also ein Krankenwagen oder so etwas, hineingeschoben wurde. Jetzt war aber für mich das Maß an Halbwahrheiten und Lügen erreicht. Mir schossen die Tränen aus den Augen und ich rannte dem Auto hinterher. „Opa, guter Opa – pass ja auf, was die mit dir machen! Komm schnell wieder zurück, guter, lieber Opa!“ Ich heulte jämmerlich und ließ mich auch nicht beruhigen. Ich war tief verletzt, ging auch nicht zu Selma hinein. „Die müssen doch alle komplett verrückt sein! Ich soll jetzt etwas Leckeres, in der Pfanne Gebratenes essen, wo der Opa doch jetzt in das Unglück fahren muss! Unverschämtheit!“

      Alle, die mich anfassten – Mutti, Vater und selbst Selma – und versuchten, mich zu beruhigen, schob ich empört weg. Mutti war ratlos, sie weinte plötzlich auch. „So habe ich meinen lieben Klausmann noch nie gesehen. Er ist doch so ein folgsames Kerlchen. Was haben wir nur falsch gemacht?“ Im Unterbewusstsein hörte ich das und antwortete mit der in mir vorhandenen, kochenden Wut „So schlecht habt ihr euch noch nie gegenüber Opa und auch mir gegenüber benommen. Ich werde dem Lothar alles erzählen und erwarte, dass Opa in ein paar Tagen wieder gesund zurück ist! Wenn nicht, so wird es die Oma, die an allem schuld ist – ihr aber auch – mit uns zu tun bekommen. Ihr seid Lügner und behandelt den Opa ganz schlecht.“ Mutti kam tränenüberströmt zu mir gerannt und wollte mich drücken. Ich schob sie erneut weg, rannte schluchzend – „Ich will nichts mehr von dir wissen, Mama!“ – davon.

      In der nächsten Zeit hatte ich es nicht einfach, da sich alle mir gegenüber, bis vielleicht auf Frau Kornblume und Erik, anders verhielten als sonst. Mutti war traurig und lieb, Vater ernst und lieb, Tante Fridel war auf ihrer Juchhé und Oma schaute an mir vorbei – wenn sie mich einmal anschaute, dann äußerst giftig. Wer sich natürlich nett wie immer zeigte, das war Tante Frida. Also saß ich häufig in ihrem Zimmer und machte Schularbeiten. Das baute mich ein klein wenig wieder auf, lenkte mich ab. Ich getraute mich gar nicht zu fragen, wann Opa denn nun endlich zurückkäme. So vergingen Wochen. Zufällig wurde ich Zeuge, wie Mutti sich mit ihrer Schwester unterhielt. „Ich habe dort angerufen und mir wurde gesagt, dass es ihm den Umständen entsprechend gut gehen würde.“

      „Ist er denn gesund?“

      „Offensichtlich ja.“

      „Trotzdem habe ich manchmal ein schlechtes Gewissen. Geht es dir nicht ähnlich?“

      „Gretel, bist wieder mal viel zu weich. Es ging doch nicht anders und die Oma hat unbedingt Recht. Hier wäre noch etwas Schlimmes passiert. Wir mussten doch handeln!“ Nun war es heraus – ich wusste Bescheid. Mit der Aussage, dass Opa gesund sei, fiel es mir Achtjährigem wie Schuppen von den Augen. Jetzt wusste ich, in welchem Ausmaß ich und auch Lothar hintergangen worden waren, denn es wurde uns erzählt, dass er wegen einer Krankheit ins Krankenhaus müsste. Diesmal wurde ich nicht zerrig, heulte auch nicht – mein Schmerz war aber viel größer als zuvor und dies vor allem, weil ich zweifach belogen worden war. Es kam sogar so weit, dass ich mich abends im Bett hin und her wälzte und Mühe hatte, einzuschlafen. Im Geiste sah ich Opa und hörte von irgendjemand, dass er krank sei und dann wiederkäme. Ich sah seine weißen Pobacken, er schlummerte, konnte sich nicht wehren und wurde schmählich hintergangen. Die Spritze wurde rücksichtslos in seine weiße Pobacke hineingehämmert – mir tat der Opa wiederum unendlich leid. Noch nie hatte ich solche Empfindungen in mir gespürt. Ab jetzt war alles anders. Ich war nicht mehr der kleine Klausmann, den man hintergehen konnte, ohne dass ich es erkannte. Menschlich war ich von Mutti, Vater, Tante Friedel und Oma zutiefst enttäuscht. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich gelebt, ohne mir tiefere Gedanken zu machen, ohne Fragen zu stellen. Übergangslos war ich von einem Moment in

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