Streben nach der Erkenntnis. Klaus Eulenberger

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Streben nach der Erkenntnis - Klaus Eulenberger

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und auf- und zudrehen, anstatt vom Gasdrehgriff zu sprechen. „Ich wollte also den Gänsehals von mir wegdrehen, also nach vorn drehen, d. h. Gas wegnehmen, und nicht zu mir drehen und damit Gas geben, Arthur. Glaub mir, auch ich war zu Tode erschrocken.“ Arthur gab ihm noch ein paar Ratschläge, in Zukunft etwas bedächtiger unterwegs zu sein. Vater versprach es.

      Nun wohnten wir also nicht mehr auf dem Bauerngut, sondern in einem nicht sehr großen Mietshaus. Wir hatten eine Wohnung im Erdgeschoss, was meinen Eltern überhaupt nicht behagte. Auf meine Frage gaben sie an, lieber im, ihrer Meinung nach, vornehmen ersten Stock, logieren zu wollen. Prompt ergab sich auch später – als wir nach Freiberg zogen: In der ersten und zweiten Wohnung wohnten wir auch dort – natürlich! Ich meine – im Erdgeschoss. Vom Hausflur aus trat man rechts in unsere Küche, von der ging es weiter in die Stube und von da in die Schlafstube. Bad war nicht vorhanden, die Toilette (Plumpsklo) war draußen vom Flur aus zugänglich. Der Hausbesitzer und unser Vermieter, Herr Schnatterer, war ein älterer Mann, den ich nie einmal lachen sah. Er trug eine starke Brille und hinter der blickte er immer sehr bösartig in die Welt, flößte mir große Angst ein. Nie sagte er ein freundliches Wort zu mir und ich war immer froh, wenn ich ihn überhaupt nicht zu Gesicht bekam. Sein Charakter zeigte sich, wenn auf dem Huckelfußballfeld nebenan ein Spiel lief. Wie gesagt, dieses Spielfeld lag gleich neben einem kleinen Garten hinter unserem Haus und streckte sich von da ab längs hin, d. h., gleich hinter unserem Garten war eines der beiden Fußballtore – und dies war ein Drama und eine Tragödie, vor allem natürlich für Herrn Schnatterer. Natürlich wurde viel auf dieses Tor geschossen, wie das halt so in dieser Sportart üblich ist. Zum Schutz von Haus und Garten war ein riesiges Stahlnetz hinter dem Fußballtor aufgebaut, welches aber genauso viele freie Stellen wie intaktes Stahlnetz besaß. Infolgedessen landete der Ball häufig im Garten, mitunter knallte er auch an die Hausfassade. Lautes Schimpfen und Fluchen, danach polterndes, eiliges Hinabrennen auf der Holztreppe vom ersten Stock in das Parterre – Schnatterer rückte wutschnaubend an. Er rannte in den Garten und mit wilden Flüchen gegen die Sportler nahm er den Ball auf und verschwand im Schuppen. Meist kamen danach ein, zwei Spieler, um den Ball wieder einzufordern. Ohne ein Riesengeschrei ging dies nicht ab und meist zogen sie auch wieder ohne Ball ab. Was das in dieser Zeit nach dem Krieg, wo es kaum etwas gab, bedeutete, ist sicher klar. Auf alle Fälle war diese Streiterei recht unangenehm für uns und meist ging ich raus (manchmal ging auch Vater mit) auf den Fußballplatz, um dem Geschehen beizuwohnen. So war ich nur von dort aus Zeuge von Schnatterers Entrüstungsanfällen und seiner Kleptomanie. Das Schlimmste, was einmal passierte, war, dass ein Ball, der in den Himmel ging, an ein Fenster im ersten Stock flog – Glas splitterte. Ich war dieses Mal nicht auf dem Fußballfeld und stürmte hinaus, um meine Neugier zu befriedigen. Herr Schnatterer holte den Ball, rannte in den Schuppen, nahm ein riesenlanges, spitzes Messer und stach damit einfach hinein. Dort, wo er hineinstechen wollte, war aber das Leder noch einigermaßen dick und intakt. Die Schneide rutschte ab und stach in seinen Zeigefinger – das Blut tropfte beträchtlich. Plötzlich kamen drei Spieler und sahen das Dilemma. „Herr Schnatterer, sind Sie verrückt? Das ist unser letzter Ball. Sie haben kein Recht dazu!“ Schnatterer kam, durch seine Verletzung wahrscheinlich noch mehr, in Rage und brüllte wie ein Vieh: „Und ob ich das kann! Dies ist mein Privatgrundstück und ihr habt kein Recht, mein Fenster zu zerstören. Ich werde euch verklagen und jetzt verschwindet von meinem Grundstück!“ In erneuter Entrüstung nahm er wiederum das Messer und stach an einer anderen Stelle hinein. Diesmal glückte sein Vorhaben. Zischend ging die Luft heraus. Die Spieler schauten empört und rachsüchtig. „Das werden Sie bereuen! Da brauchen wir auch nicht ihr Fenster reparieren lassen, wenn sie unser Eigentum kaputt machen.“ Kopfschüttelnd und schimpfend gingen die drei wieder auf den Fußballplatz.

