Streben nach der Erkenntnis. Klaus Eulenberger
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„Herr Schnatterer, der Sportverein repariert das Fensterglas, Sie geben uns jetzt alle Bälle zurück und wir werden uns in Zukunft bemühen, nicht mehr durch das Schutznetz zu schießen! Einverstanden?“ Schnatterer schaute, für seine Verhältnisse, relativ ruhig. „Ich bin einverstanden, viele denken – und so wird ja fast schon im gesamten Dorf über mich geredet –, dass ich ein Stänkerer und Streitkopf wäre. Dem ist aber nicht so. Ich will auch einmal meine innere Ruhe haben. Mir ist nach alldem Hin und Her und dem Geschreie immer ganz schlecht. Allerdings muss ich verlangen, dass nicht mehr durch das Schutznetz geschossen wird!“ Jetzt schaltete sich allein der Schiedsrichter ein. „Ich schlage vor, dass das Netz unter Zuhilfenahme der Fußballspieler durch eine Firma dicht gemacht wird, so dass das Durchschießen in Zukunft ausgeschlossen wird.“ Jetzt schaute selbst Herr Schnatterer ziemlich ruhig und offensichtlich zufrieden. Mir schien es, als wenn er sogar ein ganz klein wenig lächelte. „Hier meine Hand darauf – so kann endlich Eintracht werden!“
Für mich war das Leben in der neuen Wohnung natürlich eine riesige Veränderung. Mir fehlten Lothar, Helga und meine Kumpels vom Unterdorf. Mutti ging immer früh 7 : 00 Uhr ins Gemeindeamt und kam, wenn sie nicht wieder einmal Überstunden machte, gegen 17 : 00 Uhr zurück. Vater fuhr noch früher als sie mit seiner ILO los. Urplötzlich war ich allein gelassen, bekam einen Haustür- und Wohnungsschlüssel. Das war’s dann! Ich hatte ja aber genug mit der Schule zu tun, die mich mehr, als mir lieb war, mit Unterricht und Hausaufgaben zudeckte. Der Unterricht begann im Allgemeinen 7 : 30 Uhr und endete gegen Mittag. Mit meinen Kumpels, vor allem mit meinem neuen Freund Klose, Günther gingen wir dann nach der Büffelei nach Hause. „Ich stelle nur meinen Ranzen zu Hause ab, esse etwas – mal sehen, was mir Mutti hingestellt hat – in zirka einer halben Stunde, Günther, bin ich wieder draußen und wir können etwas unternehmen!“ Günther schaute mich etwas missbilligend und leicht überheblich an. „Zunächst mache ich Hausaufgaben und erst danach gehe ich raus! Hast du nicht mitbekommen, dass wir in Deutsch den einen Textteil von Heinrich Manns Buch abschreiben und kommentieren sollen und in Mathe haben wir auch drei Aufgaben.“
„Das können wir doch später machen, Günther! Hab dich mal nicht so! Die Lehrer haben doch auch gesagt, dass wir einmal ausspannen sollen.“
„Meine Mutti hat das so festgelegt und so mache ich das auch! Kannst doch in der Zwischenzeit mal mit dem Escher, Elmar raufen, der dich immer so mit Wenn die Eule mit der Keule übern Hackstock springt und die Wurst verschlingt … in Rage bringt. Schließlich wohnt er jetzt nur dreihundert Meter von deiner neuen Wohnung entfernt – im Gegensatz zu früher.“ Mein folgender herrlicher Singsang Muttersöhnchen, Muttersöhnchen – du bist ein supergroßes Muttersöhnchen! brachte den Günther vollkommen außer Fassung, wozu übrigens nicht viel gehörte. Sein Gesicht verzog sich merklich – er war beleidigt, verletzt – und das in hohem Maße. Mehrfach passierte es dann, dass er handgreiflich wurde. Meist riss er an meinem Ranzen herum und das war deshalb so grauenhaft und ärgerlich, weil ich durch die Hebelwirkung vollkommen aus dem Gleichgewicht kam. Leider war der Günther wesentlich kräftiger als ich, aber ich wehrte mich tapfer und wenn die Sache kulminierte und ich in Wut kam, zog er meist den Kürzeren. Groll brach manchmal so plötzlich über mich herein, dass ich mich hinterher selbst wunderte und erstaunt war, wieso dieser so schlagartig in mich hineinschoss. Mit diesem urplötzlichen Zornesausbruch wuchs aber in mir eine bernalische Kraft. Ich kann mich noch gut erinnern, welch enorme Energie durch diesen Jähzorn in mir entstand, als es ihm gelungen war, mich auf den Rücken zu legen und er mit seinen überlangen Haaren in meinem Gesicht herumwedelte, indem er sein Gesicht möglichst nahe zu meinem absenkte und den Kopf bewusst hin und her schüttelte. Es gelang mir, ihn hochzustemmen, zur Seite zu drücken und als wir beide wieder auf den Beinen standen, ein Bein zu stellen, ihn gewaltig zu schubsen und als er auf den Rücken fiel, knallte ich mich drauf. Er behauptete, ich hätte ihm ein paar Rippen gebrochen, zumindest geprellt, und außerdem meinen Ellbogen in sein rechtes Auge gestoßen. Zu Tode beleidigt ging er sofort nach Hause und sprach mehrere Tage