Streben nach der Erkenntnis. Klaus Eulenberger
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„Ja, ja, Vater, aber du hast sie nur vertrieben?“
„Na klar, das war aber schwierig genug und verlangte immer eine enorme und vor allem geschickte Überzeugungsarbeit. Wie kommst du denn darauf?“
„Der Herr Jesus, dein Freund, erzählte unlängst in der Schule, wie wichtig es ist, Produkte herzustellen, die das Land braucht – von Brot und Brötchen über technische Geräte bis hin zu Autos und so weiter. Er sprach auch über den Vertrieb dieser Waren und wie wichtig der Handel sei. Doch prägte er auch den Satz: Allerdings ist es so, dass man mit Handel und Wandel immer mehr Geld verdienen kann als mit richtiger, ehrlicher Arbeit!“ Vater überlegte, zog plötzlich den Unterkiefer nach unten, verkniff die Augen und zeigte ein unheimlich beleidigtes Gesicht. „Also, Kleener, werde erst einmal erwachsen und leiste selbst etwas! Da wirst du sehen, wie schwer das ist! Eigentlich eine Frechheit von dir! Die Firma Knorr hatte einen Bienenkorb, Symbol für ein „fleißiges Völkchen“ als Markenzeichen der Firma und so handelten wir alle, ob sie nun in der Fabrik etwas herstellten oder vertrieben! Ende, Schluss!“ Schlagartig wurde ich mir der Bedeutung meines Satzes bewusst – obwohl, ich hätte ihn in jedem Fall angebracht, da er mir so gefiel und ich mein Wissen auch loswerden wollte. Mutti schaute, etwas besorgt und ängstlich, auf Vater und versuchte, die gerade wunderbare Stimmung, die in extremem Lob der Leistung meines Vaters gipfelte, zu bewahren. „Klausmann, ob nun Herstellung von Erzeugnissen bzw. deren Vertrieb – es muss alles mit Fleiß, Geschick und Intelligenz in die Reihe gebracht werden!“ Etwas kleinlaut warf ich ein: „Ja, ja, Mutti und Vati, das ist keine Frage! Ich wollte nur den Satz vom Jonas, der ja nun wirklich euer Freund ist, loswerden.“ Schon ein klein wenig besänftigt meinte Vater: „Mit dem Kerl werde ich ein ernstes Wörtchen zu reden haben! Machen wir doch einfach mal weiter mit dem anderen Schreiben, Gretel. Während ihr diskutiert habt, habe ich parallel mal weiter geblättert. Das ist ja mehr als beeindruckend, wie die Firma Knorr zu ihren Mitarbeitern – und das war alles vor dem Krieg – steht! Wahnsinn!“
Dieses Schreiben der Firma Knorr vom 4. Februar 1948 liegt nach 66 (!!!) Jahren jetzt vor mir. Es ist wirklich mehr als beeindruckend. Damit ich nicht wieder versucht bin, so viel zu kommentieren, gebe ich hier die wesentlichsten Inhalte wieder. Nachdem wir seit Jahren ohne jedes Lebenszeichen von Ihnen waren, war uns Ihre Nachricht, dass Sie jetzt endlich aus russischer Gefangenschaft zurückgekehrt sind, eine rechte Freude. Leider müssen wir aber nach unseren bisherigen Erfahrungen die Befürchtung hegen, dass Sie nicht ohne gesundheitlichen Schaden die Leidensjahre überstanden haben. Wir wünschen Ihnen aufrichtig, dass Sie körperlich sowie seelisch die Widerstandskraft aufbringen mögen, um nun auch die tiefgreifenden Veränderungen, die inzwischen in unserer Heimat stattgefunden haben, zu verkraften und den Anschluss an das neue und so viel schwerere Leben in dem zertretenen Deutschland finden. Wie aus Ihren Zeilen hervorgeht, haben Sie sich schon ohne jede Illusion den nüchternen Einblick in die jetzigen Verhältnisse verschafft und entheben uns damit der schweren Aufgabe, Sie von der vorläufigen Unmöglichkeit einer Weiterbeschäftigung zu überzeugen. Unser Heilbronner Werk ist zwar mit einem 50-prozentigen Kriegsschaden über das Kriegsende hinweggekommen. Werk Posen und unsere sämtlichen Läger haben wir verloren. Von unserer Berliner Tochtergesellschaft sind wir getrennt, von Wales ganz abgeschnitten. Wie Sie schon haben feststellen können, ist die russische Zone für uns wie ausländisches Gebiet in das wir nicht liefern dürfen und nicht liefern können. Der Einsatz von Reisenden in der russischen Zone wäre ein Unsinn. Von unserem früheren Reisenden Kuhn in Gotha werden Sie von uns auch noch die Übergangsentschädigung erhalten. Wir haben aus vorstehenden Gründen weder heute noch in absehbarer Zeit eine Beschäftigungsmöglichkeit für Sie und müssen Ihnen deshalb mit diesem Schreiben unsere Kündigung aussprechen. Obwohl die Verhältnisse es verbieten, dass Sie ihre Arbeitskraft unserer Firma während der Kündigungszeit zur Verfügung stellen, gewähren wir Ihnen nach unseren Richtlinien für die Dauer von vier Monaten eine Übergangsentschädigung in Höhe von 75 Prozent Ihres letzten Bruttogehaltes von RM 350, also brutto RM 262,50.