      Es war aber keinesfalls so, dass es keine Steigerung mehr gab. Sonntag zehn Uhr – wunderschönes Wetter, mild und Sonnenschein. Angesetzt war das Spiel Rotation Freiberg gegen FSV Hainichen. Mein Freund Günther und ich sind pünktlich zur Stelle und setzen uns bequem auf die oberste Wölbung der Böschung. Alles läuft gut für die Heimmannschaft. Der Rechtsaußen will wahrscheinlich eine Flanke hereingeben, es wird aber mehr ein Torschuss, welcher über den Torwart hinweg ins Dreiangel geht und sich am Ende stark senkt. Wir sind begeistert und pfeifen um die Wette. Günther hat es drauf, mit einem gekrümmten Zeigefinger zu pfeifen. Ich benötige dafür vier Finger, habe aber vielmehr Dampf bei meiner Pfeiferei, d. h. es ist schriller und deftiger, was ich zustande bringe. Unsere Abwehr lässt von der Mitte des Feldes einen Befreiungsschlag los, welcher weit über das Tor geht und prompt eine Kluft im Stahlnetz findet. Sofort tritt der Hausbesitzer auf den Plan, hält beide Handinnenflächen an den Mund, um seiner donnernden Schimpfkanonade mehr Nachdruck zu verleihen. „Ihr Verbrecher – das ist das allerletzte Mal, dass ich das zulasse. Morgen gehe ich zum Regierungspräsidium, damit eure Spiele ab sofort verboten werden!“ Er nahm den Ball und verschwand wiederum laut schimpfend im Schuppen. Gott sei Dank war noch ein Ball da und somit ging das Spiel weiter. Inzwischen war Halbzeit und diese Pause nutzte der Trainer von Rotation Freiberg, um die Gegner von Hainichen zu bitten, sich etwas in der Höhe zurückzunehmen, wenn sie in der zweiten Halbzeit auf das Tor, hinter dem sich Schnatterers Grundstück befindet, schießen. Es wurde auch erläutert, weshalb – die anderen hatten das Problem schon längst erkannt. Es lief auch alles einigermaßen gut bis zehn Minuten vor Schluss. Es war wieder mal einer von den Wilden, die nie so recht hören können. Auf jeden Fall knallte der Ball in großer Höhe durch das Netz und an das Haus von Schnatterer (Glas splitterte allerdings nicht). Es passierte sinngemäß das Gleiche wie vorhin, nur dass er diesmal nicht wie ein Sprachrohr agierte. Er meckerte stark, nahm den Ball und verschwand im Schuppen. Nun war aber ein großes Problem gegeben, denn es war schlicht und einfach kein Ball mehr vorhanden. Alle schauten sich ratlos und entrüstet an. Der Trainer reagierte als Erster. „So geht das einfach hier nicht weiter! Jedes Mal haben wir das gleiche Problem und wir haben in dieser Zeit, wo es nichts gibt, einfach keine Fußbälle mehr. Hier muss das Bezirksamt eine Regelung treffen und jetzt gehen wir alle geschlossen zu diesem bösartigen Sportgegner. Ich muss aber bitten, nicht handgreiflich zu werden, denn das verschlechtert nur unsere Lage.“ Nach fünf Minuten kamen die abgekämpften Spieler mit Trainer bei Herrn Schnatterer an. Günther und ich, die neugierig hinterherliefen, haben heute noch das Geräusch, was die Fußballstollen auf dem erdigen Weg verursachten, im Gedächtnis. Es klang fast so, als wenn eine Kompanie Soldaten marschiert. Die Gespräche während des Soldatenmarsches verliefen folgendermaßen: „Der hat uns jetzt sofort die Bälle herauszugeben, sonst kriegt der eins in die Fresse. Wir wollen doch keinen Spielabbruch, noch dazu, wo wir 1 : 0 führen. Der muss einmal Angst vor uns bekommen und so sollten wir auch auftreten.“ Der Trainer klingelte – es dauerte vielleicht geschlagene fünf Minuten, bis Schnatterer sich endlich bequemte. Inzwischen kam auch der Schiedsrichter den Berg hochgelaufen und rief schon von Ferne: „Was wird denn nun? Das Spiel muss weitergehen! Das ist ja ein Skandal!“ Als Schnatterer herauskam, ging sofort der Schorsch Mächtig (so war der auch in der Realität, ein Meter und neunzig groß und wahnsinnig kräftig) auf ihn zu, stellte sich provozierend vor ihn und sagte: „Geben Sie uns sofort die Bälle heraus – ich will sehen, wo sie liegen. Die sind unser Eigentum. Und wenn Sie das nicht tun, zwinge ich Sie dazu und werde Sie altes, kleines Männlein vor mir her treiben!“ Der Trainer kam sofort angeflitzt, stellte sich zwischen Mächtig und Schnatterer. „So auf keinen Fall. Wir wollen vernünftig mit Ihnen reden, Herr Schnatterer. Ich rate Ihnen aber auch, uns sofort dorthin zu führen, wo die Bälle liegen. Handeln Sie bitte auf der Stelle!“ Das Letzte hatte der Trainer so markant und mit Nachdruck gesagt, dass Schnatterer unsicher wurde. „Kommen Sie!“ Er führte alle weiter nach hinten, machte die Schuppentür auf und da sahen alle das Ärgernis. An der Seite hing ein riesengroßes Netz mit vielleicht zwanzig Bällen darin. Die Spieler, der Trainer und der Schiedsrichter sperrten Mund und Nasen auf, als sie das sahen. Nachdem das Erstaunen gewichen war, brachen in den Sportlern alle Zurückhaltungsdämme. Alle schrien: „So ein Schuft – der Verbrecher hindert uns am Ausüben unseres geliebten Fußballspiels. Der muss sofort alle Bälle hergeben und sich entschuldigen.“ Einer, es war nicht der Mächtig, stürzte auf Schnatterer zu, fasste ihn derb am Oberarm, zerrte mit einer Wahnsinnskraft daran und forderte: „Her mit den Bällen, sonst wirst du jetzt schon und sofort erledigt, du alter verhärteter Knochen!“ Herr Schnatterer fiel hin und schaute – für mich war es das erste Mal – verängstigt in die Welt. Der Trainer

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