nicht mit mir. So war er halt – wollte immer der Klügste, Kräftigste, Intelligenteste und Hübscheste von allen sein. Allerdings muss ich der Wahrheit die Ehre geben – am nächsten Tag war der Bereich um sein rechtes Auge doch ein klein wenig geschädigt. Erst war der Fleck rot, dann wurde er blau, dann gelb und dann verschwand er. Günther wohnte vielleicht fünfhundert Meter von mir entfernt neben dem Feuerwehrgebäude und in der Nähe des Gemeindeamtes. Sein Vater war Baumeister, hatte dieses Einfamilienhaus gebaut. Seine Mutter ging nicht auf Arbeit, war nur zuhause und daraus resultierte die Möglichkeit, Günther zu verwöhnen. Meine Mutti war sicherlich genauso lieb wie Frau Klose, nur hatte sie nicht die Gelegenheit so wie sie, sich um mich zu kümmern. Wenn Günther, nachdem er an dem ihm zugewiesenen und extra für ihn gestalteten Arbeitsplatz an einem kleinen Pult seine Hausaufgaben erledigt hatte, sagte er seiner Mama Bescheid. „Fein, Günther! Wir trinken jetzt noch heiße Schokolade und dann kannst du spielen gehen!“ Wenn Günther dann erschien, sah er wiederum wie aus dem Ei gepellt aus. Er hatte offene Sandalen an, weiße lange Kniestrümpfe, eine kurze, braune Hose und ein schönes Nicki. Gegenüber seinem Schulgang war das Ganze jetzt schon etwas abgemildert, denn früh sah er noch schnuckeliger aus. Die Haare waren fein gescheitelt und mit irgendeiner Klebemasse in ihrer Lage ziemlich haltbar gemacht, so dass er selbst nach einer Schularbeit, wo man sich vor Verzweiflung am Kopf kratzt, noch genauso aussah wie früh, als er tadellos gepflegt ankam. Wenn ich ehrlich sein soll – das Ganze regte mich ziemlich auf. So picobello wie er hergerichtet war, benahm er sich auch – immer etwas besonders fein, arrogant und überheblich. „Was wollt ihr denn von mir, ihr kleinen Scheißer auf diesem Dorf? Ich werde euch noch zeigen, wer ich bin und vor allem, wie viel ich drauf habe, ihr kleinen Dilettanten!“ Günther war vielleicht eine Stirnbreite größer als ich, dafür etwas breiter und kräftiger. Er trug lange blondbraune Haare. Im Gesicht hatte er ziemlich viele Sommersprossen, welche besonders dicht um seine etwas zu groß geratene Nase, besonders an den Nasenwurzeln, auftraten. Mich störte auch, dass die Backenknochen etwas zu weit vorstanden. Das ging aber vielleicht noch, allerdings war seine Mundpartie eine echte Scheiße. Meine Mutter unterschied immer zwei Kategorien an Mundausführungen. Bei der einen sagte sie verächtlich: „Die oder der hat eine Überknöpflippe!“, bei anderen: „Die oder der hat eine Unterknöpflippe!“ Günther hatte auf alle Fälle eine Überknöpflippe, d. h. seine Oberlippe ragte beträchtlich über die untere hinaus. Man hatte den Eindruck, dass die Kinnlade ein klein wenig weiter nach vorne hätte geschoben werden müssen. Dem war aber eben nicht so und da sah es eben ziemlich dämlich aus, fand ich. Günther hatte ziemlich große und lange Schneidezähne, welche aber nicht, wie üblich, senkrecht nach unten gewachsen waren – nein, diese Hauer ragten etwas schräg nach vorn. Es ist deutlich erkennbar, dass ich den Günther, von Anfang an, nicht so recht leiden konnte. Schließlich war er aber der Einzige, der bei mir in der Nähe wohnte. In der Schule war ein ziemlicher Konkurrenzkampf um gute Zensuren zwischen uns, was ihn aber offensichtlich mehr belastete als mich.
Mir fällt jetzt schlagartig ein wunderschöner Witz ein, den mir mein großer Sohn Sven erzählte. Er betrifft die zwei Mundpartiekonstruktionen, welche meine Mutter offensichtlich immer sehr berührten. Mit Sicherheit ist es allerdings mehr ein Witz zum Zuhören und vor allem Zuschauen – ach was! Ich versuche es trotzdem einfach einmal! In einer Kneipe sitzen zwei junge Männer bei zwei Dingen – beim Rotwein und beim Kerzenschein. Der eine der beiden hat eine Oberknöpflippe, der andere das Gegenteil davon. Nachdem sie lange getrunken und erzählt hatten, sagte der mit der Oberknöpflippe zu dem anderen mit der Unterknöpflippe: „Lass uns nun den schönen Abend beenden. Wir sollten jetzt gehen. Blase doch bitte mal die Kerze aus!“ Der mit der Unterknöpflippe bläst auf die Kerzenflamme, aber leider geht sein warmer Luftstrahl nur vom Unterkiefer knapp am Oberkiefer vorbei senkrecht nach oben. Enttäuscht sagt er „Blase du doch einmal, bitte!“ Der mit der Oberknöpflippe bläst, aber leider geht der warme Luftstrahl nur von der Oberlippe am Unterkiefer vorbei senkrecht nach unten. Beide sind ziemlich enttäuscht, rufen den Kellner. „Herr Ober, bitte blasen Sie mal die Kerze aus!“