Von diesem Stil, von dieser Kultur der Firma Knorr bin ich ganz einfach beeindruckt. Man muss sich das einmal überlegen. Es waren fast sechs Jahre Krieg. Da erinnert sich diese Firma noch ihrer Mitarbeiter, einverstanden, mein Vater war mit ihnen in Kontakt getreten – trotzdem! Wenn ich da an die heutige Zeit denke, an den politischen Konkurrenzkampf, an das Wort Ego, welches bei 99 Prozent der Geschäftsführer auf der Stirn geschrieben steht. Zur jetzigen Zeit hätte, schlitzohrig, wie die meisten sind, teilweise korrupt, nur an sich denkend, kein Firmenchef sich der Mitarbeiter nach dem Zusammenbruch infolge eines teuflischen Krieges mit immenser Zerstörung der Moral, der menschlichen Seele und des Landes erinnert, um sie zu trösten, wieder aufzubauen und ihnen gar eine Abfindung zu geben. Ich verneige mich tiiiiief vor einer solchen Haltung!
Mein Vater hatte eine Einstellung in den Bleierzgruben Albert Funk Freiberg gefunden und die Abteilung Einkauf übernommen. Allerdings war nun für ihn folgendes Problem zu lösen: Wie komme ich möglichst schnell und ohne Umsteigen und Wartezeiten dorthin? Er kaufte sich ein kleines Motorrad mit 125 Kubikzentimeter Hubraum – eine ILO. Diese kleine Knatterkiste hatte hinter dem Fahrersitz nur einen kleinen Metallgepäckträger. Vater hatte sicherlich nicht die große Erfahrung mit Kraftfahrzeugen, auch wenn er dies immer wieder betonte. So erzählte er uns, dass er während des Krieges einen hochrangigen Nazioffizier mit einem PKW chauffieren musste. Als er ihn einmal zu einer Beratung an einem kleinen Wäldchen gefahren hatte, passierte ihm ein ziemliches Missgeschick. Der Offizier ging zu seiner Beratung. In der Zwischenzeit spürte Vater Blasendruck und stellte sich dazu an einen Baum. Plötzlich kam sein Kommandeur zurück mit dem schnoddrigen Befehl: „Eulenberger, fahren Sie retour!“ Vater suchte krampfhaft den Zündschlüssel, fand ihn weder in Hose noch Jacke. Der Offizier schnarrte: „Na, was ist denn los, Eulenberger? Aber nun, hopp!“ Vater wurde immer nervöser und erinnerte sich daran, dass er an dem Baum viel Flüssigkeit verloren hatte. Vielleicht ist da der Schlüssel herausgerutscht, dachte er sich, wahnsinnig nervös und inzwischen mit zittrigen Händen. Er kniete sich hin (während der Rückfahrt stellte er fest, dass seine Hosen an den Knien arg durchgeweicht waren) und suchte krampfhaft auf dem durch die gelbe Flüssigkeit durchweichtem Boden nach dem Schlüssel, was ihm dann auch mit mehreren Verletzung durch Tannennadeln, die ihm in die Fingerkuppen und Fingerballen eingedrungen waren, gelang. Dass sein General zwischendurch weiter knarrende Befehle gab, musste er ganz einfach verkraften. Endlich saß er wieder im Auto und wurde mit der folgenden, unwilligen Anbrüllrede konfrontiert: „Das passiert mir nicht noch einmal! In Zukunft muss das schneller gehen! Sie sind ja so langsam wie eine Schnecke – da ist ja längst der Feind da! Was riecht hier denn so komisch, fast so süßlich wie Pisse? Ist ja auch egal, ich zünde mir halt eine Zigarette an!“
Mit seiner ILO kam Vater scheinbar recht gut zurecht, allerdings schrammte er einmal – Gott sei Dank! – knapp an seinem Ende vorbei. Er kam zügig, vom Unterdorf her, angefahren, vorbei am Dorfteich links und dann rechts an der Gaststätte Leistner. Nun brauchte er nur noch den schmalen Weg mit steilem Anstieg zu unserem neuen Haus hochfahren. Schlagartig kam ein Traktor mit Hänger vom Sportplatz heruntergefahren und querte seinen Weg. Vater wollte das Gas wegnehmen aber – um Himmels willen, um Himmels willen! – er gab Gas und seine ohnehin schon schnelle ILO jagte auf den Traktor zu. Gedankenschnell fuhr er mit Schenkeldruck nach links, dann nach rechts, am Traktor vorbei, und raste den Anstieg hoch. Oben bremste er stark und stand. Sicher war er sich der Gefahr bewusst, denn er pumpte aufgeregt Luft und es dauerte ein Weilchen, bis er ruhiger wurde. Dann aber, typisch Vater, kam sein ständiger Optimismus und seine Lebensfreude sofort schlagartig wieder in ihm hoch, er lachte schallend, stieg ab und ging zügig zu dem Traktorfahrer hinunter, welcher ihn mit ernstem Gesicht erwartete. „Herbert – das war fast dein Exitus! Wie konntest du nur? Hast du mich zu spät gesehen? Für mich hast du ja noch einmal enorm Gas gegeben, als du mein Fahrzeug sahst, wiiiie das?“ Er war aschfahl im Gesicht, seine Hand zitterte, als er sie meinem Vater gab. Mit strahlendem Gesicht gab Vater ihm zur Kenntnis, dabei feixte er noch laut: „Weißt du, Arthur, das ist mein neuer Fahrstil! Sprunghaft und zügig an Gegnern vorbei und hoch zu der 78 (das war unsere Hausnummer). Du siehst doch, wie souverän mir das gelungen ist.“ Dann